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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Wollen und deshalb auch die Vorrechte des Mannes in Anspruch nehmen? … Wie ich über Dein ganzes Verhalten denke, was meine eigene Seele dabei durchmacht, ob ich glücklich oder namenlos unglücklich werde, darauf kommt es hier nicht an. Wir haben uns feierlich für das ganze Leben verlobt, und dabei bleibt es. – Man sagt Dir nach, daß Du oft genug grausam mit Männerherzen gespielt und die Betrogenen schließlich dem öffentlichen Spott und Mitleid preisgegeben hast – mich stellst Du nicht an diesen Pranger – darauf verlasse Dich! Du bist nicht frei – ich gebe Dich nicht los. Ob Du eidbrüchig werden willst oder nicht – gleichviel. Ich will mein Wort halten.“

„Schande über Dich!“ rief sie außer sich. „Wirst Du mich auch zum Altar schleppen, wenn ich Dir versichere, daß ich längst aufgehört habe, Dich zu lieben? Daß ich in diesem Augenblicke, wie ich hier vor Dir stehe, nur mit Mühe den bittersten Haß gegen Dich niederkämpfe?“

Bei diesem furchtbaren Ausbruche erhob sich Käthe; es war ihr allmählich gelungen, ihre Hand zu befreien. Sie eilte mit weggewandten Augen hinaus; sie konnte unmöglich in das Antlitz dessen sehen, der eben eine Art Todesstreich empfangen hatte.




13.


Im Flur, dessen Fenster nach Norden gingen, herrschte schon leichte Dämmerung; nur von der Küche her, in welcher noch der letzte röthliche Abendschein an den Wänden hinspielte, fiel es hell über den rothen Ziegelfußboden.

Die Tante Diakonus stand drinnen am Fenster und wusch das gebrauchte Theegeschirr. Die zurückberufene Köchin sollte erst morgen eintreffen; sie war krank geworden – deshalb lagen die kleinen Hausgeschäfte noch auf den Schultern der alten Frau. Sie nickte Käthe vertraulich mit freundlichem Lächeln zu; nicht die leiseste Ahnung von dem, was sich dort hinter der breiten Flügelthür zutrug, beunruhigte das stillfriedliche, sanfte Frauengemüth. Das junge Mädchen schauerte in sich zusammen und eilte vorüber, hinaus in den Garten.

Es war sehr kühl geworden. Ein starker Zugwind blies scharf und kältend vom Flusse her über ihr Gesicht und die nur von dem Seidenkleide bedeckten Schultern. Mit tiefathmender Brust stürmte sie ihm entgegen. Sie war ein Mädchen mit starkem Empfinden, mit heißem, kräftig kreisendem Jugendblute in den Adern; die Flammen der inneren Empörung brannten auch auf ihren Wangen, in den trockenheißen Augen und züngelten bis in die nervös klopfenden Fingerspitzen.

Sie hatte eben Schreckliches erlebt – welch ein entsetzliches Ringen zwischen zwei Menschenseelen! Und die Schuldige, die es heraufbeschworen, war ihre Schwester – dieser treulose, frivole Frauencharakter, der spielend das ernste Band zwischen Mann und Weib knüpfte, um es bei dem ersten Mißfallen, wie das Gespinnst haltloser Sommerfäden, zu zerreißen und in alle Lüfte hinausflattern zu lassen! Wohl hatte Flora sich diesmal in ihrem Opfer gründlich verrechnet; sie traf auf Stahl, wo sie ein durch die Verurtheilung des Publicums und ihr eigenes systematisch durchgeführtes, allmähliches Erkalten bereits tiefgedemüthigtes Herz leichten Spieles niederzutreten meinte, aber was halfen ihm die Festigkeit und Energie, mit denen er ihr die Stirn bot? Er war doch der Unterliegende. …

Käthe trat auf die Brücke, und die Hände auf das leicht erzitternde, schwanke Holzgeländer stützend, sah sie hinab. Die Wasser stürzten und rauschten unter ihren Füßen hin; mit jedem Steinblock, der seinen Platz im Flußbette behauptete, mit jeder starken Baumwurzel, die sich aus der Ufererde zwängte, rangen und stritten sie, daß der Gischt hochauf spritzte, und doch schwebte dort, fern, die bleiche Mondsichel inmitten der spiegelnden Fluth, und es war, als stehe sie unverrückbar still für alle Zeiten. Stand so die Liebe im Menschenherzen? Umstürmten sie vergebens die wildesten Kämpfe, und erblich sie nicht, wo sie verachten mußte, wo ihr Ideal in Trümmer ging? Nein, sie hatte das eben mit angesehen.

Wunderbare Leidenschaft! Schon einmal hatte sie unter dem Dache dort eine Menschenseele durch alle Stadien des Jammers, der Verzweiflung gehetzt. Wie die Tante dem jungen Mädchen neulich auf dem Heimgange erzählte, hatte in dem Hause am Flusse die schöne, junge Wittwe eines Herrn von Baumgarten gelebt. Der Nachfolger ihres Gemahls, der Sproß einer Seitenlinie und ein wunderschöner Cavalier, war täglich vom alten Herrenhause herübergekommen, um in das liebliche Frauenantlitz zu sehen, das sich, von Wittwenschleier und Schneppenhaube umrahmt, aus dem Fenster bog. In das Haus durfte er nicht, denn sie war sehr sittsam. Er war auch oft hoch auf seinem schwarzen Roß über die schmale Holzbrücke geritten und hatte das schnaubende, ungeberdige Thier dicht an die Hauswand gedrängt, um den Athem des schönen Frauenmundes zu spüren und ihre weiße Hand mit heißer Inbrunst zu küssen, und die das mit angesehen, hatten geschworen, daß er nach Ablauf der Trauerzeit die junge Wittwe wiederum als Herrin in das Schloß Baumgarten zurückführen werde.

Aber da war er einmal auf längere Zeit fortgewesen, an einem fremden Hofe, und die Leute hatten der Edelfrau im Hause am Flusse hinterbracht, daß er sich ein junges Ehegemahl aus hochgräflichem Geschlechte mit heimbringen werde. Die schöne Wittwe hatte nur gelächelt und desto emsiger an ihrem Fenster nach ihm ausgeschaut – sie hat an so viel Falschheit nicht geglaubt, bis das Zinken- und Trompetengeschmetter vom Schlosse herüber verkündigt hat, daß der eben zurückgekehrte Herr den Einzug seines jungen, stolzen Weibes mit einem üppigen Banket feiere.

Und Tags darauf war er mit der neuen Schloßherrin über die Holzbrücke geschritten, um sie im Hause am Flusse vorzustellen – die bunten Tulipanen auf ihrem schweren Brokatrock, den sie über den Boden hinschleppte, hatten weithin geleuchtet, und auf dem breiten Fächer in ihrer Hand hatte das hochgräfliche Wappen in Edelsteinen gefunkelt, und das rehfarbene Windspiel, das früher immer vor dem Rosse hergelaufen, war auch mitgekommen, aber diesmal lief es nicht nach dem Fenster, von wo ihm einst die weißen Hände Zucker und Kuchenbrocken herabgeworfen; es rannte ein Stückchen am Flußufer hin und deckte und winselte kläglich – und da schwamm ein schneeweißes Gewand, an dem die Wellen rissen und zerrten, um es mitzunehmen, aber die langen, blonden Flechten an dem blassen Frauenkopfe hatten sich im Wurzelgeflechte der Uferbäume verschlungen und hielten die Todte fest, für ihn, auf daß er noch einmal in die starren, weitoffenen Augen blicken sollte.

Das Fenster, an welchem sie mit der ganzen Zuversicht treuer Liebe gehofft, daß er wieder zu Roß über die Brücke kommen werde, war wohl das dort gewesen, wo Abends die Lampe des Doctors brannte. Dort hatte sie wohl auch gestanden und in bitterer Verzweiflung die Wellen vorbeirauschen sehen, die von dem lustigen Hochzeitshause daher kamen, und das heiße Verlangen hatte sie überwältigt, den schönen Leib in das brausende Gewässer zu stürzen, daß es ihn forttrage weit, weit weg von der Stätte ihres ehemaligen Glückes. Und nun, nach langen, langen Jahren wurde an derselben Stelle der gleiche Herzenskampf durchlitten – nein, nicht der gleiche! War er nicht ein Mann mit starkem Geiste? Ein Mann, den schon sein hoher Beruf auf Erden festhalten und allmählich über das nagende Leid hinwegheben mußte? Und wenn auch das unglückliche Weib, das sich durch einen raschen Sprung aus all dem Jammer in die Grabestiefe rettete, die weißen Arme aus dem Wasser hob, um ihn zu locken – er folgte ihr nicht. … Ein Schrecken durchfuhr sie. Hatte Henriette nicht gesagt: „Wer Flora einmal Liebe gebend gesehen, der begreift, daß ein Mann eher den Tod sucht, als daß er sie aufgiebt“? Und mußte er sie nicht aufgeben, nachdem sie ihm erklärt, daß sie ihn hasse?

Käthe lief angstvoll in den Garten zurück, als tauche dort am dunkelnden Ufer die ertrunkene Edelfrau mit den blonden Flechten empor und greife mit den Händen auch nach ihr.

Es dunkelte. Der Wald, der heute Zeuge eines beispiellos rohen Auftrittes gewesen, breitete sich einförmig schwarz wie ein Sargtuch über den niedrig gewölbten Hügelrücken, und das durchfurchte Ackerland lag glatt und verschlossen da und ließ nicht ahnen, daß Milliarden lebendiger Keime mit kleinen kräftigen Armen unter der Kruste wühlten und drängten, um eine wogende Halmenwelt an das goldene Licht der Sonne zu heben. Droben auf dem Dache knarrten die Wetterfahnen in dem fauchenden Abendwinde, der sich allmählich aufblies, um in der Nacht als brausender Frühlingssturm über die Erde hinzufahren. Das Gezweig der Silberpappeln am Staket schwankte,

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