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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 9.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


10.


Seit dem Gesellschaftsabend war eine Woche verstrichen; „eine entsetzlich fatiguirende Woche!“ seufzte erschöpft die Präsidentin und schalt gleich darauf nachdrücklich und energisch ihre Schneiderin, daß sie die Toilette zu dem achten dieser ermüdenden Tage nicht elegant genug arrangirt habe, daß die Schleppe absolut zu kurz, die Spitzen nicht breit genug, die Stoffe allzu leicht seien. Es waren mehrere große Damenthee’s und Kaffeegesellschaften in den höchsten Kreisen zu bewältigen gewesen; außerdem hatte Flora zu lebenden Bildern, die bei einem kleinen Hoffest gestellt wurden, die Verse machen und sprechen müssen, „man war kaum zu Athem gekommen.“

Henriette mußte aus Rücksicht auf ihr verschlimmertes Kranksein dieses aufregende Treiben streng meiden, und Käthe blieb, obgleich sie stets sehr freundlich mit eingeladen wurde, consequent bei ihr zu Hause. Dann tranken sie den Thee allein im Musikzimmer, und Käthe erzählte Schnurren und spielte unermüdlich Clavier, um Henriettens Trübsinn zu verscheuchen. So scharf auch die Urtheilskraft der Kranken war, so tief sie auch das Oberflächliche, die wehende Kühle in dem gesellschaftlichen Leben und Treiben empfand, sie war und blieb doch das Kind der vornehmen Welt; sie war im Salon, unter den aristokratischen Freunden der Großmama aufgewachsen, und so sagte sie oft bitter lächelnd, wenn zur Thee- oder Theaterstunde das Getöse der rollenden Wagen von der Stadt fern herüberscholl, ihr sei zu Muthe, wie einem invaliden Streitroß, das, lahm und schwach, beim Signal die Ohren spitze und um Alles gern mitlaufen möchte.

Blendend wie eine Fee schwebte Flora abschiednehmend durch das Musikzimmer. Sie hatte meist eine Unmuthsfalte zwischen den Brauen und ein Spottlächeln auf den Lippen, das den jugendlich knappen Toiletten der Großmama galt; sie beklagte die verlorene kostbare Zeit, aber sie warf den schützenden Schleier über die blumengeschmückten Locken, nahm die Schleppe auf und ging, um draußen den wartenden Wagen zu besteigen und – „sich zu opfern“.

Der Commerzienrath war vor sechs Tagen in Geschäften nach Berlin gereist. Er schrieb täglich an die Präsidentin „wahrhaft goldtrunkene Briefe“, sagte sie bedeutungsvoll lächelnd. Vorgestern aber waren prachtvolle Bouquets an die drei Schwägerinnen gekommen, und da hatte die Frau Präsidentin nicht gelacht. Für Flora und Henriette hatte der galante Schwager Camellien und Veilchen binden lassen, Käthe’s Rosenstrauch dagegen strotzte von Orangenblüthen und Myrthe. Der Präsidentin wäre wahrscheinlich die zarte Sprache aus der Ferne entgangen; sie nahm achtlos die Bouquets aus der Kiste und war eben im Begriff, die zwei für Henriette und Käthe bestimmten hinaufzuschicken, als Flora, sich schüttelnd vor Lachen, mit dem Finger auf das ausdrucksvolle Blumenarrangement zeigte. Da wurde das Gesicht der alten Dame lang und fahl, wie noch nie in ihrem ganzen, langen Leben. „Aber, Großmama, hast Du denn wirklich geglaubt, Moritz werde sich den Adel mit solchen Unsummen erkaufen, um dann sein Geschlecht aussterben zu lassen?“ rief Flora in ihrer übermüthigen, frivolen Scherzweise. „Du hättest doch wissen müssen, daß ein Mann wie er, noch ziemlich jung, reich und stattlich, nicht zeitlebens Wittwer bleiben wird! Und er freit nicht vergeblich um Käthe – das weiß ich am besten.“

Mit diesem kleinen Zwischenfall trat plötzlich ein Spukwesen in der Villa Baumgarten auf. Käthe ahnte sein Dasein nicht; sie hatte die auf Draht gebundenen Blumen mit frischem Wasser bespritzt, um sie nicht so rasch verschmachten zu lassen, und das Bouquet auf das Fensterbrett gestellt, ohne die bedeutungsvolle Blumenschrift verstanden zu haben. Durch die Gemächer der Präsidentin aber wandelte die graue dräuende Gestalt; sie verdüsterte den Glanz der vielfach beneideten Seidensammt-Möbel, der Goldbronzen und der unschätzbaren Meißner Porcellangarnitur; sie saß im Wintergarten auf dem Lieblingsplatz der Präsidentin und vergällte ihr den Genuß an Allem, was ihr das Leben schmückte. Die alte Dame sorgte um ihre Zukunft, als habe sie erst die Hälfte ihres Lebens hinter sich; der Commerzienrath durfte sich nicht wieder verheirathen; er war ihr das schuldig. Sie hatte ihn durch ihre Connexionen, ihren gesellschaftlichen Einfluß erst zu dem gemacht, was er geworden war; sie hatte mit ihrem unvergleichlichen Geschmack sein Haus zu einem kleinen Schloß umgestaltet, das selbst den verwöhntesten Hofleuten imponirte, und war es ihrerseits nicht ein bedeutendes Opfer, ein Act der Selbstüberwindung gewesen, mit welchem sie sich an die Spitze seines damals noch ziemlich simplen, bürgerlichen Hauswesens gestellt? Und nun, als sich Alles so gefügt, wie sie gewünscht und unablässig erstrebt hatte, nun sollte es plötzlich eine junge Frau von Römer geben, die hier unten in den prachtvollen Räumen empfing – und wer die Frau Präsidentin Urach sehen wollte, der mußte hinaufsteigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_141.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)