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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

läßt ihn genau zur bestimmten Stunde sein Tagewerk beginnen; nicht einer Reveille bedarf es, um ihn zu wecken.

Die meisten seiner zahllosen Verehrer können sich den großen Feldherrn, der an der Seite seines königlichen Herrn und Freundes im Donner der Schlachten hielt und, mit dem Dichter zu reden, „mit seinem Blicke die Schlacht regierte“, nicht anders als im Kleide des Krieges mit Helm und Schwert denken. Aber in den stillen Räumen seines Arbeitszimmers, wie anders erscheint uns hier der Schlachtendenker! Er betritt dieses Zimmer im Morgenrock, den feingeformten Kopf mit einem Käppchen bedeckt. Wir empfangen einen wohlthuenden Eindruck von diesen Räumen. Nirgends ein Schmuck jener prahlerischen Zierrathen, welche häufig genug in den Zimmern von Personen anzutreffen sind, die den Eintretenden mit ihren Verdiensten und deren Anerkennungen bekannt machen wollen, nirgends ein grell hervortretender Gegenstand, auf den sich die Blicke sofort heften könnten. Alles ist hier friedlich, ernst und harmonisch; es macht den Eindruck, als walte in diesen Räumen ein emsig, aber im Stillen schaffender deutscher Gelehrter.

Die Lebensweise Moltke’s ist eine äußerst regelmäßige, wie dies bei einem festen, bestimmten, durch eigene Kraft und eigenen Willen vorgezeichneten Wirken auch nicht anders sein kann. Wie bei allen wahrhaft großen Erscheinungen, ist diese Lebensweise ebenso einfach, wie der Mann selbst, der ihr huldigt, bedeutend und glänzend dasteht. Wenn der Feldmarschall in sein Zimmer getreten ist, nimmt er den Kaffee ein, wobei der Duft einer Cigarre sich mit dem des Mocca verbindet. Nach genossenem Frühtrunk geht er an sein Tagewerk. Seine Feder gleitet schnell und stets sehr regelmäßig über das Papier, – er ändert nur höchst selten in einem Briefe oder Manuscripte; denn seine Gedanken sind immer fest, bestimmt und nie schwankend.

Mit dem Schlage neun Uhr bringt man ihm die Dienstbriefe, welche er sehr genau, obwohl schnell, zu lesen pflegt. Noch ist das Arbeitszimmer von keinem Anderen als von dem „großen Schweiger“ selbst und dessen Diener betreten worden, aber zwischen zehn und elf Uhr wird es lebendiger. Die Adjutanten erscheinen; die Rapporte werden abgestattet; hin und wieder beginnt eine kurze Discussion; eine Entscheidung wird gefällt, ein besonderer Befehl ertheilt. Während des Lesens der eingelaufenen Briefe liebt Moltke nicht, gestört zu werden, doch haben die Chefs der Abtheilungen zu jeder Zeit freien Zutritt, und nicht selten lösen mehrere jener Herren einander ab, wenn es gilt, wichtige Meldungen zu machen.

Erst um elf Uhr wechselt der Feldmarschall seine bequeme Hauskleidung und legt Uniform an. Seine Toilette ist schnell beendet. Bei gutem Wetter tritt er wohl dann und wann auf den großen, vor dem Zimmer hinlaufenden Balcon und läßt seine Blicke über den Platz, zu dem Denkmale schweifen, zu dem Wahrzeichen so vieler Siege, an deren Erringung er den größten, glänzendsten Antheil gehabt.

Dann beginnt er auf’s Neue zu arbeiten. Was seit der frühen Morgenstunde angekommen ist und schneller Erledigung bedarf, wird durch seine Hand gefördert und abgemacht. Während der Arbeit hat man ihm das höchst einfache Frühstück gebracht. Es besteht aus einem Brödchen und einem Glase jenes vielgenannten, vielgerühmten und viel angefeindeten Bieres, welches den Namen „Hoff’sches Malzextract“ führt und in pomphaft ausgestatteten Wagen durch die Straßen Berlins gefahren wird.

Die Arbeiten Moltke’s währen ohne Unterbrechung bis gegen zwei Uhr. Genau seine Zeit eintheilend und abmessend, schiebt er mit dem zweiten Glockenschlage die Arbeit zur Seite, denn die Stunde ist da, in welcher der Vortrag beginnt. Diesen halten die höheren Officiere ihrem Chef – er findet täglich ohne Ausnahme statt und ist, je nach den Umständen, von kürzerer oder längerer Dauer. Unser Bild stellt den Augenblick dar, wo Moltke in seinem Vortragszimmer kurz vor dem Eintritte der Officiere die eingegangenen Schriften mustert.

Erst nach Beendigung dieses Vortrages verläßt er das Arbeitszimmer, um einen Spaziergang zu machen. Man kann den Gefeierten nun, in seiner schlichten Weise grüßend, hin und wieder an den Läden verweilend, in den Straßen Berlins sehen. Moltke ist selbstverständlich eine der bekanntesten, populärsten Erscheinungen; es wird ihm gegenüber stets eine ganz besondere Ehrerbietung an den Tag gelegt, welche sich namentlich durch Vermeidung jeder Art des Drängens um seine Person kennzeichnet. –

Nach der Heimkehr von dem Spaziergange findet das Diner statt. Unser Held genießt es im Kreise seiner Familie. Sein Lieblingsgetränk ist Moselwein. Nach dem Schlusse des Mahles wird der Kaffee im Arbeitszimmer, und zwar am Kamine, bei der Cigarre eingenommen. Diese Zeit soll eine der angenehmsten und behaglichsten für den edlen Greis sein, der mit den Seinen in zwangloser, heiterer Unterhaltung bis fünf Uhr beisammen zu bleiben pflegt.

Um diese Stunde beginnt er wieder, einsam in dem Arbeitszimmer weilend, zu schreiben oder abwechselnd zu lesen. Erst um sieben Uhr macht er eine Pause. Die Zeitungen sind angekommen, und der Feldmarschall liest sie mit dem Eifer, den er für alle Erscheinungen und Ereignisse des Tages sich wachgerufen hat, wenn auch wohl zuweilen ein leichtes Lächeln durch seine feinen geistvollen Züge geht, indem seine Augen die Spalten des Blattes durchfliegen und er naiven Betrachtungen der Zeitungspolitiker begegnet, welche weit vom Ziele, das nur er kennt, abirren.

Den Thee nimmt er um acht Uhr Abends ein, dann setzt er sich an den Whisttisch. Man spielt das sogenannte Räuberwhist, in letzter Zeit eine Tour, die schwarze Dame genannt. Wie immer, wo es eine Berechnung, eine scharfe Combination gilt, ist auch im Spiele unser feiner Stratege Meister. Den Abend beschließt gewöhnlich eine kleine musikalische Unterhaltung, da Moltke der edlen Musica mit Leidenschaft zugethan ist. Durch die melodischen Klänge hindurch ertönen endlich die Schläge der elften Abendstunde; die Saiten verstummen; die Tasten des Pianos werden nicht mehr geschlagen; der Hausherr erhebt sich; sein Tag ist beendet. Durch die Fenster des Arbeitszimmers wirft der Mond seine Strahlen, und noch einmal, bevor Moltke seine Lagerstätte aufsucht, wirft er wohl einen Blick hinaus auf den mächtigen Platz, auf die hohe Säule.

Des Feldmarschalls Leben wird in seiner Regelmäßigkeit nur durch die Reichstags- und Herrenhaussitzungen unterbrochen, denen er bekanntlich mit größter Aufmerksamkeit folgt, ferner bringen seine Reisen, welche er entweder zur Cur oder zur Erholung antritt, sowie sein Aufenthalt zu Creisau, seinem Landgute in Schlesien (siehe Gartenlaube 1873, S. 393[WS 1]), Abwechselung in dieses strenginnegehaltene Programm, das namentlich während des Winters nie eine Aenderung erleidet.

Wird ein neuer Sturm von außen her den großen Denker der Schlachten noch einmal auf den Kampfplatz rufen? Wer vermöchte die Frage zu bejahen, zu verneinen?! In Bereitschaft sein ist Alles, und dafür sorgt Der, welchem der König den Feldherrnstab in die Hand legte.




Weimarische Erinnerungen eines Engländers.


Aus den Jahren 1826 und 1827.


Der Verfasser der nachstehenden Erinnerungen, ein Enkel des berühmten englischen Satirikers Jonathan Swift, hielt sich vom Januar 1826 bis Juli 1827 in Weimar auf, war im Hause Goethe’s und bei Hofe gern gesehen und hat dort Manches erlebt und beobachtet, was ein charakteristisches Licht auf die damaligen Zustände wirft. Nach fünfzig Jahren hat der alte Herr, obwohl er während dieser Zeit wohl wenig Uebung in der deutschen Sprache gehabt, seine Weimarischen Erinnerungen deutsch niedergeschrieben und der „Gartenlaube“ als deren eifriger Leser zur Veröffentlichung übersandt. Mit besonderer Freude macht die Redaction von dieser Erlaubniß Gebrauch, indem sie zur Orientirung über die damaligen Personalverhältnisse nur Folgendes noch vorausschickt.

Am 3. September 1825 hatte der Großherzog Karl August

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 493
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_238.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)