Seite:Die Gartenlaube (1876) 243.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 15.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Das junge Mädchen antwortete nicht. Sie ließ die Hand vom Riegel gleiten und wandte das Gesicht mit den strenggeschlossenen Lippen langsam der Schwester zu. Ob die Uebermüthige dort nicht erschrak, ob sie sich nicht schämte vor dem Laute der eigenen Stimme, hier auf dieser Stelle? „Mich sieht dieses Haus nie wieder,“ hatte sie gestern gerufen, und jetzt stand sie bereits auf der ersten Thürstufe, um einzutreten, um zurückzukehren in „die bedrückend armselige Umgebung“.

„Nimmst Du Flora’s Scherz übel, mein Liebling?“ fragte der Commerzienrath, rasch zu Käthe tretend. Er legte ihren Arm in den seinen. „Du kannst Dir das getrost gefallen lassen, bist Du doch auch ein reizendes Hausmütterchen. Du sahst zum Malen hübsch aus unter dem bunten Hühnervolke. Warte nur, Du sollst einen Geflügelhof bekommen, wie er sich prächtiger nicht denken läßt.“

Die Präsidentin, die eben majestätisch die Steinstufen hinaufstieg, hielt einen Moment inne, als versage ihr der Athem – sie drehte den leicht nervös zitternden Kopf verächtlich nach dem zärtlichen Vormunde zurück, dann beschleunigte sie ihre Schritte. „Hirnloser Schwätzer! Er ist und bleibt sein Lebenlang der abgeschmackte Commis Voyageur!“ murmelte sie erbittert Flora zu, die schnell das Taschentuch vor den Mund hielt, um nicht in ein lautes Gelächter auszubrechen.

Käthe ließ wie unbewußt ihre Hand auf dem Arme ihres Schwagers liegen. Sie hörte kaum, was er sagte; sie bemerkte auch nicht die seltsame Ueberraschung, mit welcher Doctor Bruck, stumm und starr wie eine Bildsäule, das Paar an sich vorüberschreiten ließ; sie sah nur, daß Flora an der schmalen Hand, die sie eben mit dem Taschentuche zum Munde führte, einen schwarzen Halbhandschuh trug; das feine durchbrochene Seidengewebe harmonirte mit den Spitzen, die über die ganze Gestalt gleichsam hinrieselten; dies machte die weiße Haut wie Elfenbein aufleuchten und ließ die Finger schlank hervortreten. Die zwei kleinen Brillantringe funkelten nicht mehr am Ringfinger, „der einfache Goldreifen, der grob wie Eisen drückte“, blinkte matt über dem Handschuh. Unmöglich! Dort rauschten ja die Wellen über ihn hin. Käthe hatte plötzlich die Empfindung, als sei sie der natürlichen Ordnung aller Dinge entrückt, als dürfe sie ihren gesunden Augen und Ohren nicht mehr trauen.

„Nun?“ fragte die Präsidentin erstaunt im Hausflur stehen bleibend; sie zeigte pikirt mit finster zusammengezogenen Brauen auf das umherstehende Geräth aus der Villa.

„Henriette hat die Entfernung der Möbel so lebhaft gewünscht, daß ich nachgeben mußte,“ sagte Doctor Bruck mit tonloser Stimme kalt und gleichgültig.

„Sie hat auch vollkommen Recht. Es war eine wunderliche Idee – nimm mir’s nicht übel, Großmama! – das Krankenzimmer dermaßen vollzustopfen,“ warf Flora achselzuckend hin. „Das arme Ding leidet ohnehin schwer an Brustbeklemmung; es mag ihr zu Muthe gewesen sein, als solle sie mit all dem dicken Polsterzeug erstickt werden.“

Die Großmama hatte eine herbe, schneidende Antwort auf den Lippen, das sah man; allein sie schwieg in Rücksicht auf den Doctor und die in der Küchenthür stehende Magd und rauschte nach dem Krankenzimmer. Beim Eintreten fuhr sie ein wenig zurück – Henriette hatte sich weit aus dem Bette geneigt. Sie sah so erschüttert aus, und ihre weitgeöffneten, glänzenden Augen hingen mit einem so verzehrenden Ausdrucke an der sich öffnenden Thür, daß die Präsidentin befürchtete, mitten in einen Fieberparoxysmus zu kommen. Sie beruhigte sich indeß sofort, als die Kranke sie in der gewohnten kühlen Weise begrüßte; sie sah auch, daß der Blick voll unaussprechlicher Spannung Flora galt, welche unmittelbar nach ihr auf die Schwelle getreten war.

Die schöne Schwester ging direct auf die Tante Diakonus zu, die sich beim Eintreten der Damen erhoben hatte, und reichte ihr so zuvorkommend die Hand, als wolle sie den Händedruck nachholen, den sie gestern Abend vergessen hatte; dann wandte sie sich nach dem Bette. „Nun, Schatz,“ sagte sie zu der Kranken, „es geht Dir ja vortrefflich, wie man hört –“

„Und Dir, Flora?“ unterbrach Henriette sie mit kaum bezähmbarer Ungeduld, während sie dem hinzutretenden Commerzienrath, ihn zerstreut begrüßend, die Hand gab.

Flora verbiß mit Mühe ein moquantes Lächeln. „Mir? Ei nun, leidlich! Die gestrige Alteration spukt mir allerdings noch in den Nerven, aber ich habe ja Willen und Selbstbeherrschung genug, um sie niederzuhalten. Gestern freilich sah es schlimm aus in mir; ich war krank; ich glaube, ich bin halb wahnwitzig gewesen vor nervöser Aufregung; wenigstens bin ich mir nicht ganz klar über mein nachheriges Thun und Lassen – was Wunder! Daniel in seiner Löwengrube ist kaum übler daran gewesen, als ich in der ungeheuerlichen Situation. Unter solchen barbarischen Fäusten –“

„Nun, davor hat Dich Käthe tapfer geschützt,“ sagte Henriette ergrimmt. „Wie ein Schild hat sie vor Dir gestanden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_243.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)