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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

lasset mein Volk passiren!“ vernahm er dieselbe Antwort sowohl von der Schildwache, als von dem herbeigerufenen Lieutenant, wie endlich von den citirten Rathsherren: „Es ist der Befehl unserer gnädigsten Herrschaft, kein fremdes Volk hier durchzulassen, und darum müssen wir unsere Thore zuhalten.“ Obwohl der Bürgermeister offenbar direct aus seiner landwirthschaftlichen Goldgrube daherkam, denn die Spuren davon reichten ungenirt bis in die Kniekehlen herauf, so bedeutete er doch trotziglich den Herrn: „Wenn Ihr weiter marschiren wollet, so führt auch ein Weg hinten um die Stadt herum nach Nürnberg.“ – Da commandirte der Major alle Zimmerleute herbei und rief nochmals den Rathsherren zu: „Wollt Ihr Eure Thore ganz behalten, so macht auf!“ Der Bürgermeister jedoch sprach: „Thut was Ihr wollt! Wir machen nicht auf.“ So wurden denn die Thore mit Ach und Krach eingehauen, und mit Trompeten, Trommeln und Pfeifen marschirten alle drei Corps in die Stadt hinein; drinnen aber standen die von Nieder-Schmalkalden und Schwallungen ausgerissenen Milizen, commandirt von einem Barbier als Lieutenant und einem Schuster als Fähndrich, und präsentirten vor den einziehenden Siegern das Gewehr.

Wasungen war erobert. Der Trotz der Bürger jedoch blieb ungebrochen. Stundenlang noch wehrten sie sich gegen jede Einquartierung, bis das Donnern und Wettern der hungernden und frierenden Soldaten auf dem Markt und in den Gassen ihre eigenen Officiere erschreckte und das Versprechen des Commandanten, am Morgen wieder abzuziehen, die Rathsherren vermochte, den alten Steuerfuß hervorzusuchen und die Quartierzettel darnach zu schreiben. So kam man endlich zu äußerlicher Ruhe. Die Sieger fühlten sich gleichwohl noch unbehaglicher als die Besiegten. Ist es nicht echter Helden Art, den Gegner niemals zu unterschätzen? Also war es auch hier. Obwohl schon am folgenden Tage (den 14.) frische Verstärkungen von Gotha das Executionscorps auf nahe an 500 Mann brachten und der Beschluß feststand, am nächsten Tage (den 15.) einstweilen zur Blokade von Meiningen vorzugehen, um nach Ankunft des schweren Geschützes die Belagerung um so ernstlicher beginnen zu können, so richtete sich doch vor dem oberen Thore mancher nachdenkliche Blick gen Süden, denn die Kunde war rasch von Ohr zu Ohr gedrungen, daß in Meiningen eine todesmuthige Bürgerschaft, eine kampflustige Soldateska und mit schwerem Geschütz gespickte Thore und Wälle den Tanz mit den „Gothischen“ kaum erwarten könnten.

Offenbar in Erwiderung dieses ritterlichen Compliments war in Meiningen ebenfalls der Respect vor dem Feinde durch dessen Thaten vom todten Lieutenant von Nieder-Schmalkalden bis zu den eingehauenen Thoren von Wasungen zum Durchbruch gekommen. Kriegs- und andere Räthe erkannten in ihrer Tapferkeit es als das Klügste, die Frau von Gleichen nebst Gemahl ihrer Haft zu entledigen und dies sofort nach Wasungen zu vermelden. Und so geschah’s. Zwar „maintenirte“ die Frau Landjägermeisterin nun auch im Gefängniß ihren Posten und wollte nicht daraus weichen, ohne vollste Genugthuung empfangen zu haben, aber endlich gab sie doch nach und feierte daheim das Wiedersehen der Ihrigen.

Die Meininger Botschaft betrachtete der Herr Oberstlieutenant in Wasungen mit Augen voll Entrüstung als ein „Halt!“ in seiner Siegesbahn; auch vermißten die Herren Räthe ihre Anerkennung als kaiserliche Commission. Demgemäß marschirte am folgenden Mittage (den 15.) ein Commando von dreißig Pferden und zweihundert Mann vor dem Herrn Oberstlieutenant auf dem Markte auf und sollte soeben gegen Meiningen abrücken, als Punkt zwölf Uhr „die Braut, um die man tanzte“, in eigener Person zum Thore hereinfuhr: die Frau von Gleichen.

Sie kam, um sich unter den Schutz der Commission und Execution zu stellen. Ungeschickter hätte sie den Augenblick zu dieser Vorstellung nicht wählen können. „Die so unvermuthete Ankunft der Frau von Gleichen hat uns nicht wenig surpriniret und in große embarras gesetzet“ – sagten die Herren Räthe; der Oberstlieutenant grollte: „Sie hätte abwarten sollen, bis man sie abgeholt habe,“ – und schließlich folgte sie der unverblümten Weisung, wieder heimzukehren, um sich gebührendlich seinerzeit mit einnehmen und erobern zu lassen.

Daß kleine Ursachen oft große Wirkungen haben, wird hier abermals offenbar. Als Herzog Friedrich in Gotha den Bericht der Räthe und Goldacker’s über diese Thaten und Geschichten gelesen, erkannte er, daß er, bei dem durch die Freilassung der Gleichen’schen Eheleute gezeigten guten Willen Meiningens zum Nachgeben, nunmehr von jedem Angriffe auf die Hauptstadt Meinungen absehen, dagegen Wasungen besetzt halten müsse, bis die volle Anerkennung der kaiserlichen Commissions-Autorität und die Bezahlung der Reichs-Executions-Unkosten erlangt sei.

Alle Heldenseelen versanken in Trauer. Am 15. Februar Abends war die gesammte Executionsmacht, wie sie im Friedenstein vor dem Herzog gestanden, bis auf die Artillerie, in Wasungen und Schwallungen vereinigt. Und nun gebot der Kriegsherr statt der siegesfreudigen Offensive die traurige Defensive und zog fast die Hälfte der Truppen wieder nach Gotha zurück. Doch tröstet Euch, Helden von Gotha! Euch winkt nach schwerem Leid noch ein Tag der Gloire. Auch Euren Kanonen ist’s bestimmt, das Echo dieser Berge zu wecken.

Weniger friedliebend als der Herzog von Gotha, zeigte sich der Meininger in Frankfurt. Er rief den fränkischen Kreis um Hülfe an, verklagte den Gothaer beim Reichstage zu Regensburg und befahl den Wasungern, die Gothischen auszuhungern. Alles vergebens, auch das Letztere, denn als Speise und Trank, welches die Wasunger den Soldaten verweigern mußten, desto reichlicher aus dem Hessischen herübergeschafft wurde, war bald auch den Wasungern wieder Alles feil. Folgewichtiger stellte sich das rastlose Rüsten und Entrüsten in Meiningen heraus. „Jede Zusammenziehung der dortigen Miliz zog neue Verstärkung in Wasungen nach sich, und ebenso schwächte man die Besatzung, wenn in Meiningen die Miliz wieder entlassen wurde.“ Die Soldaten gewöhnten sich an dieses Spiel des Hin- und Herziehens, und in Gotha verlor man die Schärfe der Aufmerksamkeit. Als aber auch die beiden besten höheren Officiere, Goldacker und Benckendorf, nach Gotha heimberufen und durch einen ehemaligen Cavallerie-Officier von ungewissen Verdiensten, Major Schütz, ersetzt wurden, faßten die Meininger frischen Muth, entschlossen, den Wunsch ihres Herzogs endlich zu erfüllen, das heißt die Gothischen mit Verlust ihrer Geschütze und Bagage aus dem Lande hinauszujagen.

Zwar sandte der Gothaer seinen kriegserfahrenen General von Rautenkranz nach Wasungen, um den Major Schütz für etwaige Angriffsfälle zu instruiren, aber die Besatzung blieb kaum dreihundert Mann stark. Erst als das Gerücht immer drohender mit in den Kampf zog, als für die zweite Pfingstnacht vom 22. auf den 23. Mai der Angriff der Meininger vorausgesagt und ihre Stärke von der Fama immer mächtiger aufgeblasen wurde, brach Benckendorf mit einem Hülfscorps für die Besatzung in Wasungen von Gotha auf.

Mit dieser schwarzen Wetterwolke im Hintergrunde stellen wir endlich unseren Lesern den Mann vor, dessen Name schon oben gesperrt gedruckt wurde, der von jetzt an eine wichtige Rolle in den nächsten Kämpfen spielt und dem wir die genauen Nachrichten über den Wasunger Krieg verdanken, denn er ist der Verfasser einer „Gründlichen Relation“ über denselben: Lieutenant und Adjutant Rauch, ein alter ehrlicher Haudegen mit scharfem Auge und noch schärferer Zunge. Er bemerkte schon vom frühen Morgen des 22. Mai an, daß im Hauptquartiere nicht Alles richtig war. Zwischen dem Major und den Räthen flogen die Boten hin und her, Officiere kamen und gingen, Reisewagen wurden gepackt – denn die Officiere hatten ihre Familien bei sich – und diese eilten plötzlich aus der Stadt. „Das Fahren und Postillonblasen ging tapfer auf Stadt Schmalkalden los.“ Da steckten auch die Bürger die Köpfe zusammen, denn das Gerücht war für sie so thätig, wie für die Gothischen. Alles verkündete Sturm. Die Leute, die aus der Kirche kamen, sahen das Rennen und Laufen und konnten kaum den Jubel ihrer Gesichter verbergen. Nur zwei der gothaischen Officiere blieben Männer: Hauptmann Brandis und Rauch. Alle übrigen hatten mit den Geheimen Räthen einen schreckensbleichen Kriegsrath gepflogen und einen Beschluß gefaßt, der vor jenen beiden verborgen gehalten wurde.

Am Nachmittag ertheilte Major Schütz dem Adjutanten Rauch den Auftrag, seine Disposition zu machen, wie zur Vertheidigung der Stadt alle Thore und Posten besetzt werden sollten. Rauch setzt sofort die Vertheilung der Mannschaft für die Thorwachen, deren Verstärkung und Piquets und für die Reserve in der Stadt auf,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_277.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2018)