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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„So denke ich nicht über die Frauenarbeit im Allgemeinen –“

„Im Allgemeinen!“ persiflirte sie hart auflachend. „Ach ja, der allgemeine, landläufige Begriff! Kochen, Nähen, Stricken –“ zählte sie an den Fingern her.

„Du hast mich nicht ausreden lassen, Flora,“ sagte er gelassen. „Ich bezog mich ebensowohl auf die geistige Thätigkeit wie auf die Handarbeit. Ich stehe der Frauenfrage durchaus nicht fern und wünsche, wie alle Billigdenkenden, daß die Frau die Mitstrebende, die verständnißvolle Gehülfin des Mannes auch auf geistigem Gebiet werde.“

„Gehülfin? Wie gnädig! Wir wollen aber keine Gnade, mein Freund; wir wollen mehr; wir wollen Gleichstrebende, Gleichberechtigte nach jeder Richtung hin sein.“

Er zuckte die Achseln und lächelte; sein interessantes Gesicht erschien durch dieses Gemisch von leisem Spott und nachsichtiger Milde ungemein beseelt. „Das ist ja die höchste Potenz der modernen Ansprüche und Forderungen, von der sich die Verständigen längst wieder abgewendet haben, und welche die Freunde des Fortschrittes auf staatlichem und religiösem Boden bekämpfen werden, so lange die Frauenwelt Excesse begeht, wie die Bet-Orgien in den Straßen der amerikanischen Städte, so lange sie urtheilslos und fanatisch mit dem schwarzen Heer der Beichtväter zu gehen pflegt. Das hieße ein mörderisches Messer in eine kleine, unvorsichtige Hand drücken.“

Flora erwiderte kein Wort. Sie war marmorweiß geworden. Anscheinend gleichmüthig nahm sie eine Stahlfeder, probirte sie auf dem Daumennagel und steckte sie in den Federhalter. Dann zog sie einen Kasten auf und ergriff mit etwas unsicher tappender Hand einen kleinen Gegenstand.

Henriette riß plötzlich mit einem gewaltsamen Ruck ihren Arm aus dem der Schwester und trat einen Schritt vorwärts, während der Commerzienrath so rasch aus dem Zimmer ging, als habe er etwas zu besorgen vergessen. Käthe erschrak – sie sah, wie die edelgeformten Finger dort leichtbebend nach dem Federmesser griffen und die Spitze der aus dem Kasten genommenen Cigarre abschnitten.

„Auch ein Messer, das wir nicht führen sollen, zu diesem Zweck nämlich,“ sagte Flora mit erzwungenem Scherz halb über die Schulter nach dem Doctor hin, der während des Sprechens einmal im Zimmer auf- und abgegangen war. „Aber merkwürdiger Weise hat unser um acht Loth ärmeres Frauengehirn doch das mit den Herren der Schöpfung gemein, daß es schärfer denkt und angeregter arbeitet – beim Rauchen. Sie brannte die Cigarre an und schob sie zwischen die nervös-lächelnden Lippen.

Die Clavierspielerin im Nebenzimmer hatte längst ihre rauschende Salonpièce geschlossen und traten diesem Augenblick auf die Schwelle des Salons. „Flora, Du rauchst, Du, die den Cigarrenqualm nie ausstehen konnte?“ rief sie und schlug lachend die Hände zusammen.

„Meine Braut scherzt,“ sagte Doctor Bruck vollkommen ruhig. Er trat wieder an den Schreibtisch. „Sie wird es bei diesem einen Versuch bewenden lassen; ein Mehr könnte ihr theuer zu stehen kommen.“

„Willst Du es mir verbieten, Bruck?“ fragte sie in kaltem Ton, aber in ihren Augen glomm ein unheimliches Feuer auf. Sie hatte die Cigarre für einen Moment aus dem Munde genommen und hielt sie zierlich zwischen den Fingern.

Der Doctor schien nur darauf gewartet zu haben. Mit unzerstörbarem Gleichmuth, ohne alle Hast, nahm er ihr die Cigarre aus der Hand und warf sie in den Kamin. „Verbieten, als Dein Verlobter?“ wiederholte er achselzuckend. „Noch steht mir das Recht nicht in dem Maße zu. Ich könnte Dich bitten, aber ich bin kein Freund von Wiederholungen und unnützen Worten; Du hast ja gewußt, daß ich die Cigarre im Frauenmunde verabscheue. In diesem Falle verbiete ich sie einfach als Arzt – Du hast alle Ursache, Deine Lunge zu schonen.“

Flora stand einen Augenblick wie erstarrt vor seiner Kühnheit, und jetzt, bei seinen letzten Worten, durchzuckte es sie sichtlich; aber sie beherrschte sich sofort. „Das ist ja eine haarsträubende Diagnose, Bruck,“ rief sie spöttisch lächelnd. „Und davon hat mir der abscheuliche Medicinalrath, der mich seit meiner Kindheit behandelt, nicht ein Wort gesagt. Ach was, damit schreckt man Kinder! Uebrigens habe ich keine Ursache, das Leben so zu lieben, daß ich mir zu seiner Erhaltung irgend einen Genuß versagen möchte – im Gegentheil. Ich werde nach wie vor rauchen; es ist mir dies bei meinem schriftstellerischen Beruf nöthig, und dieser Beruf ist mein Glück, mein moralischer Halt; in ihm lebe und athme ich –“

„Bis Dich ein unvermeidlicher Wendepunkt Deinem eigentlichen Beruf zuführt,“ warf der Doctor ein. Seine Stimme klang hart wie Stahl.

Ein erschreckendes Roth überflammte ihr Gesicht; sie öffnete die Lippen zu einer schneidigen, rücksichtslosen Antwort, aber ihr Blick fiel auf Fräulein Giese, die Clavierspielerin, das moquante Hoffräulein, das mit spitzem Gesicht und spitzen Schultern vorgeneigt auf der Schwelle stand, als sauge sie mit Ohren und Augen, ja mit allen Poren aus diesem scharfen Wortwechsel und den verlegenen Gesichtern der Umstehenden das Material zu einem vergnüglichen Hofklatsch, und der war nichts weniger als erwünscht. Flora wandte sich plötzlich mit einer graziös schmollenden Bewegung ab. „Ach, geh doch, Bruck!“ schalt sie. „Wie prosaisch! Kommst eben von einer Vergnügungsreise zurück, hast Dich amüsirt –“

Sie verstummte – Bruck hatte mit festem Druck ihr Handgelenk umfaßt. „Willst Du die Freundlichkeit haben, meinen Beruf aus dem Spiel zu lassen, Flora?“ fragte er, seine Worte scharf markirend.

„Ich sprach von Vergnügen,“ antwortete sie impertinent und zog ihre Hand aus der seinen.

Das Gesicht der Präsidentin mit seinem kühlen Ausdruck war Käthe zu allen Zeiten unsympathisch und flößte ihr bei einem unerwarteten Entgegentreten stets eine Art von scheuem Schrecken ein; in diesem Augenblick aber athmete sie freier auf, als die alte Dame plötzlich in das Zimmer trat. Sie kam ungewöhnlich rasch, sichtlich verdrießlich und ärgerlich. „Ich werde wohl künftig meine Spieltische hierher stellen müssen, wenn ich nicht will, daß meine Freunde vernachlässigt werden,“ sagte sie in sehr gereiztem Ton. „Wie kannst Du zu so früher Stunde schon die Theemaschine im Stiche lassen, Henriette? Es wird mir nichts übrig bleiben, als meine Jungfer dahinter zu setzen. Und Dich, Flora, begreife ich nicht, wie Du Dich an den Schreibtisch zurückziehen magst, wenn wir Gäste haben. Wirst Du wirklich von Deinem Verleger so gedrängt, daß Du Abends arbeiten mußt, dann schließe Deine Thür, wenn die Sache nicht sehr nach Ostentation und gelehrter Coquetterie aussehen soll!“ Sie mußte sehr aufgebracht sein, daß sie sich so unumwunden vor einer Dame vom Hofe aussprach.

Flora legte ihr Manuscript zurecht und tauchte die Feder ein. „Beurtheile das, wie es Dir beliebt, Großmama!“ sagte sie kalt. „Ich kann nicht dafür, daß man mich hier aufsucht, und säße längst mit Aufopferung meiner selbst an einem Deiner grünen Tische, wenn man mich nicht gestört hätte.“

Henriette schlüpfte an der Präsidentin vorüber und winkte Käthe verstohlen, ihr zu folgen. „Diese Aufregungen tödten mich,“ flüsterte sie drüben im leeren Musikzimmer.

„Sei ruhig! Flora kämpft vergeblich; er zwingt sie doch zu seinen Füßen,“ sagte Käthe mit eigenthümlich erregter Stimme. „Aber ihn begreife ich nicht. Wäre ich ein Mann wie er –“ sie richtete sich mit flammenden Augen hoch und stolz empor.

„Weißt Du, wie die Liebe thut, Käthe? Richte nicht! Du mit Deinem kühlen Blicke und blumenfrischen Gesichte bist noch unberührt von dem rasenden Rausche, der die Menschenseele erfaßt.“ Sie unterbrach sich und schöpfte tief und mühsam Athem. „Du weißt ja nicht, wie hinreißend und verführerisch Flora sein kann, wenn sie will; Du kennst sie nur in ihrer jetzigen nichtswürdigen Rolle, diese feige, selbstsüchtige, erbarmungslose Seele. Wer sie einmal Liebe gebend gesehen hat, der begreift, daß ein Mann eher den Tod sucht, als daß er sie aufgiebt.“




9.


Sie ging, ihr vernachlässigtes Amt am Theetische wieder aufzunehmen. Käthe aber blieb am Flügel stehen und blätterte in den Noten. Die letzten Worte Henriettens hatten sie tief bewegt. War verschmähte Liebe wirklich so seelenerschütternd,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_126.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2018)