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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

hervortreten zu lassen. Das Alles hatte hocharistokratisch ausgesehen. Dann war der Commerzienrath aus dem Wagen gesprungen, die stattliche, noch jugendlich elastische Gestalt in den eleganten Reisepelz gehüllt, in jeder seiner gebieterisch sicheren Bewegungen der reiche Mann, der eben noch reicher geworden, ein glänzender Komet, an dessen Fersen, magnetisch angezogen, der glitzernde Goldstrom sich hing. Er hatte seine Gäste in ihre Appartements geführt und erst gegen zwei Uhr das Haus mit dem voranleuchtenden Bedienten verlassen, um sich im Thurme zur Ruhe zu begeben. Dann war es allmählich still geworden in der Villa, aber der Wind hatte sein Pfeifen und Blasen um das Haus fortgesetzt und den Schlaf von Käthe’s Augen verscheucht. Erst mit Tagesanbruch war sie eingeschlummert, zu ihrem großen Verdruß; denn nun hatte sie sich verspätet, und statt um sechs Uhr Morgens, wie sie gewollt, das Haus am Flusse zu betreten, kam sie erst in der neunten Stunde dort an.

Es war ein schöner, klarer Morgen. Der ungestüme Nachtwind hatte sich zu jenem südlich warmen Hauche gesänftigt, der den Duft der ersten Frühlingsblumen im Athem behält, und der spröde zögernden Knospe schmeichelnd, aber beharrlich den braunen Schleier vom Gesichte zu ziehen sucht. … Auf des Doctors Hause zwitscherten die Vögel; das dunkle Geäst der Kirschbäume, das sich an die eine Hausecke schmiegte, erschien mit unerschlossenen, winzigen Blüthenköpfchen zartweiß gesprenkelt, und vor der glanzvollen Morgenbeleuchtung konnten sich die sprossenden Halme im Rasengrunde auch nicht mehr verstecken – der ehemalige Bleichplatz schimmerte in einem schwachen jungen Grün.

Als Käthe die Brücke passirte, floß das Wasser sonnendurchleuchtet und klar bis auf den Grund unter dem morschen Holzbogen dahin, fast sanftmüthig und friedlich – was Wunder! Die Wellen, die gestern den fortgeschleuderten Ring empfangen, hatten unterdeß ein weites Stück Weges zurückgelegt und strömten dem Ocean zu – nur sie konnten erzählen von den verrätherischen Frauenhänden, die so gewaltsam eine drückende Kette gesprengt.

Das Haus am Flusse hatte heute etwas eigenthümlich Feierliches. Das rothe Ziegelgetäfel im Flure war mit feingesiebtem, weißem Sande bestreut; der Duft einer feinen Räucheressenz schlug dem Eintretenden entgegen; auf dem kleinen Tische, nahe der Hausthür, lag eine frische Serviette, und darauf stand ein mächtiger Strauß von Tannenzweigen, Maikätzchen und Anemonen, in einer alterthümlichen, großen Thonvase. … Und die alte, getreue Köchin war auch angekommen; sie stand schon in voller Thätigkeit, mit aufgestreiften Aermeln, die glänzend weiße Schürze über die derben Hüften gebunden, als sei sie nie fortgewesen, am Küchentische, und das gute, rothbackige Gesicht sah zufrieden und glücklich aus. … Warum aber erschien die Tante Diakonus heute, am frühen Morgen, im kaffeebraunen Seidenkleide, auf dem vollen Scheitel eine weiße Spitzenbarbe, und auch an Hals und Handgelenk mit Spitzen umkräuselt? Käthe’s Herz zog sich zusammen vor Weh und Angst – geschah das Alles der Braut zu Ehren, die doch heute wiederkommen mußte, um die kranke Schwester zu besuchen?

Die alte Frau sagte kein Wort darüber. Sie schien nur sehr bewegt zu sein, und man sah es noch an den zartgerötheten Augenlidern, hörte es in der weichen Stimme, daß Thränen der Rührung geflossen waren. Sie theilte dem jungen Mädchen freudig mit, daß die Nacht für die Leidende gut verlaufen und der Anfall nicht wiedergekehrt sei.

Für diese beruhigende Nachricht küßte ihr Käthe die Hand, und da geschah das Seltsame, daß die sonst so zurückhaltende Frau plötzlich die Arme um die schöne, jugendliche Mädchengestalt schlang und sie wie eine Tochter zärtlich an das Herz zog. Dann führte sie die froh Erstaunte schweigend in das Krankenzimmer.

Henriette saß aufrecht im Bette, und die Jungfer ordnete ihr ein wenig das reiche Haar unter dem Nachthäubchen, der Doctor aber hatte sich vor einer Stunde zurückgezogen, um zu ruhen. … Das schmale, langgezogene Gesicht der Kranken mit den fleischlos hervortretenden Backenknochen und den verhängnißvollen schwarzen Ringen unter den Augen hatte in der einen Nacht einen scharf hippokratischen Zug angenommen, der Käthe erschreckte, aber der Ausdruck der Züge war ein glücklicher. Sie konnte nicht genug beschreiben, wie aufopfernd der Doctor sie pflege, wie unsäglich wohl sie sich in der gemüthlichen Fremdenstube fühle, und wie sie bei dem Gedanken schaudere, daß sie doch einmal wieder von da fort müsse. Sie bat Käthe, in die Villa zurückzukehren und ein Buch zu holen, das sie der Tante Diakonus versprochen habe – es sei in Flora’s Händen, die es ihr abgeborgt – dabei flüsterte sie der Schwester in das Ohr, sie möge dafür sorgen, daß Flora und die Großmama sie hier nicht allzu oft belästigten. Nicht die leiseste Ahnung hatte sie von dem, was sich gestern Abend an ihrem Bette zugetragen, und daß durch ihre Schuld das so lange schwebende Ungewitter zum furchtbaren Ausbruch gekommen sei.

Käthe konnte ihr kaum in die Augen sehen; sie athmete auf, als die Kranke schließlich die Bitte um das Herbeiholen des Buches erneute und sie beauftragte, auch noch Verschiedenes aus ihrem Schreibtische mitzubringen, zu welchem Zwecke sie ihr die Schlüssel einhändigte.

Nach einer Stunde kehrte das junge Mädchen in die Villa zurück. Sie war ganz erfüllt von dem beängstigenden Eindruck, den ihr Henriette gemacht hatte; das Krankengesicht mit der todtenhaft wächsernen Blässe und den eingesunkenen Zügen verfolgte sie und machte sie tieftraurig. Deshalb fuhr sie auch, im Innersten verletzt, zurück, als sie, die Treppe zur Beletage hinaufsteigend, schräg durch die offene Thür des Wintergartens den brillant hergerichteten Frühstückstisch mit seinem blinkenden Geschirr voll köstlicher Leckereien überblickte. Den ganzen Marmorfußboden des maurischen Zimmers bedeckte ein ungeheurer dicker Smyrnateppich; für warme Füße war gesorgt, und für heiße Köpfe auch – letzteres durch die auserwählten Flaschen aus dem Thurmkeller.

Käthe suchte in Henriettens Zimmer Alles zusammen, was die Kranke zu haben wünschte, und ging wieder hinab, um der Präsidentin pflichtschuldigst guten Morgen zu sagen. Ihre Tritte verhallten in dem weichen Treppenläufer; sie wurde nicht gestört von den zwei Bedienten, die unten im Corridor standen und von denen der eine ein Packet in der Hand hielt, welches der Briefträger eben gebracht hatte.

„Zum Kukuk auch, da kommt das Packet zum dritten Mal zurück!“ fluchte er und kratzte sich hinter den Ohren. „Ich hab’ die Geschichte satt bis an den Hals. Nun bin ich so freundlich und packe es morgen wieder ein und schreibe eine neue Adresse. Unser Fräulein muß auch denken, man hat auf der Gotteswelt nichts weiter zu thun.“ Er drehte das Päckchen unschlüssig hin und her. „Am allerbesten wäre das Ding drunten im Küchenfeuer aufgehoben –“

„Was ist denn darin?“ fragte der Andere.

Ein Haufen Papier, und das Fräulein hat mit ihren langbeinigen Krakelfüßen groß und breit d’raufgeschrieben: ‚Die Frauen‘, mag schon ’was Rechtes sein!“ er verstummte erschrocken und nahm sofort eine ehrerbietige Haltung an – Käthe kam eben die letzte Stufe herab und ging an ihm vorüber nach dem Schlafzimmer der Präsidentin.

Sie wurde nicht angenommen. Die herauskommende Jungfer berichtete, es sei früher Morgenbesuch da, eine Dame vom Hofe. Darauf hin ging Käthe in Flora’s Zimmer, um das besprochene Buch zu holen. Sie empfand eine heftige Abneigung, die Schwelle zu betreten; ihr Herz klopfte fast hörbar vor innerem Aufruhr, und bestürzt erkannte sie in diesem Augenblick, daß für diese Schwester auch nicht ein Funken von Sympathie in ihr lebe. Der ganze Grimm, den sie in der schlaflosen Nacht zu bewältigen gesucht, stieg wieder in ihr auf und nahm ihr fast den Athem.

Vielleicht fühlte Flora ähnlich. Sie stand mitten im Zimmer, neben dem großen, mit Büchern und Brochüren bedeckten Tische und sah mit einem sprühenden Aufblick nach der Eintretenden. Ach nein, der Zorn galt jedenfalls dem zurückgekommenen Packet. Dort lag es aufgerissen, und die schöne Empfängerin schleuderte einen ebengelesenen Brief mit einer verächtlichen Handbewegung in den Papierkorb. Fräulein von Giese, das moquante Hoffräulein, hätte das nicht sehen dürfen. Flora’s „kleiner Finger“ hatte sich bezüglich „der Frauen“ doch vielleicht ein wenig geirrt.


(Fortsetzung folgt.)




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