Seite:Die Gartenlaube (1876) 091.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

jenes gefälschten Wisches – weiter hatten die Denuncianten absolut nichts in Händen – eine Untersuchung wider ihn einleiten zu lassen.

„Es war ein Bubenstück, um einen Mann zu verderben.“ So hatte der königliche Oberstaatsanwalt selber ausgerufen, als er am Schlusse der öffentlichen Gerichtsverhandlung sich außer Stande sah, die Anklage gegen Waldeck aufrecht zu erhalten. So deutlich hatte der dramatische Verlauf des Processes alle Specialitäten des plumpen Complotes, das Verfahren verschiedener dabei thätiger Acteure und Helfershelfer, sowie die Reinheit des verfolgten Mannes an’s Licht gestellt. Wurde doch einer der Hauptbelastungszeugen so tief erschüttert von der Macht der auf ihn eindringenden Beweise, daß er zerknirscht das Haupt senkte und seinen Werth mit den Worten bezeichnete: „Ja leider, ich habe gelogen!“ Sieben Monate hindurch hatte das Opfer dieser Lüge in strenger Kerkerhaft geschmachtet, während seine vornehmen und „frommen“ Verfolger wissen mußten, daß sie nur durch ein erkünsteltes Lügenwerk dieses herzbrechende Verhängniß ihm und den Seinigen bereitet hatten. Je länger Waldeck’s Haft dauerte und je dreister und zuversichtlicher die reactionäre Presse von seiner Schuld sprach und seine demnächstige Verurtheilung in Aussicht stellte, um so mehr hatte sich beim Herannahen der öffentlichen Verhandlung weit und breit eine außerordentliche Aufregung selbst Derjenigen bemächtigt, die bisher den politischen Bewegungen fern gestanden. Während der mehrtägigen Dauer des Processes war in Berlin der vor dem Gerichtslocal befindliche Platz bis weit in alle angrenzenden Straßen hinein von einer unabsehbaren Menschenmasse erfüllt, die sich tief ergriffen zeigte, als gleich nach Beginn der ersten Sitzung die Nachricht herabkam, daß Waldeck zwar ungebeugt, mit der schlichten Ruhe eines Helden, ohne jede Klage und jedes Merkmal der Erbitterung vor seinen Richtern stand, daß sein volles blondes Haar aber schneeweiß geworden sei unter den Qualen des unverschuldeten Kerkerleidens.

Auch die Mittheilungen über die richterliche Enthüllung der wider ihn geschmiedeten Ruchlosigkeit verbreiteten sich im Laufe der Tage von Haus zu Haus, und als endlich der Freigewordene am Nachmittage des 3. December in der Begleitung einiger Freunde auf die Straße trat, war die Begeisterung der dichtgedrängten Volksmassen zu einem Sturme angewachsen, den keine Feder zu beschreiben vermag und gegen den die massenhaft aufgestellte Polizei nichts auszurichten vermochte. Es entblößten sich die Häupter; es lagen die Menschen sich in den Armen, und das laute Heulen und Schluchzen der Ergriffenen mischte sich mit dem orkanartiger Brausen der endlosen Hurrahrufe. Der weite Weg bis zur Dessauerstraße, wo Waldeck wohnte, war dicht vom Volke besetzt, das den Märtyrer der Volkssache sehen und ihm zujauchzen wollte. Um sich dem Gedränge zu entziehen, bestieg er mit Frau und Tochter einen Wagen, der mühsam bis zur Kurfürstenbrücke gelangte. Hier aber, in der Nähe des königlichen Schlosses verwandelte sich die Scene ganz unerwartet zu einem Triumphzuge. Menschen aller Stände spannten die Pferde des Wagens aus und unter dem Jubelgeschrei von Tausenden und Abertausenden wurde der Freigesprochene am Schlosse vorbeigezogen, bis er endlich vor dem Hause eines Freundes der Huldigung sich entziehen konnte. Am Abend aber waren viele Theile der Hauptstadt illuminirt und von einem Ende Deutschlands bis zum anderen fühlte und verstand man mit der Bevölkerung Berlins, daß an diesem Tage Recht und Licht einen der durchgreifendsten und denkwürdigsten Hauptsiege gefeiert über die gewissenlose Willkür, die frevelhaften und widersittlichen Knechtungsversuche mächtiger Finsterlinge. Was aus einem Staate werden kann, in dem sie auch nur vorübergehend eine Herrschaft erlangen können, das hat die Geschichte Preußens in jenen Tagen gezeigt.

Allerdings war diese Pharisäerpartei des gewaltsamen Rückschrittes durch den Proceß Waldeck noch nicht thatsächlich gestürzt worden, aber es war doch nur ein künstliches und erzwungenes Scheinwesen, wenn sie nach einer solchen moralischen Zerschmetterung, einer solchen Entlarvung und Ertappung auf schimpflichen Wegen noch zehn Jahre hindurch mit selbstgewisser Unverschämtheit das Haupt erheben und in Staat, Kirche und Schule ihre herabdrückende Macht behaupten konnte. Waldeck hat die unheimliche Gesellschaft noch aus dem Vordergrunde verschwinden und ihren Einfluß erlahmen sehen; noch einundzwanzig Jahre nach jener Antastung seiner Person hat er, mit erschütterter Gesundheit zwar, aber mit voller Ungebrochenheit des Geistes in seinem Richteramte, wie in den vordersten Reihen der Fortschrittskämpfe eingreifend gewirkt und endlich einen zweiten Triumphzug gefeiert, als er im Frühling 1870, kurz vor der folgenreichen Kriegserhebung seiner Nation, mit hochimposanter Trauerfeierlichkeit, begleitet wiederum von ungezählten Tausenden seiner schmerzlich ergriffenen Mitbürger, zur letzten Ruhestätte geleitet wurde. Ueberblicken wir seine Eigenschaften und Verdienste, so ist es sicher nicht das geringste derselben, daß er sofort nach dem Kriege von 1866 den Segen dieser Wendung unserer vaterländischen Geschicke gewürdigt und, uneingedenk aller früheren Conflicte, sich offen zu ihr bekannt hat. Unvergeßlich und in unverwelklicher Frische wird sein Name fortleben in den Institutionen wie in den Erinnerungen unseres Volkes. Um aber die so innig ihm bewahrte Liebe und Dankbarkeit auch durch ein äußeres Zeichen zu den künftigen Geschlechtern sprechen zu lassen, haben seine zahlreichen Freunde und Verehrer schon vor einigen Jahren beschlossen, sein Grab mit einem würdigen Denkmal zu schmücken. Die Bildsäule ist jetzt vom Künstler vollendet, und die unserem Artikel beigefügte Abbildung des vortrefflichen Werkes zeigt dem Leser die Gestalt des großen Volksvertreters in sprechender Aehnlichkeit.

A. Fr.




Blätter und Blüthen.


Das Jubiläum eines Redacteurs. Am 2. Februar dieses Jahres feiert einer der Matadore der deutschen Presse, einer der hervorragendsten Vertreter der deutschen Zeitungsliteratur, Herr Michael Etienne, Chef-Redacteur und Herausgeber der Wiener „Neuen Freien Presse“, sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum als Journalist. Bei den großen Verdiensten, der seltenen Begabung und Bildung Etienne’s, mit Rücksicht auf die bedeutende Stellung des Jubilars und des von ihm geleiteten Journals inmitten der Verfassungs-Partei und der deutschösterreichischen Bevölkerung und auf die vielfältigen innigen Beziehungen der „Neuen Freien Presse“ zu der gesammten deutschen Schriftstellerwelt, würde es sich wohl von selbst verstanden haben, daß diese Feier den Anlaß zu einer ehrenden Kundgebung der zahlreichen Freunde Etienne’s und des genannten Journals gegeben haben würde. Es geschieht jedoch auf besonderen Wunsch des Gefeierten, daß dem Feste keinerlei größere Dimensionen gegeben werden und dasselbe als ein Familienfest der Redaction des Blattes begangen werden soll. Gleichwohl dürfte dasselbe einen glänzenden Verlauf nehmen und über den engen Kreis der Mitarbeiter hinaus die wärmsten Sympathien für den Jubilar hervorrufen. Der verdienstvolle Mitherausgeber der „Neuen Freien Presse“, Herr Adolf Werthner, veranstaltet zu Ehren seines Collegen und Freundes ein Bankett; die Mitglieder der Redaction bringen eine Festgabe dar (ein silbernes, nach Zeichnungen eines hervorragenden Künstlers und in dem ersten Atelier Wiens gearbeitetes Schreibzeug im Werthe von tausend[WS 1] Gulden, in welchem eine Festnummer, Leitartikel und Feuilleton, beides Etienne’s Thätigkeit und Individualität charakterisirend, photographirt enthalten ist). Der Journalisten- und Schriftsteller-Verein „Concordia“, wiewohl officiell nicht unterrichtet, betheiligt sich mit einer glänzend ausgestatteten und durch eine Deputation zu überreichenden Adresse; die hervorragendsten Vertreter der liberalen Partei des Parlaments werden an dem Feste theilnehmen, und während das Organ Etienne’s den Festtag äußerlich ignorirt, werden voraussichtlich die meisten Journale Oesterreichs und die in deutscher Sprache erscheinenden Ungarns dem verdienstvollen Jubilar warme Worte der Anerkennung widmen. Wir dürfen wohl die Erwartung aussprechen, das aus all’ jenen journalistischen Kreisen des deutschen Reiches, in welche die Kunde von dem am 2. Februar stattfindenden Feste dringen wird, dem wackern Vorkämpfer des Deutschthums und der Freiheit an der Spitze des anerkannt einflußreichsten und literarisch hervorragendsten Zeitungs-Unternehmens in Oesterreich herzliche und aufrichtige Glückwünsche zukommen werden. Michael Etienne, seinem französischen Namen zum Trotze ein kerndeutscher Mann, hat ein wohlbegründetes Anrecht darauf, aus dem Anlasse der Vollendung eines Vierteljahrhunderts journalistischen Schaffens allgemein gefeiert zu werden. Von 1850 bis 1855 als Correspondent deutscher und Wiener Zeitungen von Paris aus thätig, in welcher Stadt er zu Heinrich Heine in nähere Beziehung trat, der seine hohe Begabung würdigte, war er durch acht Jahre der leitende Geist der „Presse“, begründete 1864 mit Friedländer und Werthner die „Neue Freie Presse“ und brachte dieses Unternehmen zur höchsten Blüthe. Seit Langem gilt seine Feder als eine der glänzendsten in Deutschland.

R.




Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_091.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2019)