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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 19.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Doctor Bruck widersprach mit keinem Worte, allein es war, als schließe er gewaltsam die Lippen gegen die Versuchung, zu sprechen. Seine Augen sahen seitwärts mit einem festen, ausdrucksvollen Blick auf sie nieder, und die Rechte, die er auf den Gartentisch gestützt hatte, zog sich wie im Krampfe zusammen. In dieser Stellung, in allen Linien seines schönen Gesichts lag das Grundgepräge dieses Männercharakters, die Verschlossenheit, die Willenskraft, die sich nur im äußersten Falle eine Erklärung abringen läßt.

„Ich bin mit innerem Widerstreben hierher zurückgekehrt,“ hob sie wieder an. „Die alte Dame da drüben“ – sie zeigte in der Richtung nach der Villa Baumgarten – „hat mit ihrem Präsidentenstolz meine Kindheit vergiftet, wo es ihr irgend möglich war, und die bitteren Thränen, die sie mit ihrer fortgesetzten Impertinenz meiner armen Lukas damals erpreßt, kann ich ihr nie vergessen. Sie wissen, wie mir bei meiner Ankunft vor dem Zusammentreffen mit meiner geistesstolzen Schwester Flora bangte, und wie ich angesichts der Villa am liebsten Kehrt gemacht und zur selben Stunde die Rückreise in mein Dresdener Heim angetreten hätte – wäre ich doch gegangen! Neben dem Beamtenstolze und der geistigen Ueberhebung macht sich nun auch der unerträgliche Geldhochmuth breit – es weht eine von Goldstaub und Anmaßung erfüllte Luft dort drüben, in der auch das lebensfrischeste Denken und Empfinden verkümmern muß. Meiner ganzen Natur nach bin ich unfähig, in einem solchen Boden Fuß zu fassen, aber hier“ – mit gehobenem Arme deutete sie über Haus und Garten hin – „hier war ich heimisch; hier hätte ich selbst meine Dresdener Heimath vergessen können, warum – ich weiß es ja selbst nicht.“

Wie lieblich stand sie im schneeweißen Kleide da, den flechtengeschmückten Kopf sinnend gesenkt! „Die alte prächtige Frau hat mir’s angethan, glaub’ ich,“ setzte sie mit einem hellen Aufblicke hinzu, „ihre edle, einfache Erscheinung verhilft mir immer wieder zu innerem Gleichgewicht; sie geht leise und geräuschlos ihren Weg, und wenn man auch nie einen eigentlichen Widerspruch von ihren Lippen hört, nie ein eigensinniges Beharren bemerkt, so weicht sie doch nicht um eine Linie von dem, was sie für gut und recht hält, ab. Das thut wohl im Hinblicke auf so viel inhaltslose Vornehmthuerei, auf so viel lügenhafte Aufbauschung und Aufgeblasenheit und auch – so manche beklagenswerthe Schwäche, in die leider selbst der männliche Geist verfallen kann.“ Die Brauen finster faltend, warf sie einen kleinen, blüthenschweren Zweig, den sie unterwegs gepflückt und bisher spielend zwischen den Fingern gedreht hatte, verächtlich weit von sich.

Diese eine Bewegung reizte und empörte den vor ihr stehenden Mann sichtlich. Ein düsteres Feuer glomm in seinen Augen auf – er hatte sie verstanden. „Sie haben vorhin eine Tugend der ‚alten, prächtigen Frau‘ aufzuzählen vergessen: die Milde und Vorsicht im Richten,“ sagte er scharf und strafend. „Nie würde sie ein so unbedingt verdammendes Urtheil in der unfehlbaren Weise aussprechen, wie Sie eben gethan, weil sie weiß, wie leicht man mißversteht, und daß gar manchmal – wie es sich denn auch in dem von Ihnen betonten Fall verhält – gerade hinter der vermeinten Schwäche sich ein Aufbieten aller inneren Kraft verbirgt.“ Er sprach in heftiger Steigerung; die schlichte Gelassenheit, die er nicht einmal bei dem mächtigen Wechsel seiner Lebensstellung auch nur momentan eingebüßt, war von ihm gewichen.

Wohl senkte Käthe in der ersten Bestürzung die Wimpern tief auf die heißen Wangen, aber sie fühlte sich im Recht; er war namenlos schwach gegen sich selbst, in seiner Liebesleidenschaft, wie in seiner Abneigung – das letztere hatte sie ja eben an sich selbst erfahren müssen. Sie warf trotzig den Kopf zurück.

In diesem Augenblicke kamen die kleinen Schülerinnen im Haschespiele um die Hausecke gelaufen. Käthe erblicken und jubelnd auf sie losstürmen war Eins. Daß der Doctor mit seinem tiefverfinsterten Gesicht neben dem Mädchen stand und die Hände abwehrend ausstreckte, kümmerte die fröhliche Schaar nicht – im Nu war die schlanke, weiße Gestalt umringt; die kleinen Hände stießen und drängten sich gegenseitig weg, Jedes wollte die Aermchen um „die schöne Tante“ legen, oder wenigstens eine ihrer Hände erhaschen.

Trotz ihrer inneren Bewegung hätte Käthe beinahe hell aufgelacht; denn so fest sie auch auf ihren Füßen stand, sie schwankte unter dem Anpralle der elastischen Kinderleiber und konnte sich ihrer kaum erwehren, der Doctor aber ergrimmte, wie sie ihn ihn noch nie gesehen. Er schalt die Kleinen zudringlich, schob sie unsanft weiter und gebot ihnen mit harter Stimme, sich wieder hinter das Haus zu verfügen und dort zu warten, bis man sie entlasse.

Die Kinder schlichen betrübt und eingeschüchtert davon.

Käthe biß sich auf die Unterlippe, und ihr umflorter Blick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_311.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)