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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

 Anastasius Grün.

 Zum siebenzigsten Geburtstage.

„Ich seh’ die Morgenwolke leuchtend steigen“
O, wie prophetisch einst dies Wort erklang!
Als hehrer Wartthurm wird Dein „Schutt“ sich zeigen,
Wenn eitler Prunkbau längst in Trümmer sank.
Wie wahrst Du treu des Deutschthums heil’ge Flammen
In fernster Ostmark – dennoch nicht verwaist! –
Hält auch kein Band des Reiches uns zusammen:
Dein Lied ist unser! Unser ist Dein Geist!

Du sahst die Morgenwolke leuchtend steigen
Und scheu entflieh’n der Knechtschaft blöde Nacht;
Du führtest kühn im Freiheitssang den Reigen;
Du standst, ein Feldherr, in der Geistesschlacht.
Von höh’rem Adel noch als einst Dein Ahne
– Er rang vom Türkenjoch die Heimath frei –
Schwangst Du die Waffen, tödtlich jedem Wahne,
Gen slavische und röm’sche Barbarei.

Du sahst die Morgenwolke leuchtend steigen,
Sahst das Gestirn des Tages noch in Pracht,
Und will sich leis’ die Abendröthe neigen,
So wartet Dein die schönste Sternennacht.
An Deutschlands Himmel strahlt Dein Sängername,
Und ob dereinst Dein Saitenspiel zerreißt –
Den Du gesä’t, in Blüthe steht der Same:
Dein Lied bleibt unser! Unser bleibt Dein Geist!

 Ernst Scherenberg.




Erinnerungen an Freiligrath in London.


Vor etwa vierzig Jahren verhielt sich äußerlich und namentlich in der Politik scheinbar noch Alles ruhig, reinlich und bescheiden, und die Julirevolution von 1830 schien in Hessen-Kassel und Sachsen in ihrem Einflusse auf Deutschland die äußersten Grenzen erreicht zu haben, ohne sich nach Preußen zu wagen. Aber das junge Deutschland hatte in der schöngeistigen, die Hegelei in der wissenschaftlichen Anschauungsweise und Literatur schon tüchtig aufgeregt und aufgeräumt. Der alte, liebenswürdige Cultusminister von Altenstein, ein Schüler Fichte’s und Mitarbeiter an den Hardenberg’schen und Stein’schen Reformen, pflegte in Berlin nicht nur seine Blumen, sondern begünstigte auch in ganz Preußen freie Forschung und Wissenschaft. In Halle war Ruge aus dem Gefängnisse bald bis auf einen Universitätslehrstuhl gestiegen und offenbarte uns von da aus in seiner derben, pommerschen, unbarmherzig dialektischen Weise die Geheimnisse der Hegel’schen Philosophie und Aesthetik. Dabei spottete er viel über die alte, trockene Kathederwissenschaft und gab uns bereits den Geist der „Halle’schen Jahrbücher“ zu kosten. Dies machte auch uns Studenten übermüthig, hoffnungsvoll und spottlustig in Prosa und Versen über die alte Zeit. Ohne Dichter zu sein, gründeten wir doch einen Halle’schen Dichterbund, gewannen sogar den alten, weißhaarigen Fouqué dafür, gaben ein ziemlich dickes Bändchen „Werdelust des Halle’schen Dichterbundes“ heraus und zogen uns namentlich den Haß des bereits mit Ruge kämpfenden kleinen gelbsüchtigen, damals universitätsmächtigen Professors Leo zu. Dies trieb mich von Halle nach Berlin, wo ich im Juli 1838 nichts Eiligeres zu thun hatte, als dem Dichter und Herausgeber des „Deutschen Musenalmanachs“ ein Exemplar „Werdelust“ zu überreichen. In einem grauen Jäckchen, von langen grauen Locken umwallt, saß Chamisso auf dem Sopha, blätterte grimmig blickend ein paar Mal in der „Werdelust“ hin und her, warf sie unwillig auf den Tisch und meinte, daß jetzt überhaupt alle Dichter die Feder und das Maul halten müßten. „Seitdem Dieser zu singen angefangen (dabei händigte er mir einen ganz frischen Band Gedichte ein), sind wir Alle Spatze. Nehmen Sie’s mit, lesen Sie, und Sie werden, wie ich, auf immer von weiterer Versemacherei geheilt sein.“

„Gedichte von Ferdinand Freiligrath“ hieß der Titel. Wir hatten zwar schon von ihm gehört und gelesen, besonders in Chamisso’s Musenalmanach, aber diese Begeisterung des alten echten Dichters über den neuen erfüllte mich mit wahrhaftem Staunen über die Größe Beider. Nur ein echter Dichter kann einen andern, indem er den Todesstoß von ihm erhalten zu haben meint, so bewundern und würdigen.

Ja, das waren ganz neue Saiten auf der Leyer der deutschen Lyrik und ein ganz neuer Virtuose auf diesem bereits von unzähligen Laien gemißhandelten und nicht wenigen Meistern wundervoll gespielten Instrumente. Eine Gottesgabe des weiten Schauens in die Ferne, eine dichterisch schwunghafte Völker- und Länderkunde mit Rhythmen und Reimen, welche uns mit zauberhaften, unerhörten Klängen zum Wüstenkönig lockten und in zwei Zeilen aus dem spanischen Fandango an die Ufer des Hoango springen ließen. Der furchtbare, hinreißende blutrothe politische Zorn seiner Muse war in diesem ersten Bande des jungen, noch rein schwärmenden Dichters und Amsterdamer Commis noch mit keiner Spur zu finden. So konnte er und wurde er von allen Ständen, allen Parteien bis zum absolutistischen Könige und Kronprinzen und den allerunterthänigsten höchsten Staatsbeamten gemeinsam bewundert, geliebt, gelobt und gelesen. Mit welchem Eifer ich Freiligrath’s Gedichte im Chamisso’schen Exemplare verschlang, davon habe ich noch heute einen erquickenden Nachgenuß. Einige Wochen später wollte ich dem graulockigen Peter Schlemihl das Exemplar zurückgeben, aber da hieß es, er selbst könne es nicht mehr in Empfang nehmen, da er während der Nacht gestorben sei.

An diesem letzten achtzehnten März folgte ihm nun auch Freiligrath. Letzterer ist ebenso wenig gestorben, wie Chamisso im August 1838. Die Furcht seiner Bescheidenheit, daß ein Freiligrath ihn dichterisch getödtet habe, hat sich weder an ihm noch an irgend einem anderen echten Dichter bewahrheitet. Jeder steht vielmehr in seiner eigenen individuellen Größe um so kenntlicher in der Walhalla der Unsterblichen, als der Eine wohl kaum einen Vers des Andern hätte machen können.

Auf die eben angedeutete Weise lernte ich Freiligrath kennen und bewundern. Ich mußte mehr als ein Dutzend Jahre warten, ehe ich ihn zuerst von Angesicht zu Angesicht sah und in manche gemüthliche, freundschaftliche Beziehung zu ihm trat.

Die Manteuffel-Hinckeldey’sche Brutalität und Willkür hatte ihn und mich nach London getrieben. Die Deutschen begrüßten ihn mit einem großartigen Festessen und volltönigen Reden. Alles war gespannt, den gefeierten Dichter und Märtyrer, den starken robusten Mann mit seiner schönen Baßstimme und der hinreißenden Zaubergewalt seines Wortes in Gegenrede danken zu hören. Aber wie ängstlich und beinahe mitleidig wurden sie, als der furchtbare Republikaner und gewaltige Dichter wie ein bescheidenes, verschämtes Mädchen stotterte und stammelte, um die nothdürftigsten Dankesworte über die Lippen zu bringen! Ja, dies war und blieb eine, ich möchte sagen rührende Eigenheit des gewaltigen Dichters und blutrothen Republikaners, daß er in größerer Gesellschaft, sowie in der Prosa sich immer schüchtern und unbeholfen fühlte und überhaupt im Privatleben seine Dichtergabe gewissermaßen unter einen Scheffel verbarg, sich lieber wie ein mittelmäßiger, liebenswürdiger Pfahlbürger von wenigen und schlichten Worten erwies, statt sein Licht leuchten zu lassen. So lernte ich ihn später im eigenen Hause und in eigener Familie, sowie in kleinen Gesellschaften persönlich näher kennen und lieben.

Seine erste Bekanntschaft machte ich auf eine sonderbare Weise. Nachdem mit der Ausstellung von 1851 unsere von Lothar Bucher, Bamberger, Faucher etc. herausgegebene deutsche Auflage der „Illustrated London-News“ eingegangen war, kam es zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_250.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)