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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 14.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Henriette verschlang die Hände fest ineinander und hob sie mit einer leidenschaftlichen Geberde empor. „Käthe, ist das eine glanzvolle Rechtfertigung! Gott sei Dank, daß ich sie erleben durfte! Wenn nur Bruck sich nicht hinreißen läßt, auf seinem Rückweg vom Schlosse in der Villa einzukehren! – Hier, vor meinen Augen muß ihm Flora zum ersten Mal wieder gegenüber stehen, hier. Ich lechze danach, sie im Staube vor ihm zu sehen.“

„Rege Dich nicht auf, Henriette!“ bat Käthe mit zitternder Stimme.

„Ach was – lass’ mich reden!“ entgegnete sie hastig. „Wenn Bruck nur wüßte, zu welchen Qualen er mich verurtheilt mit seinem Sprechverbot! Die unterdrückte innere Aufregung beklemmt mir die Brust bis zum Zerspringen, genau wie gestern der Strom, der sich dann so erschreckend Luft machte.“ – Sie stützte den Ellenbogen auf und vergrub die Hand in dem reichen Blondhaar, von dem sie längst das Battisthäubchen weggeschüttelt hatte. „Weißt Du noch, wie Flora die Reise, von der Bruck berühmt zurückgekehrt ist, höhnisch und verwegen, ihm in das Gesicht hinein, eine Vergnügungstour nannte?“ fragte sie und sah unter der gesenkten Stirne hervor mit Augen voll Erbitterung zu der Schwester auf; sie verfiel in denselben Ton wie gestern in ihren wilden Fieberphantasien, die eine so furchtbare Entscheidung herbeigeführt hatten. Käthe schauerte in sich zusammen. „Erinnerst Du Dich, wie sie Moritz schalt und verlachte, weil er der Wahrheit nahe kam und vermuthete, daß Bruck an ein Krankenbett nach L…..g gerufen sein könne? Nein, und wenn sie auf den Knieen Abbitte leistet, sie kann diesen Frevel, diesen beispiellosen Uebermuth kaum sühnen. Nur einen einzigen Blick möchte ich jetzt in ihre Seele thun. Welche niederschmetternde Beschämung! Sie kann beim ersten Begegnen die Augen weder zu ihm, noch zu uns aufschlagen.“

Käthe hatte die Hände im Schooß gefaltet, und die Wimpern lagen tief auf ihren Wangen, als sei sie die Schuldige. Das leidenschaftlich erregte Mädchen da vor ihr ahnte nicht, daß diese erste Begegnung nicht mehr stattfinden konnte, daß sich Flora’s Fuß nie wieder in „die spukhafte Spelunke“ verirren würde. Sie wußte so wenig, wie alle Anderen, daß sich die Braut gewaltsam befreit, daß das Symbol des geschlossenen Bundes, der „einfache“ Goldreif, draußen im Fluß liege, wenn ihn nicht die Wellen längst fortgespült hatten.

„So sprich doch auch ein Wort, Käthe!“ grollte Henriette. „Du muß Fischblut in den Adern haben, daß Dich die Vorgänge so ruhig lassen. Freilich, Du hast noch keinen besonders tiefen Einblick in die Verhältnisse thun können, und den Persönlichkeiten gegenüber magst Du auch noch nicht den richtigen Standpunkt einnehmen. Bruck z. B. kann Dich kaum interessiren; Du siehst ihn zu selten und hast sicher noch keine zehn Worte mit ihm gesprochen, aber Du bist doch schon Zeuge von Flora’s abscheulichen Rücktritts-Manövern gewesen, hast die herzlosesten Aussprüche von deren Lippen gehört – ich sollte meinen, so viel Gerechtigkeitsgefühl, so viel Verlangen – ich möchte sagen ‚Durst‘ nach gerechter Strafe, nach einem rächenden Ausgleich müsse in jeder gesunden Menschennatur liegen.“

Jetzt sah Käthe mit einem seltsam flimmernden Blick auf; das war sicher kein Fischblut, das in so jäh emporschießender Welle Stirn und Wangen, selbst den runden, schneeweißen Hals heiß und purpurn färbte; es wallte unbezwinglich auf und ließ sie einen Augenblick völlig vergessen, daß sie am Krankenbett sitze und als gewissenhafte Pflegerin auf kein erregendes Thema eingehen dürfe. „Und wenn dieses Rachewerk sich wirklich vollzieht, wenn Flora beschämt ihren Irrthum zugiebt, welchen Werth könnte diese Umkehr für den beleidigten Mann haben?“ fragte sie gepreßt. „Flora hat ihm, wie Du selbst sagst, ihre Abneigung unverhohlen gezeigt, und wenn er in den Fürstenstand erhoben würde, es könnte doch unmöglich den Widerwillen in Liebe zurückverwandeln.“

„Bei einer so eitlen, ehrgeizigen Seele, wie Flora, ohne Weiteres,“ versetzte Henriette in bitter verächtlichem Ton. „Und Bruck? Du wirst sehen, er geht bei ihrer ersten Annäherung über das Geschehene hinweg, als sei es nie gewesen.“ – Den Kopf zurückhaltend schloß sie einen Moment die Augen. – „Ja, wenn die Liebe nicht wäre, dieses ewig unlösliche Räthsel!“ sagte sie halb flüsternd vor sich hin. „Und er liebt sie wie vordem; wie ließe sich sonst sein Ausharren, sein geduldiges Ertragen erklären?“ Sie hob die Wimpern wieder, und ein Gemisch von tiefem Schmerz und bitterer Ironie brannte in ihren unirdisch glänzenden Augen. „Und wenn ihn aus ihrem schönen Gesicht ein Teufel anblickte, und wenn ihre Hände nach ihm schlügen, er würde sie doch lieben und diese Hände zärtlich küssen.“ Das Lächeln, das so scharfe Linien in ihre abgezehrten Wangen grub, hatte etwas Herzzerreißendes; sie suchte es auch zu verbergen, indem sie das Gesicht in die Kissen drückte. „Ihre Umkehr wird mithin hohen Werth für ihn haben,“ sagte sie nach einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_225.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)