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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

wurden vorzugsweise gekauft. Aber nicht auf den Handelszügen, sondern daheim im Comptoir und Haus wollen wir einen solchen Kaufherrn betrachten. Sie hatten, einer wie der andere, ihre eigenen Manieren, als junge wie als alte. Wenn nämlich ein solcher alter Sonneberger es auch über sich vermocht hatte, die Söhne in das Geschäft aufzunehmen, oder dasselbe ihnen abzutreten, so arbeitete er dennoch nach wie vor auf gewohnte Weise bis an sein Lebensende fort und behielt sich „das Recht der Disposition“ wohl ebenso lange vor. Der Grund, warum die alten Kaufherren auf ihre kaufmännische Wirksamkeit nicht verzichten wollten, lag aber weniger in der Gewohnheit, thätig zu sein, und in der Einbildung, daß ihre Söhne ohne sie nicht „reüssiren“ würden, als hauptsächlich in der Unzertrennlichkeit von ihrem Comptoir. Dieses hatten sie sich nach Jahrzehnten so gemüthlich und gemächlich eingerichtet, daß sie sich förmlich dahin sehnten, wenn Krankheit eine Zeitlang sie an ihre Wohnstube gefesselt hielt. Dort im Comptoir und nicht in der Wohnung, wo sie von der Familie gestört wurden, fröhnten sie all den Liebhabereien, auf die sie in ihren jüngeren Jahren im Voraus sich gefreut hatten.

Einen solchen alten Kaufherrn näher kennen zu lernen, wollen wir ihn nun in seinem Comptoir beobachten.

Zu dem Zwecke müssen wir früh aufstehen, denn bald nach Tagesanbruch geht er dahin, sein alter Spitzhund vornweg, die Katze hinterdrein.

Der Anzug des Kaufherrn besteht aus einem langen Kittel mit über die Schultern herabhängendem Kragen, von hausleinenem, naturfarbigem Stoffe, verblichen und schmutzig, weil der Alte seiner würdigen Ehehälfte den Gefallen nicht thut, ihn auch nur ein paar Tage zur Wäsche abzulegen. Der Kittel war ein Frankfurter und hatte früher auf den Meßreisen als Staubmantel gedient. Er ließ ihn jahrelang flicken und an den Ellenbogen beflecken aus treuer Anhänglichkeit. Mit der Zipfelmütze und den alten Filzpantoffeln verhielt es sich ähnlich.

Der erste Blick unseres Comptoirherrn ist auf seine Singvögel gerichtet, die in zahlreichen, großen und kleinen Käfigen an die Fenster und Luftlöcher gehängt, zwitschernd und hüpfend ihre Freude verkünden, daß ihr pünktlicher, sorgsamer Schutzherr sie eigenhändig füttern wird. Jeden Vogel durch Zunicken freundlich begrüßend, hat er für jeden einen Schmeichelnamen, wie: „Mätzle“, „Zirrle“, „Pfuitz“, „Dom“. Zunächst sucht er aus dem alten Mehlwürmertopf eine Portion der fettesten Würmer, drückt ihnen mit dem Nagel des Daumens die Köpfe entzwei und reicht sie der Lüdellerche und dem Rothkehlchen, die gierig ihre Mahlzeit verschlucken. Der Stieglitz und der Buchfink bekommen einen anderen Leckerbissen. Der Gimpel pfeift schon einige Strophen vom Lieblingsliede des alten Herrn: „Guter Mond, du gehst so stille“ ohne Stocken recht schön, genau so, wie dieser täglich mehrmals es ihm vorpfeift.

Solche abgerichtete Gimpel bekamen alte gute Geschäftsfreunde zum Geschenk, und der Abschied von einem solchen Vogel, wenn der Sohn ihn mit sich auf die Messe nahm, kostete dem Alten ein paar Thränen. Der Briefwechsel zwischen Vater und Sohn behandelt in erster Reihe des Vogels Befinden, und zwar angelegentlicher, als das der Familie, dann erst das Geschäftliche.

Von den Vögeln geht’s zum Wetterpropheten, dem Laubfrosche im Glase am Fenster. Er sitzt auf der obersten Sprosse der Leiter, über dem Wasserspiegel, darob der Alte sich freut, da dies schönes Wetter bedeutet. Und er fängt ihm nicht ohne Mühe drei Fliegen, die er lebend durch ein Löchlein der Papierdecke in’s Glas prakticirt. Wie sie der Frosch erschnappt und verschluckt, das sieht sich der Alte mit an, und sollte es ihm eine halbe Stunde Zeit kosten.

Unterdessen hat die Hausmagd des Herrn altgewohntes Frühstück, „Warmbier mit Ingwer“ gebracht und auf den im Winter wie im Sommer zur frühen Morgenstunde geheizten Ofen gestellt, den der Alte selbst mit Holz bedient, um sein Warmbier warm zu erhalten.

Das Nächste ist, seinen Tabak, die Pfeifen und den Schnupftabak herzurichten, Vorbereitungen zu den Tagesgenüssen, die der Alte mit gleicher Sorgfalt, aber größerer Umständlichkeit besorgt, als die Hausfrau in der Küche die Speisen. Vom Rollenkanaster wird für den Tag so viel geschnitten, daß die Blechdose und der Bocksbeutel voll werden. All’ die thönernen Pfeifen auf dem Eckgestelle und die daneben an der Wand hängenden Ulmer, deren silberbeschlagene Köpfe theilweise mit den Merkur-Emblemen und reichen Verzierungen kunstvoll beschnitzt und dem Alten beinahe das Theuerste und Liebste auf Erden sind, werden geputzt, gereinigt, die Rohre zum geöffneten Fenster hinaus durchblasen und die Köpfe durch Aufklopfen am Fensterbrette von Asche entleert, ein Geräusch, das die gegenüber wohnende Familie regelmäßig an das Aufstehen mahnt, da es nun sechs Uhr ist.

Damit ist auch die Zeit für den Kaufherrn gekommen, dem ersten, frischen Genusse seiner Tabakspfeife sich hinzugeben. Mit Stahl und Feuerstein wird der Schwamm entzündet und schmunzelnd die Pfeife damit in Brand gesetzt. Nach den ersten sechs Zügen holt er seine mit Achatsteinen besetzte dreigehäusige, dickbauchige Taschenuhr, die er an breiter Silberkette, mit Uhrschlüssel und rubingläsernem Petschaft behängt, stets bei sich trägt, aus der Hosentasche und zieht das Uhrwerk bedächtig auf. Indem er die Uhr an’s Ohr hält, mustert er seine Hausapotheke und sieht, ob Alles im Comptoir an seinem Platze steht. Auf Regalen und alten Schränken sehen wir verschiedene große und kleine Flaschen, Krüge und Gläser mit allerlei farbigen Flüssigkeiten darin. Alchymist ist der Alte just nicht, obschon er zu dieser Kunst mehrmals Anlauf genommen hat. Dagegen bereitet er selbst seine Schuhwichse und ‑Schmiere, Baumwachs, Fleckseife, Tinte in allen Farben, Lebenselixire, einen ausgezeichneten Magenbittern, Ameisenspiritus, Pflaster für alle Wunden und für Hühneraugen. Er würde, das steht fest, „gar viel mehr Mannigfaltiges zum Besten der Menschheit produciren können“, wenn er nur die Zeit dazu hätte. In der That besitzt der alte Herr einen Schrank voll alter Receptbücher, die er vor drei Jahrzehnten in Frankfurt antiquarisch gekauft hat.

Aber auch künstlerischen Beschäftigungen hat sich derselbe in seinen Mußestunden hingegeben. Denn die Schachtel- und Koffermalerkunst, die sogenannte Wismuthmalerei, wie sie sein Vater und Großvater schon betrieben, ist frühzeitig ihm eingeimpft und auf ihn vererbt worden. In der That trieb er als angehender Kaufmann das Malerhandwerk neben seinem Handel fort, wie dies fast bei allen Sonneberger Kaufleuten des achtzehnten Jahrhunderts geschah, daß sie dem Handwerke ihrer Eltern, der Wismuthmalerei oder dem Wetzsteinmachen, treu blieben. Die Kaufherren setzten natürlich einen Werth darein, mit ihrer Kunst über der des Malerhandwerks zu stehen. Bei diesem war sie am meisten ausgeprägt im Bemalen großer Schachteln und Koffer mit Blumen, Landschaften, Jagdstücken und Figuren. Einem jeden Gemälde war für Jungfrauen oder Frauen, Jünglinge, Ehemänner oder Hagestolze ein von dem Maler selbst gedichteter Knittelvers beigeschrieben, meist so naturwüchsig derber Art, daß darob manche Klage von außen einlief: „sintemal züchtige Jungfrauen und Frauen solche Schachteln nicht ansehen, geschweige gar kaufen möchten“.

Der über dem Schreibpulte des Kaufherrn prangende immerwährende Kalender, mit buntfarbiger Schrift und Goldarabesken, ist von seiner Hand. Auf den vier Seiten des Rahmens stehen die Namen der Familienmitglieder bis zurück zu den Urgroßeltern sammt ihren Geburts- und Sterbetagen verzeichnet, in jeder der vier Ecken ein Denksprüchlein in Goldschrift, unten in der Mitte sehr leserlich sein Name, die Jahreszahl und das „ipse fecit“, das deutlich auf allen den Leimfarbe-Bildern hervortritt, womit der alte Herr seine Wohnstube und Gastzimmer vollgehängt hat.

Wer sich für seine Gemälde interessirt und sie von ihm sich erklären läßt (es sind Ansichten von Städten, die er auf seinen Reisen besucht hat), der steht gut bei ihm angeschrieben und den beschenkt er obendrein mit einem Schächtelchen seiner Schuhwichse oder er giebt ihm einen Magenbittern.

Unterdessen hat der Kaufherr das Warmbier zu einer Pfeife Tabak sich gut schmecken lassen, und seine Arbeitszeit beginnt. Die mächtige Tintenbüchse wird geschüttelt, die Streusandbüchse zur Hand gerückt. Die Kielfedern werden geschnitten und die bestgelungene wird unter einem tiefen Athemzug hinter’s Ohr unter die Zipfelmütze gesteckt. Die Briefe von der letzten Coburger Mittwochs-Botenpost werden geordnet, zur Beantwortung innerhalb drei Tagen für den nächsten Sonntags-Briefboten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)