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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Söhne erfreuen. Denn schon am 20. August 1823 schloß der Tod die Augen eines Mannes, der mit gerechtem Stolze auf ein reiches Leben zurückblicken konnte, Alles in Allem ein Mann, von dem ein anderer Enkel, Pastor Dr. Clemens Brockhaus in Leipzig, mit vollem Rechte am Grabe des Verewigten sagen durfte: „Unvergeßlich bleibt uns dein Andenken, du theurer Mann! Uns Allen stehst du vor Augen als das Bild des echt deutschen Mannes von urdeutscher rother Erde, voll Wagelust und Kraft, voll Schwung und Begeisterung, voll Weichheit und Tiefe des Gemüths, ebenso bewährt im Sturm der Geschäfte wie in der Stille des Hauses.“

Wie unter den Händen seiner Söhne und Enkel die schöne Schöpfung so mächtig wuchs und gedieh, daß sie zu den ersten von Deutschland zählt, das zu schildern ist nicht unsere Aufgabe. Für ihre Bedeutung zeugen dreitausend Werke, welche der Verlagskatalog der Firma enthält, und die verschiedenen Geschäftszweige, welche dieselbe umfaßt: die Verlagshandlung, das Commissions- und Sortimentsgeschäft für deutsche und ausländische Literatur nebst Antiquariat, die trefflich ausgestattete Buchdruckerei, die Schriftschneiderei und Schriftgießerei, die Graviranstalt, die Stereotypengießerei und galvanoplastische Anstalt, die geographisch-artistische Anstalt mit Stahl- und Kupferdruckerei, xylographischer und lithographischer Anstalt, die mechanische Werkstätte für Letterngießerei und Maschinen für Schriftgießerei, die Stereotypie und Buchdruckerei, die Buchbinderei, Tischlerei, Schlosserei, im Ganzen ein Personal von gegen sechshundert Arbeitern beschäftigend. Und zu dem nunmehr schon siebenzig Jahre bestehenden Geschäft, das alle diese Anstalten umfaßt, hat Friedrich Arnold Brockhaus den Grund gelegt; es ist nur so ausgebaut worden, wie er es sich gedacht hatte.




Ein Wahrzeichen Karlsbads.


Der „Elephant“ war ein Wahrzeichen Karlsbads. Er beschilderte das älteste und berühmteste Kaffeehaus daselbst, und trotz der seit Jahren erwachsenen und hart bedrängenden Concurrenz blieben ihm bis heute, wo es niedergerissen wird, seine Stammgäste, die Aristokratie, die Diplomatie, die Literatur und die Kunst, treu und ließen sich von den luftig hohen Räumen, dem weitaus größeren Comfort und den freundlichen Gartenanlagen anderer Etablissements nicht weglocken aus diesem dumpfen, kleinen, rauchgeschwärzten Zimmer und von den zierlichen weißgedeckten Tischen unter dem grünen Dache der Kastanienbäume der „alten Wiese“.

Der „Elephant“ war aber nicht nur ein Wahrzeichen der Sprudelstadt; seine Gesellschaft, wie sie sich im Wechsel der Zeiten da zusammenfand und gruppirte, gab ein gesättigtes Bild der jeweiligen politischen Strömung.

In der patriarchalischen Zeit vor 1848, als noch der Adel ausschließlich das Terrain beherrschte, die Russen mit Küche, Keller, Gestüt und Leibeigenen herankamen, die österreichische Aristokratie mit der an der Newa an Luxus, Pracht und Verschwendung wetteiferte, welch’ erlesene Gesellschaft fand sich da beim „Elephant“ zusammen, und wie lustig und bunt ging es da her! Die Woronzoffs und Tatischeffs, die Galizins und Trubetzkois baten hier die „Brunnenmädchen“ in ihren rothen Jacken und kurzen, grünen Röcken zum Frühstücke, beschenkten nach gethaner Arbeit ein Jedes mit einem Silberzwanziger und führten sie dann zum Conditor, den sie ausplündern durften; der Fürst Bebutow spendete jeder Brunnenhebe gar noch einen neuen Anzug, aber Fürst Paul Esterhazy, der österreichische Botschafter in London, übertrumpfte sie Alle. Da fand Jedes in seiner Semmel einen goldigglänzenden Kremnitzer Ducaten eingebacken; die Musik spielte auf, und die höchste Aristokratie zweier Kaiserreiche führte die Kleinen unter freiem Himmel zum Reigen. Stolz lächelnd sieht der allmächtige Staatskanzler drein, der von seinem nahen Schlosse Königswart herbeikommt, stets im blauen Frack mit den goldenen Knöpfen, taubengrauen Beinkleidern und hoher weißer Cravatte, an seiner Seite die noch jugendliche Gemahlin. Auf ihrer Schulter wiegt sich ein grüner Papagei, und der Fürst Rohan flüstert ihr ein galantes Wort zu.

Die Baronessen Kotz, zwei alte Fräuleins, durch ihre brutale Häßlichkeit berühmt, durch ihre schriftstellerische Thätigkeit berüchtigt, wegen ihres Reichthums und ihrer Wohlthätigkeit bekannt, wegen ihrer rücksichtslosen Toilette gemieden und wegen ihrer feinen Bildung gesucht, gehörten Ende der vierziger Jahre zu den stereotypen Figuren des Kaffeehauses. Sie blieben den ganzen Sommer über in Karlsbad und den ganzen Tag über im „Elephanten“. Sie nahmen hier ihr Frühstück, ihr Diner und ihre Abendsprudelsuppe ein, besorgten ihre weitausgesponnene Correspondenz, empfingen ihre Freunde und die Vorstellung vornehmer Fremden und ließen sich in deren Gegenwart nicht selten ein Paar Schuhe anmessen. Der witzige heinisirende Eremit von Gaudy war meist ihr chevalier servant. Auch die Kotz gaben Frühstücke, aber den „Eselsbuben“. Da erschienen zuerst jene von ihnen gedichteten „Riesenkipfeln“, welche sich zu den dermaligen stellen, wie der Ichthyosaurus zur Eidechse, und zwischen je zwei Tassen Kaffee credenzten die Fräuleins eigenhändig den mit der Führung der städtischen Esel betrauten Jünglingen Becherischen Schnaps in großen Gläsern und freuten sich baß der fröhlichen Wirkung. An ihrem Tische fanden sich regelmäßig der Erzbischof Ladislaus Pyrker, der Dichter der „Tunisias“ und „Rudolphiade“, welcher einer kaiserlich königlichen Verordnung zufolge auf den österreichischen Schulen zu den deutschen Classikern gezählt wurde, der Graf Alexander Fredro, der polnische Molière, Graf Schlick, der kühne Reitergeneral, der weitaus populärste Mann der Armee, eine kräftige Mannesgestalt in den besten Jahren. Die schwarze Binde verdeckt die seit Leipzig leere linke Augenhöhle, während das rechte Auge treuherzig dreinblickt; er kräuselt ununterbrochen den schwarzen, buschigen Schnauzbart und erzählt mit breitem Lachen stallduftige Anekdoten. Daneben sehen wir den Fürsten Alfred Windischgrätz, einen Mann von zugeknöpftem, kaltstolzem Wesen, der soeben den Fundamentalsatz seiner Schöpfungstheorie aufgestellt hat: „Der Mensch fängt erst beim Baron an“. Der „Herr von“ ist nur ein Uebergangsstadium vom Thier zum Menschen.

Jetzt tritt ein junger Mann mit soldatischer Tournüre, ernsten kalten Zügen und kühnen Blicken heran. Die Baronessen reichen ihm freundlich die Hände. Schlick legt die seine militärisch grüßend an die Krempe des hohen Cylinders, nur Windischgrätz würdigt seinen Gruß keines Dankes. Kann er es doch nicht fassen, daß man den Säbel mit der Retorte vertauscht, wie es der junge Mann erst kürzlich gethan, der aus der Armee in die Schülerzahl des Prager Chemikers Bedtenbacher trat. Der Fürst verläßt mißmuthig den Tisch – beschleicht ihn eine trübe Ahnung?! Bald wird der Jüngling wieder zum Kriegshandwerk zurückkehren. Er tritt an die Spitze einer Nation in Waffen; seine Bravour, sein strategisches Genie, sein großes Feldherrntalent werden die Welt erfüllen und den kurzen Ruhm des Fürsten Windischgrätz, der aus den Feuergarben dreier eingeäscherter Städte aufleuchtete, verdunkeln, und doch wird ihm selbst im rechten Augenblick der Muth im Herzen und die Kugel im Laufe fehlen: Arthur Görgey.

Das Jahr 1848 war den Curorten nicht günstig. Auch Karlsbad stand leer. Die Russen bekamen keine Pässe, damit die bösen Beispiele nicht ihre guten Sitten verdürben. Die ungarische und polnische Aristokratie ist daheim bei der Arbeit, die böhmische schaart sich in Olmütz um den Kaiser oder in Prag oder Wien um Windischgrätz oder sitzt angsterfüllt auf ihren Schlössern. Das große Publicum hat keine Zeit, krank zu sein, noch weniger sich zu curiren, nur die Engländer sind gekommen und haben die Höhen besetzt, den Schloßberg und den „neuen Weg“. Daneben rotten sich etliche Gutgesinnte, welche sich in erhebend patriotisch-dynastischer Treue für Kaiser und Reich fürchten … um einen ausgepeitschten Magistratsrath und einen pensionirten Steuereinnehmer.

Erst die blutigen Prager Pfingsttage bringen Gäste. Der gesprengte Slavencongreß sammelt sich hier, und sein Hauptquartier ist der – „Elephant“. Da präsidirt Palazky, der landständische Geschichtsschreiber und „Vater der czechischen Nation“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_115.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)