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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Collegen kannte. Meine Huldigung, die ich dem glücklichen Erfinder, dem oft so sinnigen und feinen Verknüpfer einer trefflich angelegten Intrigue, namentlich seinem technisch wahrhaft meisterlich aufgebauten „Vetter“ brachte, war durchaus aufrichtig gemeint und nur in dem einen Wort mag einige Ironie gelegen haben: „Sie müssen ja immer Glück haben mit Ihren Stücken; denn fast alle fangen sie mit einer Hôtelscene an, mit: Kellner, eine Flasche Wein! Da ist der Deutsche sogleich gewonnen.“

Der Wein spielte denn auch beim Mahle im Freien, im Wirthsgarten am Rhein, eine nicht unwesentliche Rolle. Sanft begleitete unser Gespräch die in den weichen Kiessand am Ufer sich verlaufende Welle. Kam ein Dampfer vorüber, so rauschte die Fluth. Zum Pessimismus wäre hier jetzt Niemand von uns geneigt gewesen. Bewußt oder unbewußt – unsere Lehre hieß nur: Pflücke den Tag und leg’ ihn wie eine Blume zum Trocknen in das Herbarium deiner Erinnerung! Nutze ihn aus als Etwas, das nicht an den ewigen „Kampf um’s Dasein“ erinnert, der leider keine Fabel ist! Denn nicht unmöglich, daß das Praktische im Schriftstellerleben, die Honorare der Bühnen, die Auflagen der Verleger die stärkste Partie unsrer Gespräche bildeten.

Das Mahl war vorüber. Eine kurze Rast wurde noch im Garten gehalten. Wir dachten an die Heimfahrt im Nachen. Plötzlich überfiel Benedix die Badelust. Die Sonne brannte. Der vom Weine glühende Mann, stark gebaut, gerötheten Antlitzes, hätte sich den Tod holen können. Wir redeten ihm ab, dem Gelüste zu folgen, aber nun kam sein Ehrgeiz mit in’s Spiel. Es war auf ein Kraftstück à la Ernst Mahner abgesehen, den damaligen „Gesundheitsapostel“, der sich sogar des Winters in die Rhein- und Mainfluthen stürzte. Ein besonderes Boot wurde von Benedix gedungen, noch eine volle Flasche Wein mitgenommen, und nun fuhr er hinaus, allen Dampfern, Schleppern, Flößen, allen ringsum aufgesteckten Wegzeichen zum Trotze; er gewann die Fahrstraße, die sonnenbeschienene wallende grüne Fluth. Uns blieb nichts übrig, als die Zeche abzumachen, rasch einen zweiten Kahn zu miethen und dem Wagemuthigen zu folgen.

Um der Dame den Anblick des sich völlig bis zu adamitischer Nacktheit Entkleidenden zu entziehen, lenkten wir unser Fahrzeug in’s Schilf am Fuße der Capelle ein und streiften durch die verhüllenden grünen Vorhänge so lange hin, bis wir beim Einbiegen in die bewegtere Strömung den schon in die Fluthen gesprungenen kühnen Schwimmer mit Armen und Beinen rudern sahen. Dieser ersten Arbeit folgte dann bei ihm eine wohlige Ruhe, eine gleichmäßige Bewegung; der Strom oder unsichtbare Delphine schienen den Dichter sanft zu tragen. Das deutsche Lustspiel da so mitten in den grünen Wellen des Rheins! Jetzt wendete sich der kühne Schwimmer auf den Rücken und ließ sich nur vom Strome wiegen, und der Schiffer im Kahne, der ihm nahe blieb, mußte ihm die Flasche reichen. Das störte etwas das Bild. Es war nicht mehr der Meerkönig mit der Krone von Binsenkraut! Die Flasche wurde an den Mund gesetzt und dann auf den Bauch gestellt. Mein Idealismus murmelte: Doch Ernst Mahner! Aber es blieb doch der Eindruck: „Das bemooste Haupt“, „Doctor Wespe“, „Der Steckbrief“, „Der Vetter“ – schwimmen da mitten auf dem Rheine –! Im späteren Gedenken der uns nun entschwundenen unerschöpflichen Erfindungskraft, des zusammengebrochenen, zu Staub gewordenen, kraftvollen, breitschulterigen Mannes mit dem schöngepflegten Barte, des nur erfreulichen, wohlthuenden Bildes, das Roderich Benedix von seinem Leben und Schaffen hinterlassen hat, verwandelt sich dieser Zug kraftvollen Selbstgefühls und muthiger auf seine Muskelkraft vertrauender Entschlossenheit, besonders durch den Ort und die Zeit, und sagen wir selbst durch die applaudirende Zeugenschaft, zu einem Literaturbilde, das sich zum Glück ohne nachtheilige Folgen abschloß.

Es fand sich wieder ein Schilfgehege, das der Dame die Garderobe des aus dem Flusse Steigenden entzog; der zweite Kahn ruderte zu uns herüber und wurde abgelohnt. In Königswinter bestiegen wir das Dampfboot, das uns wohl und glücklicher Laune nach Köln zurückbrachte.




6.


Täglich gehe ich jetzt an den Fenstern eines kleinen Universitätshörsaales vorüber, in welchem schon viel bedeutsame Worte gesprochen worden sind und noch jetzt gesprochen werden.

Einen Moment möchte ich festhalten, wo ich mich vor vielen Jahren zufällig veranlaßt fühlte, in dieses Auditorium der Heidelberger Universität einzutreten. Ich wollte mir ein Bild von Schlosser’s, des berühmten Historikers, Art und Weise im Vortrage, seinem wunderlichen friesischen Accent, seinem zerrissenen Satzbau und ähnlichen Eigenheiten verschaffen, die oft von seinen Hörern scherzweise nachgeahmt wurden, oft zum heitern Gelächter im Kreise alter Heidelberger Studiengenossen dienten.

Vor einer verhältnißmäßig ansehnlichen Zuhörerschaft behandelte Schlosser die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, bekanntlich das wahre Tummelfeld seines Ruhmes. Sein Vortrag führte ihn gerade an jenem Tage, wo ich hospitirte, auf die Lage Friedrich’s des Zweiten von Preußen im Jahre 1757, wo ihn die Umstände des Krieges zwangen, bald dahin, bald dorthin einen Streich zu versetzen, sich aber nicht zu weit vorzuwagen und bedeutende ausgreifende Unternehmungen zu vermeiden. Friedrich war damals bedrängt von allen Seiten. Schlosser schilderte das glänzende Ergebniß des Tages von Roßbach: dreiundsechszig Kanonen, zweiundzwanzig Fahnen, siebentausend Gefangene, worunter allein dreihundert Officiere. Als sein Vortrag auch den jähen Schrecken der Flucht erwähnte, das Entsetzen vor Seydlitzens Kürassieren, die Eile der verfolgenden Husaren, da brach über die Hasenfüßigkeit der von Madame de Pompadour ernannten pommadirten Generale im ganzen Auditorium ein jubelndes Gelächter aus. Der alte Schlosser hatte diese Wirkung seiner Erzählung nicht gewollt und stutzte. „Lachen Sie nicht, meine Herren!“ rief er mit erhöhter kräftiger Stimme. „Zu allen Zeiten sind die Franzosen tapfer gewesen. Von Julius Cäsar an bis jetzt ist es eine Nation voll Bravour. Sie waren nur schlecht commandirt.“

Ob wohl ein Geschichtsprofessor der Sorbonne oder sonstwo in Frankreich, wenn dieser die jähe Flucht der Erben des Lorbeers von Roßbach bei Jena im Jahre 1806 erzählt und die Zuhörer ebenfalls vor Jubel über den alten steifen General Möllendorf lachen, eine entsprechende Aeußerung thun würde über die Deutschen und unsern Ruhm der Tapferkeit von des Tacitus’ Zeiten an?




Ehestandsdifferenzen.


(Schluß.)


„Nicht, daß gelegentlich die ‚Frauenfrage‘ rücksichtslos discutirt wird,“ fuhr der Meister mit einem lächelnden Blick nach seiner Schülerin fort. „Das müssen sich diejenigen gefallen lassen, die als gleichberechtigt in die Schranken treten wollen, aber daß im geselligen Verkehr, wie im Innern des Hauses von vielen deutschen Männern ein Uebermaß von Formlosigkeit zur Schau getragen wird, was nahe genug an die Rohheit streift, das dürfte nicht zu leugnen sein. Das war’s auch, was ich vorhin unter der Schuld der Männer verstand.“

„Sollen wir’s vielleicht machen, wie die Franzosen, die den Hut in der Hand mit Madame sprechen, um sich hernach anderswo für den ausgestandenen Zwang zu entschädigen?“ rief Franz.

„Die Hand an den Hut, wenn Du Deiner Frau auf der Straße begegnest, könnte Dir nicht schaden,“ erwiderte Arnold, „und im Uebrigen ist auch bei uns die Grobheit kein ganz untrüglicher Maßstab der ehelichen Treue. Ueberflüssig ist sie jedenfalls und schädlich dazu, denn sie verdirbt den Ton im Hause, lehrt die Herren Söhne mit der Mutter gleichfalls respectlos umgehen und streut so viel Widerwärtigkeit in das Leben, daß die Leute zuletzt ohne eigentliches Unglück nicht mehr glücklich sind. Man sollte wirklich meinen, die Höflichkeit sei nur für Solche, die wir nicht lieben und unsere Nächsten hätten das ausschließliche Recht auf Rücksichtslosigkeit und übele Laune. Ja, ja, lieber Freund,“ fuhr er kopfnickend fort, als sein Schwager

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_319.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)