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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Pritschenschläge deutschen Volkshumors.


Von Moritz Busch.


Nr. 2. Die Schildbürgerthorheiten der verschiedenen deutschen Landschaften. – Die schwäbischen „Kröpfle“. – Elsässische Abderastreiche. – Der schweizerische Palmesel. – Der fränkische Weiberwetzstein. – Der schleswigsche Mühlstein und andere Gimpeleien.


Ich komme jetzt zu den einzelnen deutschen Orten, denen der Volkshumor eins mit seiner Pritsche gegeben hat, und zwar zunächst, wie billig, zu den schwäbischen, in denen die hier besprochene Art der Neckerei und Fopperei zuerst aufgekommen zu sein scheint. Hier begegnen uns (vgl.  Meier) zuerst die Seebronner, welche „Sensenschmecker“ heißen, weil einst der dortige Schultheiß alle Sensen des Ortes zu sich bringen ließ, um durch Anriechen (schwäbisch „schmecken“) derselben herauszubekommen, wer einem der dortigen Bauern heimlich seinen Hanf abgemäht habe. Die Kiebinger werden als „Mondfänger“ verspottet. Sie wollten nämlich einmal den Mond im Neckar mit einem Netze fangen, und ein anderes Mal sollte ein Schweinestall als Falle dienen. Als der Mond ihnen hier wie dort entwischte, sie ihn aber gar zu gern gehabt hätten, gedachten sie ihn mit einer Stange vom Himmel zu stoßen, und da dieselbe nicht bis hinauf reichte, sollte sie gestreckt werden. Zwei Mann zogen, der eine an dem, der andere am andern Ende, bis endlich der Stärkere den Schwächeren niederriß und nun mit dem Rufe „Es geht“ allein fortlief, indem er glaubte, daß die Stange sich verlängere. Die Ulmer tragen den Spitznamen „die Spatzen“, weil das im vorigen Abschnitte erzählte Histörchen vom Sperling, der mit dem Strohhalme die richtige Behandlung des Balkens lehrte, sich unter ihnen begeben haben soll.

Eine andere vielgeneckte Schwabengemeinde sind die Hirschauer bei Tübingen, welche „die Waden unter dem Kinn haben“ und deshalb „Kröpfle“ genannt werden. Man sagt auch von einem Hirschauer: „er hat alle seine Glieder beisammen“, was daher rührt, daß, als einst ein den Ort passirender Fremder von Kindern verspottet wurde, weil ihm der Kropf fehlte, die Mutter es ihnen mit den Worten verwies: „Dankt Ihr doch lieber Gott, daß Ihr alle Eure Glieder beisammen habt!“ Die Rottweiler sind dadurch zu dem Spitznamen „Esel“ gekommen, daß ihnen die Geschichte mit dem Kürbiß passirt sein soll, den man für ein Eselsei hielt, und aus dem der Bürgermeister den Hasen ausbrütete. Ein Maler brachte den Schabernack fertig, daß sie den Esel in ihre Stadtfahne bekamen. Er malte ihnen die Flucht der heiligen Familie nach Aegypten darauf und nahm nur zu dem Esel Oelfarben, zu dem Uebrigen blos Wasserfarben, die der Regen mit der Zeit abspülte. Die Derendinger heißen „Gelbfüßler“, weil sie einmal, als die Körbe bei einer großen Eierlieferung die Eier nicht fassen wollten, sich damit halfen, daß sie in die Körbe sprangen und die Eier zusammen traten. Die Weilheimer neckt man mit ihrer Kirchweih, weil sie keine haben, die Hornberger mit ihrem Schießen, weil sie einst mächtige Vorbereitungen zu einem großen Schützenfeste getroffen, als der Herrgott aber den Schaden besah, das Wichtigste vergessen hatten – die Besorgung von Pulver.

Die meisten Schildbürgerthorheiten hat das brave Dorf Ganslosen im Oberamte Göppingen sich andichten lassen. Außer einer Menge anderer Geschichten werden ihm von der Spottlust der Nachbarn nicht weniger als drei von den im ersten Capitel erwähnten Gimpeleien, die von dem Storch, zu dessen Vertreibung der Feldhüter der Schonung des Getreides halber von vier Mann auf einer Bahre durch das Feld getragen wurde, die von der durch Ueberdachung vor dem Regen geschützten Sonnenuhr und die von der genialen Brunnenmessung, auf sein Conto geschrieben. Berühmt ist endlich der Spion von Aalen. Als diese Stadt einst mit dem Kaiser Streit hatte, schickte sie den pfiffigsten ihrer Bürger aus, damit er das kaiserliche Lager und Heer auskundschafte. Selbiger Schlaukopf begab sich alsbald zu den Feinden, die er schön grüßte, und denen er, als sie ihn fragten, wer er sei und was er wolle, sogleich die beruhigende Versicherung gab, sie sollten nur nicht erschrecken, er wäre blos der Spion von Aalen und wollte sich ihr Lager ein wenig besehen. Das wurde ihm selbstverständlich gestattet, und aus Dankbarkeit und Bewunderung so großer Klugheit haben die Aalener ihm dann einen Platz an ihrer Rathhausuhr verliehen. Hier war er leibhaftig abgebildet, drehte den Kopf, wie der Perpendikel kam und ging, und schnitt dem Publicum Gesichter.

Auch das Elsaß bietet uns (vergl. Stöber) eine große Anzahl von Orten, welche der Humor des Volkes in der Scheere gehabt und mit seiner Marke gezeichnet hat. Die Illzacher gehören zu den Mondfängern; die Killstetter heißen „Fröschevertränker“, die Pfaffenheimer „Bannsteinrücker“, die Flachslander „Engelsschmelzer“. Die Bewohner von Straßburg führen den Spitznamen „Meisenlocker“, die von Colmar „Knöpfler“, die von Pfirt gar „Spaasen“, d. h. Spitzbubenvolk. Die zwischen Ill und Rhein Wohnenden hat der Volkswitz „Rheinschnaken“, die von Türkheim „Lochschlupfer“, die von Oberbronn „Büchsensäcke“ oder „Mantelträger“ getauft.

Die Schweiz hat gleichfalls eine Menge von Orten, die Schildbürgerstreiche verübt haben sollen, oder wenigstens mit Spitznamen, an die sich eine komische Geschichte knüpft, bedacht sind. In Appenzell gilt letzteres fast von jedem Dorfe. Im oberen Wallis erzählt man von den Visperthalern, im unteren von den Salvansern die Lalenbürgergeschichte vom Gemeindehausbau, wo man die Fenster vergaß und darauf das Licht in Säcken hineintrug. Hornussen im Frickthal soll seinen Namen davon haben, daß hier das Histörchen von dem Boten, der gutes Wetter holen soll und es in einer Schachtel in Gestalt einer Horniß mitbekommt, passirt wäre. Schinznacht bei Winterthur heißt nach einer Witzelei der Nachbarn eigentlich Schind z’Nachts, weil die Leute dort eine Kuh, die sie verspeisen gewollt, aus Scham nicht am Tage geschlachtet, sondern Nachts geschunden hätten. Die Freiämtler foppt man mit dem Namen „Bschindesel“, die von Tägerig mit der Bezeichnung „Eselsohren“; die Bremgartner sind im Volksmunde „Palmesel“, die Mellinger einfach „Esel“. Die letzteren beiden Namen werden durch folgende Erzählung erklärt. In Bremgarten wurde früher am Palmsonntag eine Procession abgehalten, bei der man einen auf Rädern gehenden Holzesel herumzog. Dabei stürzte er einmal um, und sein schlecht geleimter Schwanz fiel ihm aus. Indeß stellte man ihn rasch wieder zurecht, und auch der mit Mantel und Stab hinter ihm herschreitende Schultheiß verlor die Fassung nicht; er hob den Schwanz auf, zog ihn durch den Mund und steckte ihn wieder in den allein dafür schicklichen Ort. Als die Stadt der Reformation beitrat, warf man mit anderen Heiligenbildern auch den Palmesel in die Reuß, die ihn dem Nachbarstädtchen Mellingen zutrug. Die dortigen Katholiken wollten ihn in die Kirche stellen, die Protestanten wehrten es ihnen, und ein Metzger unter ihnen schnitt dem Esel den Hals ab und warf ihn wieder in den Fluß. Der Mann bekam zur Strafe dafür einen Kropf, das Volk des Ortes aber den obenerwähnten Spitznamen, aus dem sich ein eigenthümlicher Gebrauch der Mellingener entwickelt haben soll. So oft sie nämlich ihre Brücke passirten, an der nur Fremde Zoll zu erlegen hatten, drückten sie dem lauernden Einnehmer schon von weitem ihre Zollfreiheit damit aus, daß sie einen Zipfel ihres Rockes, zur Form eines Eselsohres zusammengefaßt, sich an den Kopf hielten.

Die Bewohner des Dorfes Ellikon, im Kanton Zürich, heißen von Alters her, von einer Variation der Mähr vom Feldhüter auf der Tragbahre, „wilde Schweine“. Einmal richtete in den Feldern der dortigen Bauern ein Wildschwein arge Verheerungen an und ließ sich mit Nichts herauslocken. Da meinte Jemand, diese Thiere fräßen gern Eier, vielleicht ließe der Eber sich damit fangen. Das gefiel, doch wußte man nicht, wie man es ausführen sollte, ohne das Korn zu zertreten. Endlich hatte man es. Ein Mann wurde in einen Korb gesetzt, vier Andere trugen ihn an Stangen durch das Getreide, und bei jedem Schritte warf er ein Ei aus.

Als der Papst Martin einmal von Deutschland nach Rom zurückreiste, kam er auch nach dem Städtchen Brugg. Die Bürgerschaft gedachte ihm eine Ehre und Güte anzuthun, und sie wählte dazu das Beste, was sie kannte: sie kochte ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_136.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)