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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 18.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Traurig genug!“ murmelte Henriette mit heiserer, fast erstickter Stimme und zornig geballten Händen. „Ich muß mir immer wieder Bruck’s männliche Festigkeit in seinem ganzen sonstigen Verhalten und Auftreten in’s Gedächtniß zurückrufen, um ihn nicht als – Schwächling zu verurtheilen.“

„Es handelt sich eben nur um die Spanne Brautzeit bis zum September,“ fuhr Flora fort, Henriettens Einwurf mit spöttischem Achselzucken einfach übergehend, „und es ist nichts anderes, als ein höfliches Zugeständniß meinerseits, der Alten gegenüber; ich wünsche mich mit ihr zu vertragen. In L…..g ändert sich freilich Alles; da fallen dergleichen Rücksichten von selbst weg, und was Bruck betrifft, so wird er in den ersten Wochen unserer Ehe einsehen, daß eine Frau, wie sie die Tante für ihn wünscht, nicht nur eine beschämende Last, sondern geradezu eine Unmöglichkeit für ihn sein würde. Dann erst kann er meinen Werth vollkommen erkennen, wenn der Salonverkehr seines Hauses, dem ich präsidire, den rechten Lüstre über seine hervorragende Stellung wirft; wenn er mich stets in gewohnter Eleganz und Sicherheit auf meinem Posten findet, ohne daß mein Fernhalten von Hauswesen und Kinderstube pecuniäre Opfer seinerseits fordert. Ich habe bereits Alles berechnet; nach Abzug meiner Toiletten- und Nadelgelder bleibt wir von meinen Revenüen so viel übrig, daß ich den Gehalt einer perfecten Köchin, der Wirthschaftsmamsell, der Kinderfrau und der Gouvernante aus meiner eigenen Tasche bezahlen kann.“

Sie sah bei den letzten Worten auf ihre glänzenden, rosenfarbenen Nägel, dann wandte sie mit einer langsamen stolzen Bewegung den Kopf seitwärts – der deckenhohe Spiegel warf ihre Gestalt zurück, diese blendende Erscheinung, bei deren Anblick man sich allerdings unmöglich denken konnte, daß sie je in trauter Häuslichkeit einen kleinen Liebling auf den Knieen wiegen, am Krankenbettchen Märchen erzählen und in der Kinderstube das sein werde, was die treue Mutter sein soll, das tröstende Licht, das keine Nacht aufkommen läßt, die höchste Instanz, die mit einem Kusse jeden Streit schlichtet, die unermüdlich stützende Hand, an der das Kind geistig und physisch laufen lernt.

Und ihr Blick irrte wie schönheitstrunken weiter und blieb vergleichend an dem weißgekleideten Mädchen hängen, hinter welchem die blausammtene Portière niederfiel. Von diesem Grunde hoben sich die jugendlich schwellenden Glieder, die unvergleichliche Schönheit der Gesichtsfarben unter der dicken Flechtenkrone, die im reinsten Perlmutterweiß schwimmenden dunklen Augensterne herrlich ab, und wenn die schöne Flora in ihrem Gesammtausdrucke das wissende Weib repräsentirte, das bereits tief in das Leben geschaut hat, so stand da neben ihr ein jungfräulich keuscher Schwan in naiver Unschuld und fleckenloser Seelenreinheit. Vielleicht mißfiel ihr das. Sie lächelte das Spiegelbild spöttisch an und nickte hinüber.

„Ja, ja, meine Kleine, so veilchenhaft bescheiden wirst Du nicht immer bleiben, und die häuslichen Bestrebungen, zu denen Dich die Lukas in so unvernünftig übertriebener Weise erzogen, sind bei Dir ebenso wenig am Platze, wie bei meiner künftigen Lebensstellung. Moritz wird Dir nie das unharmonische Geklingel mit dem wirthschaftlichen Schlüsselbunde gestatten – darauf verlasse Dich, und wenn er Dir galanter Weise sogar zehnmal einen Geflügelhof in Aussicht stellt! Gerade er mit seinem neugebackenen Adel wird in Bezug auf die etiquettengemäß weißen, geschonten Hände seiner Frau penible sein, wie kaum unser Allerdurchlauchtigster.“

Käthe war längst erröthend aus dem Bereiche des Spiegels getreten. „Das mag Moritz halten, wie er will. Was geht das mich an?“ fragte sie in halbgewendeter Stellung, aber die Augen groß und verwundert auf das Gesicht der Schwester richtend.

„Aber ich bitte Dich, Flora, wie kannst Du so tactlos sein. Moritz in so unumwundener Weise vorzugreifen?“ rief Henriette erschreckt; sie fixirte mit einem besorgten, verlegenen Seitenblick Käthe’s Gesichtsausdruck.

„Ach was, er kann mir nur dankbar sein, wenn ich ihm den Weg ein wenig glatt und eben mache. Und glaubst Du denn, ich spräche da etwas aus, das Käthe nicht selbst längst wüßte? Es giebt kein Mädchen über fünfzehn Jahre, das nicht mit den Fühlfäden des Sehnens und Wünschens unausgesetzt sondirte und sofort wie durch einen elektrischen Schlag fühlte, wenn ein Männerherz sich ihm zuneigt. Die das nicht zugeben, sind entweder zu dumm oder raffinirte Coquetten.“ Sie maß wieder ihr Spiegelbild vom Kopfe bis zu den Fußspitzen und zog die Löckchen tiefer in die Stirn. „Wer vorhin Augen gehabt hat, zu sehen, wie unsere Kleine sich vertrauensvoll und hingebend anzuschmiegen weiß, der kann nicht mehr fehlgehen – gelt, Käthe, Du verstehst mich?“ Jetzt lächelte sie mit frivol blinzelnden Augen unter dem hochgehobenen Arme weg die junge Schwester an.

„Nein, ich verstehe Dich nicht,“ versetzte das Mädchen mit stockendem Athem; ein undefinirbares Gemisch von heftigem Widerwillen und böser Vorahnung stieg in ihr auf und machte sie ängstlich.

„Komm, Käthe, wir wollen gehen,“ sagte Henriette und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_295.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)