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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

entbehrlich, jedoch um so bedeutsamer sind, je mehr Leistungen körperlicher oder geistiger Art von dem Einzelnen gefordert werden.

Diese vier Gruppen von Stoffen bezeichnet man in der wissenschaftlichen Sprache mit dem Ausdruck der stickstoffhaltigen, der stickstofffreien, der unorganischen Verbindungen und der Genußmittel, d. h. die ersten bestehen aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, die zweiten aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, die dritten aus den sogenannten Salzen (Kochsalz, Knochenerde, phosphorsaures Kali, phosphorsaures Eisenoxyd etc.), die vierten aus den sogenannten Gewürzen und eigenthümlichen Stoffen, welche unsere Nahrungsmittel und Getränke einschließen, wie das Kreatin im Muskelfleisch, das Theïn im Thee, der Alkohol in den spirituosen Getränken etc. Um der Vorstellung von den hier wesentlich in Frage stehenden stickstoffhaltigen Verbindungen behülflich zu sein, nenne ich als Hauptvertreter derselben das Eiweiß des Hühnereies, das Eiweiß des Muskelfleisches, das Eiweiß und den Kleber des Weizens und Roggens, das Legumin der Hülsenfrüchte, während als Hauptvertreter der stickstofffreien Verbindungen der Zucker, das Stärkemehl und die Fette zu bezeichnen sind.

Eine große Anzahl unserer gewöhnlichen Nahrungsmittel enthält alle diese Stoffe in sich eingeschlossen. So enthält das Fleisch des gemästeten Ochsen Eiweiß und demselben sehr nahe verwandte eiweißartige Stoffe, Fette, phosphorsaures Kali, phosphorsauren Kalk und einige andere Salze, und als Repräsentant der Genußmittel das Kreatin. Im Weizenmehl finden wir in gleicher Weise vereinigt das Pflanzeneiweiß und den Kleber, das Stärkemehl, sehr geringe Mengen Fett und phosphorsaure Salze, während ein Repräsentant der Genußmittel hier nicht vorhanden ist. Andere Nahrungsmittel bestehen dagegen auch nur aus einem einzigen der obengenannten Stoffe; so der Zucker, das Stärkemehl, das reine Fett. Sie enthalten weder stickstoffhaltige Bestandtheile, noch unorganische, noch sogenannte Genuß- oder Erregungsmittel.

Dasjenige, was der Mensch zu seiner Existenz bedarf, sowie die wesentlichen einzelnen Bestandtheile der Nahrungsmittel sind hiermit in klarer Weise bezeichnet, und wir wollen noch ausdrücklich hinzufügen, daß keine der genannten Substanzen, weder die stickstoffhaltige, noch die stickstofffreie, noch die unorganische fehlen darf, wenn anders die Ernährung eine normale sein soll. Lediglich die sogenannten Genußmittel kann der Mensch für seine einfache Existenz allenfalls, aber immer nur schwer entbehren; denn sie sind es eben, welche ihm die Nahrung schmackhaft machen.

Es bedarf aber sofort der weiteren Hinzufügung, daß die normale Ernährung nicht nur die Zufuhr der genannten Substanzen überhaupt, sondern auch ein bestimmtes relatives Mengenverhältniß derselben erfordert. Durch die Berechnungen der durchschnittlich von einem gesunden Menschen in der gemäßigten Zone täglich verzehrten einzelnen Substanzen sowohl, wie auf theoretischem Wege hat man ermittelt, daß die stickstoffhaltigen und die stickstofffreien Substanzen in einem Verhältniß von 1 : 5 stehen müssen, wenn die Nahrung allen Anforderungen genügen soll. Nur im frühesten Kindesalter macht das Wachsthum des Körpers eine relativ etwas höhere Zufuhr von stickstoffhaltigen Stoffen erforderlich, so daß sich das fragliche Verhältniß hier etwa wie 1 : 4 gestaltet. In Worte übertragen heißt dies, daß der gesunde erwachsene Mensch auf 1 Theil Eiweiß jedesmal 5 Theile Stärkemehl oder Zucker oder ein entsprechendes Aequivalent Fett (1 Theil Fett hat den Nährwerth von 2,4 Theilen Stärkemehl), das Kind dagegen auf 1 Theil Eiweiß 4 Theile Stärkemehl oder Zucker oder entsprechende Mengen Fett genießen muß, wenn die Gesammternährung eine normale sein soll, und, wunderbar genug, der Instinct hat überall die Menschen dahin getrieben, ihre Nahrungsmittel der Art zu mischen, daß diese Proportionen damit erreicht werden.

Wenn nun aber die chemische Analyse nachgewiesen hat, daß das Eiweiß der Nahrungsmittel aus dem Thierreich durchaus gleichwerthig ist dem Eiweiß der pflanzlichen Nahrungsmittel, daß das Fett des Thierleibes nahezu gleichwertig ist den Fetten (Oelen) des Pflanzenkörpers, daß ferner in dem Roggen-, Weizen-, Linsen- und Erbsenmehl nahezu dieselben unorganischen Bestandtheile enthalten sind, wie in dem Fleische des Thieres, welches wir genießen, so ist es klar, daß wir die Fleischnahrung fast vollständig durch eine bestimmte vegetabilische Nahrung ersetzen können. – Nur Eins fehlt dieser vegetabilischen Nahrung: die für die Erregung unseres Nervensystems so bedeutsamen Erregungs- oder „Genußmittel“, welche, wie das Kreatin, in dem Fleische enthalten sind. Und auch darauf wollen wir mit besonderem Nachdruck aufmerksam machen, daß fast alle vegetabilischen Nahrungsmittel relativ bei Weitem zu wenig Fett gegenüber den animalischen Nahrungsmitteln enthalten. Allein beide lassen sich sehr leicht künstlich ersetzen, und fügen wir z. B. dem Linsenmehl oder dem Erbsenmehl eine kleine Menge Fleischextract und etwas Fett in der Form von Butter oder einem anderen thierischen Fett hinzu, so wird das Linsenmehl und Erbsenmehl damit in Bezug auf die Ernährung dem Ochsenfleisch äußerst gleichwerthig. Für gewisse Dienstleistungen im Organismus (Wärmebildung) wird das Fett der animalischen Nahrungsmittel durch das Stärkemehl des Linsen- und Erbsenmehls ersetzt. Beide sind stickstofffreie Substanzen und liefern Material für die Verbrennungsprocesse in unserem Körper. Aber in weiteren physiologischen Beziehungen, auf welche ich hier nicht näher eingehen kann, kann das Fett niemals durch Stärkemehl oder Zucker ganz ersetzt werden, und hierauf wird bei jeder Verwendung der vegetabilischen Nahrungsmittel des Menschen sorgfältig Rücksicht zu nehmen sein.

Wir gelangen hiermit zu dem für die Ernährungslehre im Allgemeinen wichtigen Satz, daß sich die Fleischnahrung annähernd durch bestimmte vegetabilische Nahrungsmittel ersetzen läßt und daß wir diese bestimmten vegetabilischen Nahrungsmittel (es sind die sogenannten Leguminosen oder Hülsenfrüchte) durch geringe Zusätze von Fleischextract und Fett dem Fleische geradezu gleichwerthig zu machen vermögen. Für die Ernährung ganzer Volksclassen, marschirender Truppen, der Bevölkerung der Seeschiffe etc., so wie in nationalökonomischer Beziehung ist diese Erkenntniß von unverkennbarem hohem Werth. Aber nicht minder nimmt ein anderer Gesichtspunkt unser Interesse in Anspruch.

Das Fleisch, welches wir genießen, erfordert unter allen Umständen eine gesunde Beschaffenheit der Verdauungsorgane, wenn es unserm Organismus als Nahrungsmittel zu Gute kommen soll. Wir genießen dasselbe niemals in einer so fein vertheilten Form, daß die zu seiner Auflösung und Umwandlung bestimmten Säfte des Magens und obern Theils des Darmcanals nicht noch erforderlich wären, um seine Verdauung und seinen Uebertritt in das Blut zu ermöglichen. Zwar besitzen wir in neuerer Zeit auch Fleischpräparate, welche dem Magen jede Arbeit zu ersparen bestimmt sind (Leube’s Fleischpräparate). Allein der unvermeidlich hohe Preis derselben wird einer Anwendung in weiteren Kreisen nur zu oft hinderlich sein. Die vegetabilischen Nahrungsmittel dagegen, welche wir als zum Ersatz der Fleischnahrung geeignet bezeichnet haben (Erbsen, Bohnen, Linsen), lassen eine so feine Vertheilung zu, daß sie, in der Form eines Mehlstaubes zur Suppenbereitung verwandt, den Verdauungsorganen jede Arbeit zu ersparen vermögen, und wiewohl eben diese Leguminosen in gröberer Zubereitung sich mit Recht den Namen der schwerverdaulichsten Nahrungsmittel erworben haben, so gehören sie in ihrer denkbar feinsten Vertheilung zu den leichtverdaulichsten, ohne deshalb im Geringsten an ihrem beträchtlichen Nährwerth zu verlieren. Damit erhalten wir in diesen vegetabilischen Nahrungsmitteln äußerst werthvolle Nahrungsmittel für gewisse Kranke. Wir geben denselben mit ihnen unter Hinzufügung von etwas Fleischextract und Fett die Bestandtheile des Fleisches und ersparen den Verdauungsorganen jede Arbeit, welche zur Verdauung einer dem Nährwerth nach gleichen Menge von Fleisch erforderlich sein würde. Und wenn für solche Kranke die Milch oftmals selbst deshalb beschwerlich ist, weil die Gerinnung des Käsestoffs im Magen unvermeidlich und zu dessen Verdauung wieder eine Arbeitsleistung des Magens erforderlich ist, wenn wir kein anderes Substitut für das Fleisch im Hinblick auf seinen Nährwerth kennen, als eben die Leguminosen (sie allein enthalten unter allen vegetabilischen Nahrungsmitteln ein so hohes Verhältniß der stickstoffhaltigen zur stickstofffreien Substanz wie 1 : 2,3), so erhalten dieselben damit einen geradezu unschätzbaren Werth.

Es steht also fest, daß die stickstoffhaltigen Substanzen zu den stickstofffreien in den Leguminosen in dem Verhältniß von 1 : 2,1–2,3 stehen, und daß der gesunde erwachsene Mensch in der gemäßigten Zone diese Bestandtheile in dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_154.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)