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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

wo man den Bleichsüchtigen ohne Weiteres kräftige Rothweine verordnete, also Weine mit großem Alkohol- und großem Tanningehalte. Wir haben schon erwähnt, welchen störenden Einfluß das Tannin auf die Verdauung hat; das Gleiche gilt auch von stark weingeistigen Getränken. Wenn also durchaus Wein getrunken werden muß, so wähle man wenigstens leichte, reelle, nicht über ein Jahr alte Weißweine. Die Erfahrung hat zur Genüge dargethan, daß die milden Säuren solcher Weine zur Lösung der Eiweißkörper beitragen, also der Verdauung der Fleischspeisen Vorschub leisten.

Nach diesen Einleitungen wird es nun keine große Schwierigkeiten mehr bieten, einen für Bleichsüchtige in allen Theilen zuträglichen Speisezettel aufzustellen. Der erste Gedanke muß sein, für jede Mahlzeit wenigstens ein eisenreiches und dabei leicht verdauliches Fleisch-Gericht als Hauptgang aufzustellen. Im Besonderen wird demnach der Speisezettel lauten:

8 Uhr, Frühstück: Einen Wiel’schen Fleischkuchen, exact auf oben beschriebene Art zubereitet; 1/4 Stunde darauf eine kleine Tasse (200 Gramm) Peccoethee.

12 Uhr, Mittagessen: 250 Gramm Soupe à la reine.

4 Uhr, Abendessen: 80 Gramm kalten Wildbraten; 1/4 Stunde nachher 200 Gramm Peccoethee.

8 Uhr, Nachtessen: 100 Gramm Hammelscoteletten; 1/4 Stunde nachher ein Glas Wein.

NB. Was nicht auf diesem Zettel steht, ist – verboten.[1]

Sollte sich jemals ein entschiedener Widerwille gegen das genannte Fleischfrühstück einstellen, so darf man jedenfalls nicht an den sonst so gebräuchlichen Milchkaffee denken; reiner, gründlich entölter Cacao ist viel empfehlenswerther, weil dieser einen weit höheren Nährwerth und keine aufregende Nebenwirkung hat. Und sollte sich jemals ein förmlicher Heißhunger nach Gemüse oder Brod einstellen, so sind, außer dem eisenreichen Spinat, die leichtverdaulichen Wurzelgemüse für kurze Zeit zu gestatten; vom Brode allenfalls die harte Rinde, welche bekanntlich viel leichter zu verdauen ist, als das nur aus aufgeblähtem Kleister bestehende weiche Innere.

Manchmal liegt aber die Verdauung so sehr darnieder, daß man nicht direct zu diesem Speisezettel übergehen kann. In solchen desperaten Fällen ist die Cur mit der Leube-Rosenthal’schen Fleischsolution einzuleiten. Eine Gebrauchsanweisung für dieses auch dem schwächsten Magen verdauliche Nahrungsmittel ist den Blechkapseln aufgeklebt, in welchen es verschickt wird.

Wenn überhaupt bei der Bleichsucht – und dies ist ja bekanntlich kein seltener Fall – die Klagen über gestörte Verdauung immer und immer wieder in den Vordergrund treten, so wird man eben zuerst den Magen in Ordnung bringen müssen (lies hierwegen den „Tisch für Magenkranke“, von welchem Buche nach wenig Monaten eine zweite Auflage in die Welt hinaus gehen mußte).

Da, wie schon oben bemerkt, die Mehrzahl der Bleichsüchtigen in den Städten vorkommt, so wird mancher Hausarzt auch daran denken, seine Patientin auf’s Land zu schicken. Er mag dies thun, wenn er überzeugt sein kann, daß dort auch das Wichtigste von Allem, das richtige Essen, zu bekommen ist, denn bei dem in Curorten üblichen Getafel wird kein kranker Mensch gesund. Es ist bekannt, daß der Aufenthalt in hochgelegenen, reich bewaldeten Gegenden sehr wohlthätig auf den Ernährungsproceß wirkt; schon manche Bleichsüchtige hat, nachdem sie alle Mittelchen ohne jeglichen Erfolg durchprobirt, erst durch obige Diät und einen längeren Aufenthalt im Engadin oder Schwarzwald die langersehnte Gesundheit wiedererlangt.

Med. Dr. Josef Wiel in Zürich. 




 An Ferdinand Freiligrath.

Ich darf nicht steh’n an Deines Grabes Rand;
Ich werf’ Dir nicht auf’s Haupt die Schaufel Erde.
Des kranken Kindes fieberheiße Hand,
Sie hält zurück mich an dem Heimathherde.
Doch ständ’ ich auch an Deiner Schlummerstatt
Und kränzte Deine Stirne, die erblaßte,
Ich weinte still an Deinem Sarg mich satt
Und fänd’ kein Wort, das Deinen Werth umfaßte.

Wohl ward dem Dichter reichen Ruhmes Zier,
Doch laß’ mich das zu höchstem Lobe sagen:
Noch zehnmal höher stand der Mann in Dir
Und selten hat ein solches Herz geschlagen,
So frei von Selbstsucht, ehrlich, g’rad’ und schlicht.
Was Weib und Kind, den Freunden Du gewesen,
Was wir verlieren, o, das sagt sich nicht,
Das kann nur Gott in uns’rer Seele lesen.

Und Keiner treuer zu dem Volke stand –
Im fremden Land gingst Du auf Dornenwegen.
Da rief den Flüchtling heim das Vaterland;
Mit off’nen Armen kam es Dir entgegen.
Der deutsche Geist, längst steht er siegreich da;
In Schlachten hat die deutsche Kraft gesprochen.
Als an die Brust Dich zog Germania,
Da hörten wir des deutschen Herzens Pochen.

Das war ein Klang! Vom fernsten Meergestad’,
Vom Urwalddickicht kamen Dir die Grüße,
Daß man mit Rosen schmücke Deinen Pfad,
Daß man des Lebens Herbe Dir versüße.
Da sahst Du, was an Liebe Du gewannst,
Da sahst Du, welchen Segen Du errungen.
Dein Lied: „O lieb’, so lang’ Du lieben kannst!“
Für’s deutsche Herz war’s nicht umsonst gesungen.

Nun tönt um Dich die Klage, Sanggenoss’! –
Der glühend uns gemalt der Tropen Bilder,
Der uns der fremden Dichtung Schatz erschloß,
Der uns in heiß bewegter, stürmisch wilder,
Gewalt’ger Zeit der Freiheit Credo sang,
Er, der noch in dem letzten Völkerstreiten
Sein Liederschwert stolz wie kein And’rer schwang,
Er ist verstummt, verstummt für alle Zeiten! – –

Mag’s denn ein Trost in uns’rem Leide sein:
Die Liebe stand an Deinem Sterbebette.
Auf deutscher Erde schlief der Dichter ein;
Im Vaterland ist seine Ruhestätte.
Und nicht als welker Greis, vom Kampfgefild’
Bist Du in voller Kraft zur Gruft getreten. –
Schlaf sanft! Im deutschen Herzen lebt Dein Bild,
Das Bild des Volkstribunen und Poeten.

 Emil Rittershaus.

Barmen, an Freiligrath’s Begräbnißtage, den 21. März 1876.




Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Das rothe Quartal.
(März–Mai 1871.)
Von Johannes Scherr.
6. Es wird kanonirt, prophetirt und charlatanisirt. – 7. Verfolgungswahnsinn.


Das „Alles schon dagewesen“ hält auch nicht mehr stand. Denn in unseren Tagen hat die menschliche Tragikomödie, sonst auch Geschichte genannt, uns wahrhaftig verschiedene noch nicht dagewesene Figuren und Scenen vorgeführt. War nicht die ganze Scenerie des Kommunespiels eine neue, insofern die deutschen Soldaten sehr wahrnehmbar in den Kulissen standen? Und ist nicht der Marschall Mac Mahon eine neue, noch nicht dagewesene Figur? Gewiß ist er das. Nicht darum zwar, weil er, der notorische Royalist, den Präsidenten einer Republik vorstellt, sondern desshalb, weil er, der bei Wörth davongerittene und bei Sedan davongetragene General, zum Staatsoberhaupt seines Landes erkoren worden. Daß siegreiche Degen zu Skeptern


  1. Und womit heilt das arme Nähmädchen, das weder Wildpret noch Wein bezahlen kann, seine Bleichsucht? Frage der Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)