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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

der viel tolle Streiche machte und dem deshalb die Strafanweisungen, Billets genannt, von allen Seiten regneten. Einst mußte er dem Herzoge wieder eine ganze Ladung davon überreichen, als derselbe mit Franziska (seiner Gemahlin) aus dem Garten kam. Herzog Karl las die Sündenregister und fragte dann den unbändigen Zögling: ‚Sag’ Er mir, was würde Er nun thun, wenn Er an meiner Stelle wäre?‘

Der Graf von Nassau, schnell gefaßt, gab der Gräfin Franziska einen herzhaften Kuß und nahm ihren Arm, indem er sagte: ‚Komm’, Fränzel, und laß den dummen Jungen stehen!‘

Zwischen Zorn und Lachen schwankend, machte der Herzog gute Miene zum bösen Spiele, und die Sache hatte dabei ihr Bewenden.“

In der Behandlung seiner Schüler machte Herzog Karl durchaus keinen Rangunterschied; der fleißige Sohn seines Stallknechtes Dannecker galt ihm mehr als ein träger Junge vom Adel. In dieser gesunden Luft gedieh auch Schiller’s Humor, und seine Mitschüler erzählen, daß er auch seine Vorgesetzten mit seinen raschen, witzigen oder sarkastischen Einfällen nicht verschonte.

Die Schulzeit nahm ein Ende. Schiller trat als Regimentsmedicus in das Grenadierregiment Augé ein; mehrere Cameraden blieben gleichfalls in Stuttgart, und nichts hemmte nun den freien, fröhlichen Verkehr. Schiller bewohnte ein Zimmer in der jetzigen Eberhards-Straße. Sein Stubengenosse war der Lieutenant Kapff, ein geistvoller junger Mann, den sein Leichtsinn öfter zu stürmischem Lebensgenusse trieb. Beide führten eine geniale Studentenwirthschaft. Bibliothekar Petersen und Lieutenant Scharffenstein vervollständigten den kleinen Kreis, in dem sprudelnder Humor und ein oft tolles Gelächter zu Hause waren.

Gemüthliche Kneipereien durften nicht fehlen. Im Winter wurde des Abends eine Manille gespielt; im Sommer ging es zum „Ochsen“ auf der Hauptstätterstraße, wo man eine gute Kegelbahn fand. Als Schiller eines Tages vergeblich auf die Genossen wartete, ließ er folgenden Zettel zurück: „Seid mir schöne Kerls. Bin da gewesen, und kein Petersen, kein Reichenbach. Tausendsakerlot! Wo bleibt die Manille heut’? Hol’ Euch Alle der Teufel! Bin zu Haus’, wenn Ihr mich haben wollt. Adies. Schiller.“ Wenn in der Casse Ebbe war, so versammelten die Freunde sich in des Dichters Zimmer und verzehrten als Abendmahlzeit Knackwurst und selbstbereiteten Kartoffelsalat. Konnten sie sich auch einige Maß Wein erlauben, so gehörte ihrer genialen Laune und ihrer brausenden Jugendlust die ganze Welt.

Die Dreibätzer für den Rebensaft lieferte in der Regel Schiller’s Feder. Er war Redacteur eines kleinen Blattes, von dem die Stuttgarter Bibliothek noch ein vollständiges Exemplar bewahrt; er arbeitete an seinen „Räubern“, und schrieb eine flammende, später unterdrückte Vorrede dazu, in welcher wir den Ton von „Wallenstein’s Lager“ an mancher Stelle wiederfinden. Nur eine kleine Probe möge hier eingeschaltet werden. Der Autor schwingt seine Geißel über denjenigen Theil des theaterbesuchenden Publicums, dem die Erkenntniß der Kunst ewig versagt ist. In der anschaulichsten Weise führt er uns die einzelnen Gestalten vor Augen. „‚Mort de ma vie‘! sagt der Eisenfresser, ‚das heiße ich einen Sprung!‘ – ‚Fy, fy!‘ flüstert die Mamsell, ‚die Coiffure der kleinen Sängerin war viel zu altmodisch.‘ – ‚Sacre Dieu!‘ sagt der Friseur, ‚welche göttliche Symphonie! Da führen die Deutsche Hunde dagegen.‘ – ‚Sternhagelbataillon, den Kerl hättest Du sehen sollen das rosenfarbene Mädchen hinter die spanische Wand schmeißen,‘ sagt der Kutscher zum Laquaien, der sich vor Frieren und Langeweile in die Komödie eingeschlichen hatte. – ‚Sie fiel recht artig,‘ sagt die gnädige Tante, ‚recht gustös, sur mon honneur (und spreitet ihren damastenen Schlamp weit aus) – was kostet Sie diese Eventaille, mein Kind?‘ – ‚Und auch mit viel Expression viel submission – Fahr’ zu, Kutscher!‘ – Nun gehe man hin und frage! Sie haben die Emilia Galotti gespielt.“ –

Das ist derb, doch voll des bezeichnendsten Lebens. Die Krone aber von allen kecken Geistesproducten jener Tage ist eine Gedichtsammlung, welche die Freunde herausgaben. Schiller hatte den Löwenantheil daran. Er nannte sie „Sibirische Anthologie“; ihr voller Titel lautet: „Anthologie auf das Jahr 1782. Gedruckt in der Buchdruckerei zu Tobolsko.“

In diesem Buche treffen wir zuerst auf eine gar seltsame Widmung. Schiller eignet die Sammlung „seinem Prinzipal, dem Tod“ zu – eine spöttische Anspielung auf den eigenen ärztlichen Beruf – indem er sich folgendermaßen ausläßt: „Großmächtigster Czar alles Fleisches, allezeit Verminderer des Reichs, unermüdlicher Nimmersatt der ganzen Natur! Mit unterthänigstem Hautschauern unterfange ich mich, Deiner gefräßigen Majestät klappernde Phalanges zu küssen, und dieses Büchlein vor Deinem dürren Kalkaneus niederzulegen. Meine Vorgänger haben immer die Weise gehabt, ihre Sächlein und Päcklein, Dir gleichsam recht vorsätzlich zum Aerger, hart an Deiner Nase vorbei, in’s Archiv der Ewigkeit transportiren zu lassen, und nicht gedacht, daß sie Dir eben dadurch um so mehr das Maul darnach wässern machten, denn auch an Dir wird das Sprüchwort nicht zum Lügner: Gestohlen Brod schmeckt gut. Nein, dediciren will ich’s Dir lieber, so bin ich doch gewiß, daß Du’s – weit weglegen werdest. Doch Spaß bei Seite! – Ich denke, wir zween kennen uns genauer, denn nur vom Hörensagen. Einverleibt dem äskulapischen Orden, dem Erstgeborenen aus der Büchse der Pandora, der so alt ist wie der Sündenfall, bin ich gestanden an Deinem Altare, habe, wie der Sohn Hamilkar’s den sieben Hügeln, geschworen unsterbliche Fehde Deiner Erbfeindin Natur, sie zu belagern mit Medicamenten Heereskraft, aus dem Felde zu schlagen die Trotzige, die Deine Sporteln schmälert und Deine Finanzen schwächt, und auf dem Wahlplatze des Archäus hoch zu bäumen Deine mitternächtliche Kreuzstandarte.“

In diesem Tone, fort und fort gesteigert, geht die Widmung fort; dann folgt ein Vorwort, eine wichtige Satire auf so manche unberufene Poeten. Es schließt mit den Worten: „So geh denn hin, sibirische Anthologie – geh – du wirst manchen Süßling beseligen, wirst von ihm auf den Nachttisch seiner Herzinnigen gelegt werden, und zum Dank ihre alabasterne Lilienschneehand seinem zärtlichen Kuß verrathen. Geh, du wirst in den Assembleen und Stadtvisiten manchen gähnenden Schlund der Langeweile ausfüllen und vielleicht eine Circassienne ablösen, die sich im Platzregen der Lästerung müde gestanden hat. Geh, du wirst die Küche mancher Kritiker berathen; sie werden dein Licht fliehen und sich gleich den Käuzlein in deinen Schatten zurückziehen. Hu, hu, hu! – Schon höre ich das ohrzersetzende Geheul im unwirthbaren Forste, und hülle mich angstvoll in meinen Zobel.“

Die Mehrzahl derjenigen Gedichte, welche Schiller zu der Anthologie beisteuerte – und er schrieb sie fast alle – sind humoristisch oder satirisch. Gleich das erste züchtigt die unberufenen Vielschreiber: Seit Jahren herrscht in der Unterwelt schwerer Wassermangel; der Styx netzt kaum noch die Füße; im Lethe werden Krebse gefangen, und Charon’s Kahn steckt unbeweglich im Schlamme. Um die Ursache dieser Noth zu ergründen, sendet Minos Spione aus, und es gelingt ihnen einen Schwarm deutscher Zeitungsschreiber zu fangen, welche ganz lustig dabei sind, mit ihren Tintenfässern alle Höllenflüsse auszuschöpfen. Der zornige Minos hetzt den Kerberos auf die Verwegenen, der beißt ihnen die Daumen ab, sodaß sie nicht mehr schreiben können.

Ganz köstlich ist ein Zechlied, dessen Ueberschrift „Bacchus im Triller“ heißt. Den Triller oder das Trillhäuschen benutzte man früher in Irrenanstalten. Tobsüchtige wurden darauf gesetzt; durch andauerndes rasches Umdrehen suchte man sie zu betäuben. In unserem Liede wird der Weingott auf den Drehstuhl gesetzt, und zur Vergeltung dafür, daß er so manchen seiner Jünger zum Taumeln gebracht, tüchtig getrillt; der lustige Gesang der Zechenden rings im Kreise hält ihm seine Sünden vor. Es ist ein ergötzliches Register, das sie aufzählen, schadenfroh und schonungslos, während der Vetter – so nennen die Zecher den Weingott – in seiner wirbelnden Pein schwebt. „Jetzt kommst Du übel weg,“ rufen sie, „manchen Kopf fülltest Du mit Dampf, manches kluge Hirn hast Du berülpt und manchen Magen umgestülpt. Unsere Hüte setztest Du uns schief auf, ließest Bäume, Hecken, Häuser und Gassen um uns tanzen, daß wir gar zu Narren wurden. Unsern Witz hattest Du an Deinem Seile; in den Ohren erregtest Du uns ein Sausen, daß Gottes blauer Himmel uns vor den Augen schwand, daß wir die gelbe Sonne für das Heidelberger Faß ansahen und die Thürme der Schlösser für runde Schoppengläser. Jetzt sollst Du’s aber lernen, Du

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