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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

kam der Tag, wo die volle Schale des durchlauchtigsten Zornes sich über die Frau Landjägermeisterin allein und in einer Weise ergoß, daß ich’s bedaure, die Berichterstattung darüber als gewissenhafter Geschichtenschreiber nicht vermeiden zu können.

Am letzten Tage des Jahres war die Frau von Gleichen wiederum vor die Regierung geführt und dort abermals aufgefordert worden, das herzogliche Gebot zu erfüllen. Jedenfalls hatte der Scharfsinn der Herren Regierungsräthe die Antwort der Frau Landjägermeisterin vorausgesehen, denn kaum hatte sie ihre nochmalige Weigerung ausgesprochen, als eine fürstliche Kutsche vorfuhr, in welche die Gefangene mit Gewalt gebracht wurde; vier „Commandirte“ begleiteten sie und führten sie vor die Pfaffenräthische Wohnung. Hier sollte sie aussteigen, und da sie auch dies verweigerte, so wurde sie von zwei Musketieren aus dem Wagen gezogen, die Treppe hinauf in die Stube der Frau von Pfaffenrath getragen und hier auf einen Stuhl gesetzt. Auch die Herren Räthe waren bereits da; sie wiederholten Auftrag und Drohung ihres fürstlichen Herrn genau wie vorher auf der Regierung und erhielten genau dieselbe Antwort, doch fügte diesmal Frau von Gleichen hinzu: „Wenn die Frau von Pfaffenrath sich als unschuldig legitimiren kann, so will ich es aller Welt kund machen, eher aber durchaus nicht abbitten.“

Nach diesem Bescheide wurde die Frau Landjägermeisterin auf Befehl der Herren Räthe von den Musketieren wieder aus der Stube und in die fürstliche Kutsche hineingetragen, worauf die Fahrt weiter, und zwar bis auf die Mitte des Marktplatzes ging. Hatte man die Procedur, welche die Welt nun erleben sollte, absichtlich für einen Wochenmarkttag aufgespart, um für das seltsame Schauspiel eines ausgiebigen Publicums sicher zu sein? Die Kutsche fuhr in einen großen, von Soldaten geschlossenen Kreis, in welchem außerdem sich nur zwei Personen befanden. Die eine derselben war der Landrichter, welcher der Frau von Gleichen auszusteigen und, weil sie das verweigerte, sich wenigstens in den Schlag zu setzen befahl, was sie auch that, worauf er ein fürstliches Mandat ablas, kraft dessen das Pasquill auf die Frau von Pfaffenrath, weilen es nur Unwahrheit enthalte, durch den Schinder öffentlich verbrannt werden sollte. Die andere Person des Kreises war der Schinder, der das Papier sogleich in Empfang nahm, um es den vernichtenden Flammen zu übergeben. Dies Alles geschah so nahe an der Kutsche, daß die Kleider der Frau von Gleichen fast Feuer gefangen hätten. Dabei ereignete sich noch ein „curiöser Vorfall“. Man wird zugestehen müssen, daß an der exemplarischen Bestrafung der Frau Landjägermeisterin, nach der Frau von Pfaffenrath, Niemand mehr Interesse zu nehmen hatte, als der Herr Oberstallmeister und Hof-Stabs-Commandant von Buttlar. Diesem vollkommen entsprechend bog er in seinem Hause am Markte sich nach seiner Möglichkeit zum Fenster heraus, und da fügte es ein bedeutsamer Windzug, daß ein Fetzen des brennenden Papiers in die Höhe flog und sich in der Luft herumdrehte, bis er gerade vor dem Fenster niedersank, wo Herr von Buttlar herauslag – „welches sehr viele Leute gesehen und besondere remarques darüber gemachet“ – wie Frau von Gleichen selbst schriftlich hinterlassen hat.

Nach diesem Actus eines in der That „terriblen Schimpfs“ für eine so hochgestellte Dame wurde dieselbe in ihr Gefängniß zurückgebracht und beschloß auf diese Weise das alte Jahr. Schwerlich haben die beiden Thürme der Stadtkirche schon auf Terribleres herabgeschaut, als an diesem Sylvester; wer weiß, ob der heilige Kaiser Heinrich der Zweite sie überhaupt gebaut hätte, wäre ihm prophezeit worden, daß sie einst als die grauen Zeugen eines solchen hochfürstlichen Rechtsverfahrens dastehen müßten. Das Gewissen Seiner Durchlaucht befand sich jedoch bei diesen Anstrengungen ganz wohl, denn die Maßregeln wurden genau den Berichten angepaßt, welche der Herzog von seiner Regierung (Herr von Pfaffenrath) und vom Hofe (Herr von Buttlar) empfing.

Es darf nicht ungemeldet bleiben, daß man nach der Pasquill-Verbrennung allem Volke noch des Herzogs Befehl verlas: „daß es bei hundert Thaler Strafe oder sechs Wochen Gefängniß jedermänniglich verboten sei, von dieser Sache zu sprechen.“ – Zehn Jahre früher hatte schon der Herzog Ernst von Weimar „das Raisonniren derer Unterthanen“ bei Zuchthausstrafe verboten.

Solche Verbote hielten den Gang der Weltgeschichte nicht auf. Jenseits der Meininger Grenzen erhob sich die Gleichen’sche Freundschaft, und je härter die Gefangenen in Meiningen bedrückt wurden, desto lauter schrieen die Freunde das Reichskammergericht in Wetzlar um Hülfe an. Und das hohe Gericht des Reiches erhörte sie. Schon am 11. Januar 1747 erließ dasselbe an den Meininger Herzog und dessen Regierung den Befehl, die Gleichen’schen Eheleute sofort des Arrestes zu entlassen und allen Schaden und die Kosten zu ersetzen. Ganz natürlich ließ der Herzog auf dieses kaiserliche Mandatum den Arrest der Frau von Gleichen gebührendlich verschärfen, worauf ein zweites und drittes Mandat die Forderungen des Reichskammergerichts ebenfalls in verschärfter Gestalt wiederholte. Die Sache wurde um so bedrohlicher, als diesmal wirklich wieder einmal keine Partei nachgeben konnte. Denn wäre es nicht geradezu unerhört gewesen, wenn der regierende Herr einem Adel gegenüber, welcher des Empörenden sich vermessen, Seine hochfürstliche Durchlaucht beim kaiserlichen Gericht zu verklagen, sich nachgiebig hätte erweisen wollen? Durfte der Herzog solche Widerspenstigkeit seines Adels in Gnaden ignoriren? Unmöglich! Aber ebenso gefährdet war das Ansehen von „Kaiser und Reich“, und da man in Wien dies überraschend schnell erkannte, so gelangte schon am 10. Februar ein kaiserliches „Commissariale“ an den Herzog Friedrich den Dritten von Sachsen-Gotha und Altenburg, in welchem das Reichskammergericht ihn verpflichtete und bevollmächtigte, das mißachtete kaiserliche Mandat in Meinungen im Nothfall mit Gewalt zur Anerkennung und Ausführung zu bringen.

Der geneigte Leser kann nun eigentlich schon von selbst wissen, woran er jetzt hier ist; die Ereignisse setzen sich in Galopp. Der Herzog von Meiningen wirft in Frankfurt den Reichkammergerichtsboten mit sammt seinem kaiserlichen Mandat zur Thür hinaus, – und in Meiningen wird die Gothaische Gesandtschaft mit ihrem „Commissariale“ gar nicht in die Stadt gelassen; ja, mit drohender Faust ruft man ihr nach: Wenn es Gotha nach Gewalt gelüste, werde man auch in Meiningen noch Pulver und Blei haben.

So ziehen ahnungsgrauend die Wetter auf. Die Trommel geht durch das Gothaer Land, und das Zeughaus voll Kanonen wird gelüftet, denn der Herzog ist ein allzeit kriegsbereiter Herr, der im tiefsten Reichsfrieden nicht unter 3000 Mann Soldaten aller Waffengattungen hält und auch mit sogenannten Subsidien-Regimentern, die er für den Kaiser und für die Holländer geworben, schon manch profitables Geschäftchen gemacht hat. Dazu übertrifft die Größe seines Landes und seiner Macht die Meiningens fast um das Dreifache. Indeß führt er nur sanfte Thüringer zum Kampfe, während dort die trotzigen „stolzen Franken“ stehen, und im ganzen Reiche weiß man, was „fränkisch“ zu bedeuten, hat.

Auch dort wird gerüstet; die Städte Meiningen und Wasungen sehen ihre Mauern und Wallgräben an und verrammeln ihre Thore; die Landmiliz setzt die „Salzmetzen“ (die Kopfbedeckung, wegen der hochaufregenden Stirnseite so genannt) auf und steckt neue Feuersteine in die alten Gewehrschlösser, – kurz, Vater Homer’s fliegendes Wort: „das Eisen ziehet den Mann an“ will sich abermals bewähren. – „Schön ist der Friede, ein lächelnder Knabe“ –, aber er ist entflohen den zweien Landen, die vergeblich der Thüringerwald mit granitenem Rücken trennt, – die Schwerter fahren aus den Scheiden, die Völker schauen zagend zum Himmel, Blitze zucken näher und näher –

„und des Donnrers Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.“

Friedrich Hofmann.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)