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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ich meine, so ungerecht dürfte auch mein Leo nicht sein, daß er neben seiner vergötterten Braut kein anderes weibliches Wesen gelten ließe.“

Käthe schrak zusammen – der Doctor brach in ein sardonisches Gelächter aus, so laut und erschütternd, daß sie sich davor entsetzte. Unwillkürlich hob sie den Fuß zur Flucht – nein, sie blieb. Das spöttische Lachen galt ihr – sie wollte wissen, wie der Doctor die gute Meinung der Tante, die ihr allerdings die Gluth der Beschämung in die Wangen trieb, widerlegen werde.

„Du bist sonst eine so kluge, klarsehende Frau, Tante, aber hier läßt Dich Dein Scharfblick kläglich im Stich,“ sagte er, das Lachen in jäher, unheimlicher Weise abbrechend. „Immerhin! Ich werde selbstverständlich Deine Ansichten nicht anfechten – wer vermag sich denn selbst in das Gesicht zu schlagen? Ich habe Dich nur um Eines zu bitten: daß unser Zusammenleben bis zu meiner Abreise sich genau wieder so gestalte, wie es vordem war – wir wollen allein sein. Du hast Dich früher ohne die Gesellschaft junger Damen vollkommen zufrieden gefühlt; suche Dich für die wenigen Monate meines Hierseins wieder in die ungestörte Einsamkeit zu finden – ich will Niemand hier aus- und eingehen sehen.“

„Also auch Käthe nicht?“

Ein starkes Aufknirschen des über die Steinfließen hingestreuten Sandes drinnen ließ das junge Mädchen vermuthen, daß der Doctor ungeduldig mit dem Fuße auftrete. „Tante, soll ich denn durchaus gezwungen werden –“ rief er erbittert, seine Stimme war kaum zu erkennen.

„Behüte Gott – Alles wie Du willst, Leo!“ unterbrach ihn die alte Frau erschrocken und doch ihr schmerzliches Bedauern nicht verbergend. „Ich werde mich bemühen, die Verbannung so schonend wie möglich einzuleiten, damit sie nicht allzu wehe thut. … Aber, mein Himmel, wie erregt Du bist. Leo, und wie fieberisch Deine Hand brennt! Du bist krank. Du opferst Dich für Deine Patienten. Nun, wenigstens hier in Deinem Heim werde ich Dir Ruhe verschaffen – darauf verlasse Dich! Darf ich Dir nicht ein Glas Limonade mischen?“

Er dankte mit beruhigter Stimme und verabschiedete sich. Käthe hörte, wie die Tante nach der Küche ging, wahrscheinlich, um das verspätete Vesperbrod herzurichten. Gleich darauf trat der Doctor unter die Hausthüre.




21.


Da, dicht neben der Thüreinfassung, lehnte das junge Mädchen an der Wand; mit blassem Gesicht, die Zähne fest zusammengebissen, starrte sie neben dem herabsteigenden Manne weg in die leere Luft – sie wollte ihn nicht sehen.

Er schrak bei ihrem Anblick zusammen und blieb einen Moment wortlos vor ihr stehen, die unbeweglich wie ein Wachsbild in ihrer Stellung verharrte. „Käthe!“ rief er leise, ängstlich zögernd wie Jemand, der einen in einem schweren Traum Befangenen zu erwecken sucht.

Sie richtete sich in ihrer ganzen Höhe und schlanken Schönheit auf und stieg langsam die Stufen herab. „Was wünschen Sie, Herr Doctor?“ fragte sie, drunten auf dem Rasen stehend, über die Schulter nach ihm zurück. Auch diese Bewegung hätte noch den Eindruck des Automatenhaften gemacht, wäre nicht der empört flammende Blick gewesen, den sie jetzt auf den Doctor richtete.

Er erröthete heiß wie ein Mädchen und trat zu ihr. „Sie haben gehört –“ fragte er unsicher, aber gespannt in jeder Gesichtslinie.

„Ja,“ unterbrach sie ihn bitter lächelnd, „jedes Wort, und habe damit selbst schlagend bewiesen, wie recht Sie thun, Ihr Haus von fremden Eindringlingen zu säubern – die Wände haben Ohren.“ – Sie ging noch einige Schritte vom Hause weg, als könne sie nicht entfernt genug von der Schwelle stehen, die sie nicht mehr betreten sollte.

Er hatte sich währenddem gefaßt; er warf seinen Hut auf einen Gartentisch in Käthe’s Nähe und richtete seine hohe Gestalt aus der vorgeneigten Stellung empor, die er im ersten Zusammenschrecken angenommen. Aus seinen Wangen war die Röthe gewichen, aber es sah aus, als athme er auf, als sei es ihm erwünscht, daß eine solche Wendung eingetreten, daß ihm der Zufall zu Hülfe gekommen sei. „Die Furcht belauscht zu werden hat keinen Theil an dem, was ich vorhin meiner Tante ausgesprochen. Dieses stille Haus hat keine Geheimnisse, und das, was man in seine Brust verschließen muß, wird auch nicht laut zwischen Wänden, die keine Ohren haben,“ sagte er mit ruhigem Ernste. „Sie haben jedes Wort gehört – dann wissen Sie auch, daß mich nur der Wunsch nach momentanem Ausruhen bestimmt, ungestörte Stille zu fordern. Ich muß es leider gleich von vornherein aufgeben, diesen meinen rohen Egoismus entschuldigend zu motiviren. Sie können sich sicher nicht denken, daß es Seelen giebt, die fortgesetzt gleichsam auf der Flucht sind vor Gedanken und – Gestalten, aber vielleicht wird es Ihnen leichter, sich den schmerzlichen Zorn, die Qual eines Verfolgten vorzustellen, der erschöpft dem schützenden Heim zueilt und gerade da sich vor denen sieht, die er flieht.“

Sie sah mit ihren klugen Augen scheu prüfend zu ihm empor, der ihr während des Sprechens näher getreten war. Ja, es war ihm tiefer Ernst mit dem, was er sagte; er schilderte nicht nur die Qual eines solchen Verfolgten, er empfand sie auch in diesem Augenblicke wirklich und leibhaftig, das sah sie an seinem seltsam verstörten Blicke, an dem fahlen Erbleichen, das sein Gesicht gleichsam überschauerte; allein – vor seiner Braut floh er doch nicht, auch auf die unschuldigen Kinder konnte sich das Gesagte unmöglich beziehen; sonst aber verkehrte Niemand hier – außer ihr; mithin verhielt es sich in Wirklichkeit so, wie sie sich bereits tiefverletzt eingestanden: sie war ihm als Zeugin verschiedener Auftritte zwischen ihm und Flora lästig und unerträglich geworden; er mochte ihr wenigstens in seinem Hause nicht mehr begegnen, und die Unterrichtsstunden wurden nur sistirt, um ihr jeden Vorwand zum ferneren Aus- und Eingehen abzuschneiden. Diese Ueberzeugung machte ihre lieblichen Züge in dem Ausdrucke eisig lächelnden Unglaubens förmlich erstarren.

„Sie haben gar keine Verpflichtung, Ihre strenge Maßregel zu motiviren – Sie sind Herr hier, und das genügt,“ versetzte sie frostig. „Aber welche unbegrenzte Verehrung müssen Sie für die Frau Baronin Steiner hegen, daß Sie ihr die heißersehnte Ruhe opfern und ihren ungeberdigen Enkel sammt Gouvernante[WS 1] in das Haus nehmen wollen!“ – Das war eine herbe Zurechtweisung aus dem Mädchenmunde, der allerdings stets fest zu sprechen gewohnt war, noch nie aber gezeigt hatte, bis zu welcher Schneidigkeit die weiche Glockenstimme sich schärfen konnte. „Ach nein, thun Sie das nicht!“ rief sie in plötzlicher leidenschaftlicher Steigerung und streckte die Hand gegen ihn aus, als er überrascht und betreten die Lippen zu einer Entgegnung öffnete; „ich möchte nicht, daß Sie sich aus leidiger Höflichkeit zu einer Bemäntelung herbeiließen, und anders sprächen, als Sie denken. – Weiß ich doch nur zu gut, welche Beweggründe Sie leiten!“ Sie kämpfte sichtlich zornige Thränen nieder. „Ich habe einige Mal ungeschickter Weise Ihren Weg gekreuzt und begreife vollkommen die Erbitterung, mit welcher Sie vorhin sagten: ‚Immer dieses Mädchen!‘ … Ich kann mir ja selbst dieses Ungeschick nie verzeihen, obgleich ich in Wahrheit nur ein einziges Mal schuldig gewesen bin, d. h. mit Vorbedacht mich eingemischt habe. Sie aber gehen noch unerbittlicher mit mir in’s Gericht – Sie verfolgen mich dafür.“


(Fortsetzung folgt.)




Ein Lieblingsvogel des Volkes.


Frühlingsbild von Karl Müller.


So sehe ich dich gern, du Liebling des Volkes, du Freund der naturfrohen Jugend, du treuer Gast der Städte und Dörfer, die dir das Bürgerrecht bieten in Würdigung deiner Verdienste um die ackerbautreibende Menschheit: so vom Wonnegefühle der Frühlingsempfindung erregt, schlagend mit den Flügeln und balzend mit schwellender Brust und Kehle im knospenreichen Haselnußgesträuch; so versunken in die sich verjüngende Welt, bist du mir willkommen, schmucker Vogel, heiterlauniger Staar.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gouvervante
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_298.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)