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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 13.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Du kommst jedenfalls von Henriette,“ sagte Flora und schlug hastig den blauen Umschlag über dem ihr zurückgeschickten Manuscript zusammen. „Es geht ihr ja recht gut, wie ich höre; ich habe schon um acht Uhr hinübergeschickt und mich erkundigen lassen. Moritz ist nicht recht klug; er jagt mich mit einem Billet, das er noch in der Nacht geschrieben hat, in aller Frühe aus dem Bette, damit ich rechtzeitig Toilette mache, weil er à tout prix der Großmama und mir vor dem Frühstück seine Gäste vorstellen wolle. Als ob das Heil der Welt von dieser Vorstellung abhinge! Die Großmama wird darüber gerade auch nicht sehr erfreut sein.“

Sie sah reizend aus. Man sagt, daß der Mensch sich unbewußt nach seiner Stimmung kleide, demnach mußte Flora’s Erwachen heute ein überaus frohes und heiteres gewesen sein; denn die ganze schlanke, schöne Gestalt erschien wie in ein leuchtendes Aetherblau getaucht. Selbst in den zierlich gekräuselten Locken steckte eine glänzend blaue Atlasschleife. Mit dem Arbeitszimmer harmonirte freilich diese Toilette schlecht; es sah heute, wo der strahlend goldene Tag draußen lag, so düster und unwohnlich wie möglich aus und war allerdings weit eher ein passender Hintergrund für einen menschenscheuen Stockgelehrten, als für diese duftig blaue Fee. Aber auch der Gesichtsausdruck der schönen Dame paßte nicht mehr zu den gewählten Farben; sehr üble Laune und eine kaum zu verbergende Niedergeschlagenheit guckten aus allen Winkeln und Linien ihrer Züge. Ueber die Ereignisse des gestrigen Abends fiel kein Wort. Die waren versunken und scheinbar vergessen; selbst der beraubte Goldfinger hatte Ersatz gefunden – zwei kleine Brillantringe schmückten ihn.

Auf Käthe’s Bitte trat Flora an ein Bücherregal und nahm das verlangte Buch herab. „Henriette wird doch nicht selbst lesen wollen?“ fragte sie über die Schulter.

„Das würde Doctor Bruck schwerlich gestatten; die Frau Diakonus will das Buch lesen,“ sagte Käthe mit ruhiger, kalter Stimme und nahm das Werk in Empfang.

Ein verächtliches Spottlächeln zuckte um Flora’s Mund; in ihren Augen blitzen Verdruß und Aerger auf; sie hielt es jedenfalls für eine nicht zu entschuldigende Tactlosigkeit von Seiten der Schwester, daß sie diese Namen vor ihren Ohren noch laut werden ließ.

Käthe ging. Aber in demselben Augenblicke, wo sie die Thür öffnete, um das Zimmer zu verlassen, trat ihr der Commerzienrath entgegen. Er sah prächtig, fast strahlend frisch aus, wenn er auch in sichtlich großer Aufregung kam.

„Dageblieben, Käthe!“ rief er fast scherzhaft und breitete seine Arme aus, um sie zurückzuhalten. „Ich muß mich erst überzeugen, ob Du heil und unverletzt bist.“ Er schob sie in’s Zimmer zurück, drückte die Thür in das Schloß und warf seinen Hut auf den Tisch. „Nun sagt mir um Gotteswillen, was ist Wahres an der haarsträubenden Geschichte, die mir eben mein Anton beim Ankleiden mitgetheilt hat?“ rief er. „Die Leute haben einfältiger Weise bei meiner Ankunft geschwiegen, um mir die Nachtruhe nicht zu stören, und ich habe mir eben dergleichen unzeitige Rücksichten für die Zukunft energisch verbeten.“ Er fuhr sich mit beiden Händen durch das reiche Haar. „Ich bin ganz außer mir. Was muß die Welt von mir und meinem Tactgefühl denken! Henriette liegt auf den Tod krank, und ich arrangire sorgloser Weise ein Herrenfrühstück in meinem Hause. Ist’s denn nur wahr, das Unglaubliche? Eine Schaar Megären soll Euch attaquirt haben?“

„Nicht ‚uns‘, sondern ganz speciell mich, Moritz,“ sagte Flora. „Henriette und Käthe haben eben nur mitleiden müssen, weil sie bei mir waren. Ich kann mir nicht helfen – den größten Theil der Schuld, daß es so weit gekommen ist, muß ich Dir beimessen. Du mußtest schon bei den ersten feindseligen Kundgebungen ganz anders vorgehen; solch einer Rotte gegenüber ist ein entschlossener Mann stets Herr, wenn er’s richtig anzufangen weiß. Aber bei Deinen ewigen Rücksichten, um Gotteswillen nie und nirgends anzustoßen, bist Du schwach –“

„Ja, schwach gegen Euch, gegen Dich und die Großmama,“ fiel der Commerzienrath ganz blaß vor Aerger ein. „Du vorzüglich hast nicht geruht, bis ich mein Wort zurückgenommen und dadurch meine Arbeiter unnöthig gereizt habe. Bruck hat Recht –“

„Ich bitte Dich, verschone mich damit!“ rief Flora dunkelroth vor Zorn. „Wenn Du keine andere Autorität zu nennen weißt, auf die Du Dich berufst –“

Der Commerzienrath trat ihr rasch näher und sah ihr erstaunt prüfend in die funkelnden Augen. „Wie, noch immer so feindselig, Flora?“

„Hältst Du mich für so jammervoll schwachköpfig, daß ich meine Ansichten wechsele, wie man einen Rock aus- und anzieht?“ fragte sie herb zurück.

„Das nicht, aber ist es nicht verwegen, der ganzen gebildeten Welt zum Trotz –“

„Was geht mich die Welt an?“ Sie brach plötzlich in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_209.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)