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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

waltenden, in diesem Zusammenhange der natürlichen Dinge schaffenden und sich auswirkenden Geist festhalten, wie verschieden und mannigfaltig sie das auch in Worten und Formeln auszudrücken versuchte. Daß die Religion bei dieser sogenannten immanenten Weltanschauung dahinfallen müsse, wie man mir sagte, wollte mir nicht einleuchten. Ich sah, wie alle die Denker und Forscher, welche jene Weltanschauung pflegten und herausarbeiteten, der Religion ihren Platz in dem System ihrer Gedanken anzuweisen wußten; Schleiermacher besonders, dessen Organ für die Religion so fein und scharf ausgebildet war, führte den Gedanken auf allen Punkten, welche die Religion berührten, durch, daß der Naturzusammenhang und die Wirksamkeit Gottes sich decken, daß die Religion auf keinem Punkte Ursache habe, Wunder oder überhaupt ein äußerliches Eingreifen Gottes in den Weltzusammenhang anzunehmen.

Ohne Zweifel erlitt die Religion unter dieser Weltanschauung eine tiefgreifende Veränderung; das war ein schmerzlicher Schnitt mitten in’s Herz aller bisherigen Religionen. Aber jene Veränderung schien der Religion nur zum Nutzen zu gereichen und dieser Schnitt in’s Herz versprach Heilung von vielen Krankheiten und volle Genesung. Nicht einen wunderthätigen, in die Weltordnung um der Wünsche und Bedürfnisse des Menschen willen eingreifenden Gott verlangt das wirklich fromme Herz, sondern nur den wahren, gegenwärtigen, fühlbaren Gott, bei dem es in der Angst des Zeitlichen ausruhen, aus dem es Kraft und Licht, Trost und Stärke schöpfen kann. Jetzt erst schien die Religion unter den Menschen werden zu können, was sie ihrem Wesen nach ist: selbstlose, uneigennützige Hingebung.

Für eine solche vertiefte, vergeistigte, geläuterte Religion einst wirken zu dürfen – welch’ eine erhebende und begeisternde Aussicht!




Die Reliefs für das deutsche Cadettenhaus.


Vor wenigen Jahren noch ein unansehnliches Dorf, hat sich das in der Nähe von Berlin gelegene, kaum genannte Lichterfelde in kurzer Zeit zu einer nie geahnten Bedeutung emporgeschwungen. Aus der wüsten Sandfläche sind eine Reihe der schönsten Villen emporgestiegen und traurige Kartoffelfelder haben sich in die reizendsten Anlagen verwandelt. Diesen Aufschwung verdankt der Ort zunächst der Eisenbahn, der Speculation verschiedener Baugesellschaften, vor Allem aber dem Baue des neuen deutschen Cadettenhauses, das seiner baldigen Vollendung entgegensieht. Nachdem die damit beauftragten Architekten einen Complex palastähnlicher Gebäude hergestellt haben, ist eine Anzahl der hervorragendsten Künstler damit beschäftigt, die inneren Räume mit Bildern, Statuen und Reliefs in würdiger Weise zu schmücken. Den größten Wurf hat dabei ein junger Bildhauer mit einem Fries für den großen Saal von zweihundertsechszehn Fuß Länge gethan – der Schöpfer des „Stein-Denkmals“ in Nassau, Johannes Pfuhl, dessen Freundlichkeit wir die beiliegende Zeichnung, eine Episode aus seinem großartigen Werke, zu danken haben.

Selten hat wohl ein Künstler in so kurzer Frist eine so bedeutende Laufbahn durchgemacht. Johannes Pfuhl wurde im Jahre 1846 zu Löwenberg in Schlesien geboren, wo sein Vater noch jetzt als Rector der dortigen Stadtschule lebt. Frühzeitig schon verrieth der aufgeweckte Knabe Talent und Liebe für die bildende Kunst. Vor Allem zog ihn schon damals die Schönheit der menschlichen Gestalt an, weshalb er auch Bildhauer werden wollte, womit sein Vater, wenn auch mehr aus praktischen Gründen, einverstanden war. Mit fünfzehn Jahren kam Johannes nach Berlin, wo er in dem Atelier des bekannten Professors Schievelbein längere Zeit arbeitete. Da sich aber der väterliche Zuschuß kaum auf hundert Thaler jährlich belief, so mußte sich der hoffnungsvolle Eleve auf das Aeußerste einschränken und sich die größten Entbehrungen auferlegen. Mit zwei Brüdern, von denen der eine gegenwärtig Stabsarzt, der andere Beamter ist, bewohnte er zusammen eine einfensterige Stube. Durch gegenseitige Unterstützung und ihren unverwüstlichen Humor suchten sich die Geschwister redlich durchzuhelfen und einander den Kampf um das Dasein zu erleichtern, wobei sie allerdings nach dem Studentenausdrucke zuweilen „krumm liegen“ mußten.

Nachdem Pfuhl den Unterricht seines Meisters mehrere Jahre genossen, fühlte er den Wunsch und die Kraft zu selbstständigem Arbeiten. Er miethete sich zu diesem Zwecke eine Stube in einem einsamen, abgelegenen Häuschen, wo er wie ein Verschollener lebte und in strengster Zurückgezogenheit von der Welt sich ausschließlich nur mit Zukunftsplänen trug. Hier beschäftigte er sich zunächst mit Entwürfen zu verschiedenen Concurrenz-Skizzen für das Uhland-, Goethe- und Stein-Denkmal, die er an die betreffenden Comités sandte, freilich ohne jede Aussicht auf Erfolg, da er gänzlich unbekannt war. Mit banger Spannung harrte er von Tag zu Tag auf einen günstigen Bescheid, an den er selbst nicht mehr glaubte. Eines Tages aber, als er bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte, klopfte es an seine Thür; auf seinen Ruf trat der Briefträger mit einem Schreiben aus Heidelberg ein, das er mit zitternden Händen öffnete. Es war die Anzeige des dortigen Stein-Comités, daß Pfuhl den Preis gewonnen. Die frohe und für ihn so bedeutungsvolle Nachricht wurde ihm bald darauf von dem bekannten Landtags-Abgeordneten Braun aus Wiesbaden bestätigt, der als Mitglied des Comités mit Pfuhl wegen der Ausführung des Denkmals verhandelte. Braun war sichtlich von der Jugendlichkeit des damals erst einundzwanzigjährigen Künstlers überrascht, sodaß er, als er ihn vor sich sah, kaum seinen eigenen Augen trauen wollte.

„Sie haben wohl,“ sagte Braun, „in dem Heidelberger Comité einige Gönner gehabt, die sich für Sie interessirten?“

„Nicht daß ich wüßte!“

„Aber wenigstens einen guten Freund, der sich Ihrer angenommen und Sie so warm empfohlen hat?“

„Allerdings!“ versetzte Pfuhl lächelnd. „Ich hatte in Heidelberg den besten Freund –“

„Und der ist?“

„Meine Skizze zu dem Denkmale,“ entgegnete der junge Künstler.

Von diesem Augenblicke an verbreitete sich schnell der Ruf des bisher unbekannten Bildhauers. Mit der ihm eigenen Energie und rastlosem Fleiße ging er sogleich an die Ausführung der ihm übertragenen Arbeit, welche die davon gehegten Erwartungen noch bei Weitem übertraf. Nicht nur das Comité und die gesammte Berliner Kritik sprach ihre höchste Zufriedenheit über das vollendete Werk aus, sondern auch der Kaiser Wilhelm fällte bei dem Anblicke der Statue das schmeichelhafte Urtheil: „Ja, das ist der alte Stein, wie er leibte und lebte.“

Bei der feierlichen Enthüllung des Denkmals in Nassau wurden auch dem Künstler wohlverdiente Ehren und Auszeichnungen zu Theil; wichtiger noch für ihn war der Umstand, daß in Folge der gelungenen Arbeit sich der Kaiser bewogen fand, ihm die Ausschmückung des großen Saals in dem neuen deutschen Cadettenhause zu Lichterfelde anzuvertrauen. Vier Wochen genügten ihm, die Skizze, welche zweiundfünfzig Fuß lang ist, zu entwerfen und vorzulegen. Nach der ihm vorschwebenden Idee soll das Ganze die in Folge der letzten Ereignisse stattgefundene Umwandlung der preußischen Militärbildung in eine allgemeine deutsche darstellen. Der vollendete Fries, in einer Länge von zweihundertsechszig und einer Höhe von vier bis fünf Fuß, zerfällt in dreizehn Theile, welche im innigsten Zusammenhange mit einander stehen. Zunächst dem Eingange des Saales erblickt man das Relief, welches die Einführung, die Ausbildung und den Abgang der Zöglinge zeigt; den Hintergrund des Reliefs bildet das alte Berliner Cadettenhaus in der Neuen Friedrichsstraße. Dem entsprechend sieht man auf der anderen Seite die Uebergabe des deutschen Reichscadettenhauses in Lichterfelde durch den Kaiser an den Corpscommandanten mit den sprechend ähnlichen Gestalten eines Bismarck, Moltke etc.

Es liegt in der Natur der dargestellten Gegenstände, daß der Künstler sich dabei streng an seine Aufgabe halten mußte. Um so kühner und freier durfte sich sein Genius in den übrigen Reliefs entwickeln, welche den letzten französischen Krieg in den verschiedensten Phasen künstlerisch wiedergeben. In einer Reihe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_151.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)