Seite:Die Gartenlaube (1876) 166.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

elegante Reiter mit der straffen militärischen Haltung erregte, sondern auch aus den Fenstern der Patricierlandhäuser folgten ihm neugierige Blicke. Freilich ahnten die Frankfurter bei den Betrachtungen, die sie über das Auftreten des preußischen Staatsmannes anstellten, noch nicht, welches Schicksal er dereinst der freien Reichsstadt bereiten würde.

In die Zeit seiner Frankfurter Amtsthätigkeit fielen die ersten bedeutungsvollen Begegnungen Bismarck’s mit Napoleon dem Dritten. Paris war damals der Ort, wo die Diplomaten verschiedener Länder und Ländchen sich trafen, und die Vorzimmer von St. Cloud bildeten den Sammelplatz der diplomatischen Welt. Herr von Bismarck war bereits zur Zeit der ersten Pariser Industrie-Ausstellung (1855) dem Kaiser Napoleon durch den preußischen Gesandten Grafen Hatzfeld vorgestellt worden. Die Veranlassung zu einer eingehenden politischen Unterredung mit dem Kaiser bot sich ihm im Frühjahr 1857, als er mit einem besonderen Auftrage König Friedrich Wilhelm’s des Vierten, der sich auf die Angelegenheiten von Neuchâtel bezog, an den Hof der Tuilerien entsandt worden war.

Der Kaiser hatte in dem Neuchâteler Handel ein großes Entgegenkommen gegen Preußen an den Tag gelegt, und das zum Theil deswegen erreichte leidliche Abkommen mit der Schweiz hatte die Aufträge des Herrn von Bismarck erledigt. Ueber die Vorgänge in Berliner Hof- und Regierungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte Napoleon offenbar, daß König Friedrich Wilhelm der Vierte mit Bismarck auf vertrauterem Fuße stand, als mit anderen Gesandten, ihn mehrmals als Ministercandidaten in’s Auge gefaßt und einmal das bestimmte Verlangen gestellt hatte, daß er Minister des Auswärtigen werden, Herr von Manteuffel das Präsidium behalten und dazu das Finanzministerium übernehmen sollte, – eine Combination, welche den Beifall weder des Herrn von Manteuffel noch des Herrn von Gerlach gefunden hatte. Der Kaiser, der dies Alles wußte, ließ Bismarck kurz vor dessen Abreise von Paris noch einmal zu sich bitten.

Unabhängig von den beigelegten Neuchâteler Händeln, aber augenscheinlich in der Voraussetzung, daß er für seine Haltung bei dieser Frage auf ein Entgegenkommen Preußens in anderen Dingen zu rechnen habe, setzte der Kaiser seinem Gaste auseinander, wie ungerecht es sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische Ufer mit etwa drei Millionen Einwohnern würde für Frankreich eine unbequeme, unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine entschiedene Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen der Rheingrenze würde daher früher oder später Frankreich zu einer Vermehrung um zehn bis elf Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Vermehrung der französischen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, „devrait engendrer la coalition – würde eine europäische Allianz hervorrufen“, auch wäre sie schwerer zu behalten als zu nehmen; denn sie wäre „un dépôt que l’Europe un jour viendrait reprendre – ein anvertrautes Gut, welches Europa einst zurückfordern würde“; – ein solcher an Napoleon den Ersten erinnernder Anspruch sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man würde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb werde Jedermanns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes eine kleine Grenzberichtigung verlangen, könne aber auch ohne eine solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung von Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Verwandtschaft mit Frankreich, andererseits sei das letztere an Siegen zu Lande schon reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seegrenze finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer geradezu zu einem französischen See zu machen, „mais à peu près“ (aber beinahe). Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials, wie die griechischen Matrosen, ein zu gefährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. (Herr von Bismarck hatte den Eindruck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte leid that und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für ein Unternehmen zurecht machte, in das er, wie England in den Krimkrieg nach dem Ausdrucke seines auswärtigen Ministers, „wie ein steuerloses Schiff“ hineingetrieben war.) Als Ergebniß eines solchen Krieges denke er sich ein Verhältniß der Intimität und Abhängigkeit Italiens zu Frankreich, vielleicht die Erwerbung einiger Küstenpunkte. Zu diesem Programm gehöre nothwendig, daß Preußen ihm nicht entgegen sei. Frankreich und Preußen seien aufeinander angewiesen; er halte es für einen Fehler, daß Preußen 1806 nicht wie andere deutsche Mächte zu Napoleon dem Ersten gehalten hätte. Es müsse für Preußen wünschenswerth sein, sein Gebiet durch die Erwerbung Hannovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren. Für eine solche Combination sei es aber erforderlich, daß Preußen seine Marine verstärke. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit den französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht hergeben würden. Zunächst wünsche er, sich der Neutralität Preußens für den Fall zu versichern, daß er mit Oesterreich in Krieg geriethe. Herr von Bismarck möge den König über dies Alles sondiren.

Bismarck antwortete, er sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese Andeutungen gerade ihm gemacht habe, einmal, weil er darin einen Beweis von Vertrauen sehen dürfe, und zweitens, weil er vielleicht der einzige deutsche Diplomat sei, der es über sich nehmen würde, diese ganze Eröffnung zu Hause, auch seinem Souverän gegenüber, zu verschweigen. Er bäte den Kaiser dringend, sich dieser Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit, daß der König Friedrich Wilhelm der Vierte auf dergleichen einginge; eine ablehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn demselben die Eröffnung gemacht würde. Dabei bleibe im letzteren Falle die große Gefahr einer Indiscretion, einer – gar nicht übel gemeinten – vertraulichen Aeußerung darüber, welchen großen Versuchungen Preußen widerstanden habe. Wenn irgend eine andere deutsche Regierung in die Lage versetzt würde, über dergleichen Aeußerungen nach Paris zu berichten, so werde das für Preußen so werthvolle gute Vernehmen mit Frankreich gestört werden. „Sie würden den Karren arg verfahren – Vous vous embourberiez“, sagte Bismarck. Der Kaiser fand diesen selten gebrauchten Ausdruck sehr richtig und anschaulich und wiederholte ihn. Die Unterredung schloß damit, daß er Herrn von Bismarck für diese Offenheit seinen Dank aussprach.

Der Leser wolle bemerken, daß sieben Vierteljahre später der bekannte Neujahrsgruß an den österreichischen Gesandten erfolgte.[1]

Auf den Eindruck, welchen diese Unterredung bei Bismarck hinterließ, dürfen wir aus den Zeilen schließen, die er bald nachher im Hôtel de Douvres an Frau von Arnim auf’s Papier warf: „Ich habe fünf Kamine und friere doch, fünf gehende Stutzuhren und weiß nie, wie spät es ist, elf große Spiegel, und die Halsbinde sitzt mir doch immer schlecht.“

Napoleon äußerte einige Zeit später über Bismarck: „Er ist kein Mann von ernster Haltung.“ Diese gründliche Mißkennung des deutschen Staatsmannes sollte ihm üble Früchte eintragen. Es ist bekannt, in wie vielerlei Gestalten die Versuchungen Napoleon’s in späterer Zeit an Bismarck als Ministerpräsidenten und Bundeskanzler herantraten und welchen vernichtenden Gebrauch dieser kurz vor Ausbruch des Krieges von den Napoleon’schen Anträgen machte.

Der frische körnige Humor, welcher Bismarck während seiner Frankfurter Zeit eigenthümlich war und manches geflügelte Wort seinen Lippen entfliehen ließ, hat freilich unter den folgenden ernsten Kämpfen und manchen bitteren Erfahrungen weichen müssen, aber da, wo er sich dem Behagen der Stunde in seiner

  1. Dreizehn Jahre lang war von dieser Unterredung kein Wort über die Lippen Bismarck’s gekommen. Erst in einer der langen Winternächte in Versailles wurde sie einem hohen Herrn erzählt und von einem Begleiter des Fürsten aufgezeichnet, dem der Verfasser sie verdankt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_166.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)