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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 8.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Ach, lasse den Kram doch stecken!“ sagte Henriette ungeduldig. „Glaubst Du, ich bleibe gefälligst hier sitzen und sehe in grenzenloser Langmuth zu, wie Du den weißen Faden aus- und einziehst?“ Sie erhob sich und schob ihren Arm in den der Schwester. „Gehen wir in das Musikzimmer! Margarethe Giese schlägt uns noch das Instrument und die Nerven entzwei, wenn wir der Quälerei nicht ein Ende machen.“

Sie gingen in den anstoßenden Salon, aber die Dame am Clavier, die in ihren eigenen Leistungen schwelgte, blieb unangefochten … Die breite Flügelthür, die in Flora’s Arbeitszimmer führte, stand, wie gewöhnlich an den kleinen Empfangsabenden, weit offen; man konnte das ganze große Zimmer übersehen. Es erschien mit seinem gedämpften Ampellicht fast dämmerig neben den brillant erleuchteten anderen Räumen, und seine dunkle Purpurfarbe nahm in den Ecken ein düsteres Schwarz an.

Flora stand mit nachlässig verschlungenen Händen am Schreibtisch, während der Commerzienrath bequem im nächsten Fauteuil lag, Doctor Bruck aber blätterte stehend in einem Buche. Er sah ungewöhnlich bleich aus; der von oben herabfallende Lampenschein ließ zwei finstere Stirnfalten und einen tiefen Schatten unter seinen Augen scharf hervortreten, und doch erschien sein ausdrucksvoller Kopf merkwürdig jung im Vergleich zu der schönen Braut.

Henriette ging ohne Weiteres hinüber – das Brautpaar war ja nicht allein. – Käthe aber, welche sie mit sich zog, setzte nur zögernd den Fuß auf die Schwelle; Flora’s Mienen stießen sie zurück; es lag etwas Zornmüthiges, Ungeduldiges darin. Sie war offenbar sehr übler Laune. Ihr Blick lief auch sofort mit sarkastischem Ausdruck über die Gestalt der Schwester hin, die heute zum erstenmal das monotone Schwarz der Kleidung mit dem hellen Grau der Halbtrauer vertauscht hatte.

„Komm nur herüber, Käthe!“ rief sie, ohne ihre Stellung zu verändern. „Bist zwar wie gewöhnlich in starrer Seide, siehst aus wie ein papierener Christengel und machst den robustesten Menschen nervös mit dem ewigen Rauschen und Knistern. Sage mir nur um des Himmels willen, warum Du immer diese entsetzlich schweren Stoffe trägst,“ unterbrach sie sich, „die passen doch zu Deinem Küchenamt in Dresden, wie die Faust auf’s Auge.“

„Das ist meine Schwäche, Flora,“ antwortete Käthe ruhig lächelnd. „Es mag schon kindisch sein, aber ich höre so gerne Seide um mich rauschen – es klingt so majestätisch. Bei meinem ‚Küchenamt‘ trage ich sie selbstverständlich nicht, wie Du Dir wohl selbst sagen wirst.“

„Schau, wie stolz sie das ‚Küchenamt‘ zugiebt! Närrisches Ding! Ich möchte Dich einmal sehen in der Leinenschürze hinter rußigen Töpfen. Nun, Jeder nach seinem Geschmack – ich danke.“ Ihre großen grauen Augen richteten sich langsam und lauernd auf das Gesicht des Doctors, der eben ruhig das Buch zuschlug und es auf den Tisch zurücklegte.

Käthe fühlte, wie sich Henriettens kleine Hand auf ihrem Arm zur Faust ballte. „Ach, geh’ doch, Flora!“ rief sie scheinbar heiter und amüsirt; „vor noch fünf Monaten hast Du oft genug zwischen Christel’s Kochtöpfen drunten in der Küche gewirthschaftet – ob gerade geschickt, das will ich nicht behaupten – aber das gutgemeinte Bestreben und die hübsche weiße Latzschürze standen Dir prächtig.“

Flora biß sich auf die Lippen. „Du faselst wie gewöhnlich und bist damals nicht fähig gewesen, eine scherzhafte Anwandlung als das zu nehmen, was sie hat sein sollen – eine kleine Caprice.“ Sie schlug die Arme unter, und den Kopf gedankenvoll gesenkt, ging sie langsam einige Schritte an den Fenstern hin. Sie sah sehr schön aus in der weißen Alpacaschleppe, die ihr lang und weich nachfloß.

Der Commerzienrath sprang auf. „Nun, Flörchen, ist es Dir gefällig, mit hinüber zu kommen?“ fragte er. „Der Salon ist heute zum Verzweifeln leer – aus guten Gründen; es ist ja diplomatische Soirée beim Fürsten,“ beruhigte er sich selbst. „Wir müssen aber ein wenig Leben hineinzubringen suchen, sonst haben wir die Großmama einige Tage verstimmt und schlecht gelaunt.“

„Ich habe mich bereits für eine halbe Stunde noch entschuldigt, Moritz,“ sagte sie ungeduldig. „Ich muß den Artikel, den ich unter der Feder habe, heute noch schließen. „Das Manuscript läge längst fertig da, wenn Bruck nicht dazwischen gekommen wäre.“

Der Doctor war an den Schreibtisch getreten. „Eilt das so sehr? Und weshalb?“ fragte er, nicht ohne einen leisen Anflug von Humor in Gesicht und Stimme.

„Weshalb, mein Freund? Weil ich mein Wort halten will,“ versetzte sie spitz. „Ah, das amüsirt Dich. Es ist allerdings nur Frauenarbeit, und Du begreifst natürlich nicht, wer in aller Welt auf eine solche Bagatelle warten mag.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_125.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)