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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nicht unwesentliche Verdienste erworben hatte. Klopstock’s Klage in einer Schlittschuhode: „Vergraben ist in ewige Nacht der Erfinder großer Name zu oft“, findet seine Anwendung auf den Kaffeehauserfinder nicht; sein Name ist auf die Nachwelt gekommen, und der dankbare Gemeinderath von Wien hat bekanntlich eine Gasse nach ihm getauft. Der Mann hieß Kolschitzky. Wenn zwischen seinem Kaffeehause und jenen, welche heute auf der Ringstraße den Spaziergänger in so einladender Weise anlocken, doch ein Unterschied sich zeigt, so ist es jener, der auch zwischen einem Guttenberg’schen Drucke und einer Doré’schen Prachtbibel besteht. Der Luxus, mit welchem die neuen Kaffeehäuser eingerichtet sind, ist oft ein erstaunlicher; Tapezierer und Decorateure, Maler, Bildhauer und Architekten haben da zusammenwirken müssen, um

Generalstabsarzt Ludwig Stromeyer.
Nach einer Photographie.

den behaglichen, einladenden Comfort zu Stande zu bringen, der die nicht geringste Zugkraft der Café’s bildet; es giebt Kaffeehäuser, in welchen die Tische, die Stühle, das Geschirr, namentlich aber die „Kredenz“ Kunstwerke für sich vorstellen.

Schon habe ich angedeutet, daß zwischen den Kaffeehäusern und unserem Zeitungswesen ein gewisser Causalnexus besteht; thatsächlich bilden die Zeitungen den weitaus wichtigsten Grund für das Publicum, Kaffeehäuser zu besuchen, und da die Neuigkeiten zweimal des Tages durch Morgen- und Abendblätter brühwarm zum Verschleiße gelangen, so liefern jene, die zweimal täglich die Kaffeehäuser besuchen, das stärkste Contingent zu den Gästen dieser. Für die Cafétiers – der Wiener hat für sie die gut bürgerliche Bezeichnung „Kaffeesieder“ – stellen die Journale den wirksamsten Magnet vor, und immer sind sie eifrig bemüht, diesem selbst mit sehr bedeutenden Opfern seine große Anziehungskraft zu erhalten. In den besseren Kaffeehäusern der inneren Stadt reicht der Marqueur jedem Gaste mit dem verlangten Kaffee mindestens eine Zeitung; ist es ein Stammgast, so schleppt er ihm, noch bevor er den Kaffee gebracht hat, einen ganzen Stoß derselben hin. Des Morgens zur Frühstückszeit und Nachmittags zwischen drei und vier Uhr haben die Marqueurs den schwersten Stand. Dann sind fast nur Stammgäste da, und jeder will natürlich sogleich eine Zeitung haben, was sage ich: eine Zeitung? Seine Zeitung muß er haben. Nun ist aber nichts leichter möglich, als daß zu gleicher Zeit zwanzig Stammgäste anwesend sind, die alle dieselbe Zeitung als ihr Leibblatt verehren. Auf’s Warten läßt sich der Wiener Kaffeehausbesucher nicht ein, also hat der Kaffeesieder auf zwanzig Exemplare desselben Journals zu abonniren. Abendblätter müssen in noch größerer Anzahl gehalten werden, erstens, weil Abends mehr Gäste erscheinen, als Morgens, da namentlich verheirathete Herren nur selten im Kaffeehause frühstücken, und zweites, weil die Abendblätter, die weniger umfangreich als die Morgenblätter und nicht „eingespannt“ sind, sehr oft auf unerklärliche Weise zu verschwinden lieben.

Aber nicht nur die politischen Journale werden stark begehrt, auch die illustrirten Blätter erfreuen sich lebhafter Nachfrage. Bei diesen kommt es wenig auf die Sprache an, in welcher der Text geschrieben ist. Die Hauptsache bei ihnen sind die Bilder, die mit vielem Eifer betrachtet und mit Kennermiene kritisirt werden. Sonnabend Nachmittag treffen die meisten der illustrirten Blätter, auch vom Auslande, namentlich aber auch die Wiener Witzblätter, ein. Mit wenigen Exemplaren derselben könnte ein Cafétier sein Auskommen finden, da diese Blätter eine ganze Woche lang aufliegen; nichts destoweniger müssen auch von diesen immer ziemlich viele Exemplare gehalten werden, weil die Gäste sie schon Sonnabend sehen wollen, und zwar ohne erst zu warten. Die „Gartenlaube“ liegt in jedem Wiener Kaffeehause auf. Viele Vorstadtkaffeehäuser sind sogar gezwungen, mehrere Exemplare derselben zu halten. Für größere Journale bilden die Kaffeehäuser einen großen Nachtheil, da viele, die sonst auf die Zeitung abonniren würden, hier durch wenige Exemplare befriedigt werden, kleinere Blätter dagegen, die bei einer Auflage von sechshundert oder tausend Exemplaren bestehen können, haben an den Kaffeehäusern die stärkste Stütze.

Erst nach den Zeitungen kommt die Rücksicht auf die Getränke in Frage. Die Qualität des verabreichten Kaffees hält sich fast überall auf einem anständigen Durchschnittsniveau und befriedigt in der Regel Ausländer weit mehr, als den in diesem Punkte sehr verwöhnten Wiener und Oesterreicher überhaupt. Der Fremde, der eine Portion Kaffee verlangt, ist durch seine Harmlosigkeit schon geliefert; er erhält nicht mehr als das übliche Quantum, aber anders servirt, in zwei hübschen Kännchen, und hat dafür genau das Doppelte zu bezahlen wie für eine nach einheimischer Sitte, das ist in einem Glase kredenzte Melange. Ein Wiener geradezu polizeiwidriger Kalauer lautet: Wer ist noch viel entsetzlicher, als der verstockteste Sclavenhändler? Antwort: Der Kaffeesieder, denn er verkauft nicht nur Schwarze und Weiße, sondern auch Kapuziner ohne Haut. – Das ist aber noch nicht Alles; wir genießen einen „kleinen Schwarzen“ oder „einen schwarzen Kleinen“, „eine Kleine, weiß“ (man achte auf das Geschlecht!), einen „Braunen“, einen „Kapuziner“ mit oder ohne Haut, eine kleine oder große „Melange“ mit oder ohne „Schlagoberst“. Der Preis für die „Kleinen“ beträgt vierzehn bis sechszehn, für die „Großen“ sechszehn bis achtzehn Kreuzer; die Brödchen, die zum Kaffee gereicht werden, sind geistvoll concipirt und genial ausgeführt: sie sind außerordentlich appetitlich, allein ein rechtschaffener Hunger ist durch sie fast ebensowenig zu stillen, wie durch Erdbeeren. Neben dem Kaffee spielen dann noch mehr oder minder untergeordnete Rollen allerlei Liqueure, der Punsch mit denn Diminutivum Pünscherl oder Pinscherl und mit der hochachtbaren Seitenlinie der Eierpünsche, dann die Bavaroise, auf Wienerisch Barbaras, und endlich Limonaden, moussirende Gewässer und Gefrorenes; Bier und Wein sind verpönt, werden aber Stammgästen zu Liebe und dem Gesetze zum Trotz doch hier und da eingeschmuggelt.

Ein besonderes Blatt verdienen die Kellner, die da zwischen dieser Menge von lesenden, schwatzenden, rauchenden, Billard,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)