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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nettes und reines Kattunkleid tragen darf, dort zieht sich das einfachste Bürgermädchen im Laufe des Abends sechs Mal um, nur um die neuen Stoffkleider zu zeigen. Hier ist die allmächtige Reclame, hier ist die bezahlte Claque eine unbekannte Größe; dort –“

Er schwieg mit einer letzten spöttischen Bemerkung und that einen zweiten starken Zug. Seine Augen blickten hell und geistvoll. Es that ihm sichtlich wohl, in dieser Unterhaltung einmal das ihn umgebende Elend zu vergessen. Vielleicht suchte er auch mit den dramaturgischen Spitzfindigkeiten, die er nun vor mir entwickelte, sich vor sich selbst zu entschuldigen, daß er sich hier befinde. Eine geistvolle, wenn auch allzu schwarz gemalte Schilderung der gegenwärtigen Theaterverhältnisse schloß er mit den Worten: „Schlendrian, Dummheit, Frivolität und Reclameschwindel, das sind die hervorragenden Eigenschaften des gegenwärtigen deutschen Theaters. Hier wie dort – es wird überall mit Wasser gekocht.“

Kl…’s Hände führten wiederum das Glas zum Munde. Seine Absicht, sich gewissermaßen zu rechtfertigen, erreichte er nicht bei mir. Ich empfand nach dem Gehörten noch viel tiefer das entsetzliche Gefühl, einen solchen Menschen in solcher Lage zu sehen.

„Sie gewinnen mich nicht!“ sagte ich ihm. „Um der Scylla des Parquets zu entgehen, wirft man sich nicht in die Charybdis der Pfütze.“

Er antwortete nicht. Wir schwiegen eine Weile. Dann fragte ich: „Lieber Kl…, Sie können doch ein offenes Wort ertragen?“

„Ich denke.“

„Wissen Sie, wem Sie gleichen?“

„Nun?“

„Dem Fuchse in der Fabel von den sauren Trauben.“

Er sah mich scharf und unwillig an. Ich hielt den Blick ruhig aus und fuhr fort:

„Erzählen Sie mir, was Sie wollen! Sie sind doch unglücklich, hier zu sein. Sie empfinden den Zwiespalt, ein großes Talent, vielleicht gar ein Genie, aber niemals ein Charakter gewesen zu sein, doch recht drückend. Ich habe mich immer bemüht, für meine Mitmenschen ein entschuldigendes Verständniß zu haben – dieser Zwiespalt ist Ihr ganzes Unglück.“

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und stützte dann den Kopf in beide Hände. Ohne mich anzusehen, murmelte er halblaut:

„Um mich haben ein Dämon und ein Engel gekämpft. Der Engel – mein Weib – unterlag im Kampfe. Seit dem Tode meines Weibes bin ich ein schwankendes Rohr im Winde, ein meiner Leidenschaft willenlos hingegebener Mensch. Es ist zu spät zu Besserungsversuchen. Die Sache wird ja bald das übliche Ende haben. Meinen Sie nicht, daß mir der wohlbekannte Platz hinter dem Zaune aufgehoben bleibt für alle Fälle?“

Ich brachte kein Wort über die Lippen.

„Mein armes Weib!“ rief er plötzlich mit tiefem, innigem Gefühl, indem er die thränenvollen Augen mir zuwandte. „Wäre sie mir geblieben! Ihr milder Zuruf hätte mir bis an’s Ende bleiben sollen, dann –“

Er trank hastig.

„Haben Sie eine Ahnung davon, wie’s kommen kann, daß ein Weib eine solche Macht gewinnt über einen so leidenschaftlichen Menschen, wie ich es bin? – Ich will Ihnen ein Nachtstück in Callot’s Manier erzählen.“

„Da ist ein Mann,“ fuhr er nach einer Pause fort, „der sein Weib, die Mutter seiner Kinder, herzlich liebt. Das geliebte Weib duldet und schweigt, bleibt immer die aufopfernde, sorglich mahnende Gattin. Die unedle Leidenschaft des Gatten erpreßt ihr in einsamer Nachtstunde manche Thräne. Sie verbirgt ihre Thränen, soviel wie möglich, vor dem reizbaren Gatten. Da stirbt dem Paare ein Kind. Noth herrscht im Hause. Verzweiflung und Reue treiben den Vater, wie so oft, zur Flasche. In später Nachtstunde kehrt er berauscht heim. Schwankenden Ganges betritt er das Zimmer, während im anstoßenden Gemache die trostlose Mutter einsame Thränen dem geschiedenen Lieblinge nachweint. Da – ein Fall – ein Krach – ein Schrei – die entsetzte Mutter eilt mit der brennenden Lampe herbei und sieht – den Vater ihres Kindes, sinnlos berauscht, auf dem offenen, kleinen Sarge liegen, der die sterblichen Reste enthält und den der Unselige in bewußtlosem Falle mit sich niedergerissen hatte.“ –

Lange Zeit herrschte tiefe Stille zwischen uns. Mit erstickter Stimme sprach Kl… dann:

„Seit dieser Nacht lenkte mich mein engelgleiches Weib mit einem Worte. Begreifen Sie nun, was ich ohne sie geworden bin?“

Er leerte das Glas.

„Gute Nacht!“

Er reichte mir die Hand und bat mich, zu bleiben. „Ich wohne in der Nähe und –“ mit eigenthümlicher Betonung schloß er – „ich brauche heute Abend keine Begleitung.“ –

Tief erschüttert kehrte ich in früher Morgenstunde nach Aussig zurück. Den braven Pospischil habe ich nicht wieder gesehen. Kl… ist vor nicht langer Zeit im Krankenhause einer kleinen norddeutschen Residenz gestorben. Ein genialer Schauspieler, ein tüchtiger Lustspieldichter ist mit ihm dahingegangen. Schlummere friedlich, Du vom Dämon Gejagter!

Arno Hempel.




Deutschlands große Werkstätten.


Kleinstaatliche Industrie am Teutoburger Walde.


Das Fürstenthum Lippe, zu dessen Hauptstadt, dem anmuthig gelegenen Detmold, im verflossenen Sommer so viele Tausende von nah und fern zogen, um das Fest der Vollendung des National-Denkmals auf dem Teutberge zu begehen, ist in mancher Beziehung in seiner wirthschaftlichen Entwickelung zurückgeblieben. Obwohl das Ländchen ringsum von Eisenbahnen umgeben ist, fehlt ihm doch bis zu diesem Augenblicke jeder Anschluß an das große vielmaschige eiserne Netz, welches sich heutzutage verkehrerschließend und belebend über Deutschland spannt, und die Lippeschen Landstraßen, mit ihren Postjournalièren und von keuchenden Pferden gezogenen Lastwagen, gewähren noch immer denselben Anblick, wie vor fünfzig Jahren die Chaussee zwischen Dresden und Leipzig, da die „gelbe Kutsche“ das Hauptverkehrsmittel bildete.

So schlummern hier noch manche Kräfte, die wie durch einen Zauberschlag erwachen werden, sobald die Locomotive ihren schrillen Pfiff in den anmuthigen Bergen und Thalweitungen des Teutoburger Waldes ertönen lassen wird.

Um so anziehender war es mir, der Einladung folgen zu können, welche unser lieber Gastfreund in Detmold an den trefflichen Zeichner der Gartenlaube, Herrn Knut Ekwall, und mich ergehen ließ: mit ihm die einzige große Fabrik des Fürstenthums zu besichtigen, welche, unweit Detmold an der Straße nach Herford gelegen, sich die Herstellung eines Artikels zur Aufgabe gemacht hat, der, auf den ersten Blick unscheinbar und für den Laien unbedeutend, zunächst durch seine Verwendung in der Hauswirthschaft, sodann in mannigfacher Weise zu industriellen Zwecken, wohl auch einmal Beachtung und Betrachtung seitens des großen Publicums verdient. –

Obgleich Rohstoff und Fabrikat der Stärkefabrik von E. Hoffmann u. Comp. bei Salzuflen mittelst eines von der Fabrik unterhaltenen umfassenden Fuhrwerkparks von und nach der Bahn transportirt werden muß, obgleich gerade im Lipper Lande, der Heimath des wanderlustigen Zieglers und Hollandsgängers, die Beschaffung und Erhaltung eines tüchtigen Arbeiterstammes eine besondere Schwierigkeit bildet – trotz alledem und mancher anderer Ungunst der Verhältnisse besteht und blüht die Fabrik. Sie verdankt diese Blüthe der Ausnutzung kleiner und großer technischer und ökonomischer Vortheile, wesentlich aber auch dem glücklichen Umstande, daß sich auf ihrem Grundstück dicht neben einander salziges, hartes und ganz weiches krystallklares, nahezu chemisch reines Wasser vorfindet. Ersteres wirkt in überraschender

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)