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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

bösen Verkehrung der Dinge offen und unerschütterlich für ihre Ueberzeugung eintraten.

Als solch ein erhebendes Vorbild aber galt jetzt vor Allem die Persönlichkeit Waldeck’s, auf den seit dem Herbste die Blicke der Nation immer mehr und mehr sich gerichtet hatten. Wenn er im traurigen Reactionswinter 1849 in Berlin über die Straße schritt, so entblößten sich vor ihm schon überall verehrungsvoll die Häupter und die Väter stießen ihre Kinder an und zeigten ihnen den großen demokratischen Volksvertreter. Waldeck hatte, seine Wahlreden ausgenommen, niemals in Clubs und Volksversammlungen, überhaupt niemals zu großen Massen gesprochen, keine Volksmenge hatte ihn jemals bei Demonstrationen als Führer oder Theilnehmer an ihrer Spitze oder in ihrer Mitte gesehen, seine Haltung und sein äußeres Wesen zeigten bei jeder Berührung mit ihm die gemessene Zurückhaltung, ja die zugeknöpfte Unnahbarkeit des vornehmen Beamten. Hat er also dennoch neben viel beweglicheren, leichter dem Tone und Wesen des Volkes sich anschmiegenden Gestalten seiner Partei mit verhältnißmäßiger Schnelligkeit eine in unserer deutschen Parlamentsgeschichte fast beispiellos dastehende Popularität gewonnen, so mußte wohl gefragt werden: woraus entsprang dieser außerordentliche Einfluß und worin lag der ungewöhnliche Zauber dieses Mannes? Selbst für Diejenigen, die ihn im Leben gekannt, ist die Frage leichter gestellt als beantwortet. Es sind lange Aufsätze und ganze Bücher darüber geschrieben worden, man wird jedoch nicht irrig urtheilen, wenn man die Erklärung nicht in dieser oder jener Begabung Waldeck’s, sondern in dem Ganzen seiner stark und scharf ausgeprägten Persönlichkeit findet, so wie in der Gluth und Vollgewalt des Herztons, der aus seinen Ueberzeugungen in seine Worte und Thaten floß und um die rührende Schlichtheit seiner Erscheinung und seines Wandels einen Nimbus wob, vor dem unwillkürlich sich die Häupter neigten. Es lag in diesem Manne etwas von der Kraft der alten Propheten und Apostel. Was gesund und wahr, was rein, erhaben und unvergänglich ist an den Grundsätzen des Demokratismus, das hat der bessere, dem Lichte zugewendete Theil des Volkes verkörpert gesehen in der Person des Abgeordneten Waldeck.

Dieselben Eigenschaften aber, welche ihm die Liebe des Volkes erwarben, erweckten ihm natürlich den giftigen Haß aller Förderer der rothen und schwarzen Reaction. Diese herrschgierige und verwegene Gesellschaft von sogenannten „Staatsrettern“, deren Werkstatt hinter den Coulissen des Hofes, deren Organ die hetzende und denuncirende Kreuzzeitung war, hätte so gern die ihren Standesinteressen gefährliche Auflehnung wider Vorrecht, Bevormundung und Ausbeutung den vielen Urtheilslosen als eine schmutzige Sache abenteuernder Schwindler und eines zügellosen Pöbels hingestellt. Ein Dorn im Auge mußte ihr daher jene zahlreiche Schaar angesehener und ehrenhafter Männer der höheren Stände sein, die nach wie vor uneingeschüchtert zur Fahne der Opposition standen und denen sie bereits durch Verfolgungen, Amtsentsetzungen und quälerische Maßregelungen ihren Einfluß auf die Verwaltungsmaschine, die Absicht einer Schreckensherrschaft fühlen ließ. Die höfisch-aristokratisch-pfäffische Clique hatte jetzt ihren Gegnern Vernichtung geschworen, unter diesen aber war kein Einziger von ihr so gehaßt und gefürchtet, wie der Geheime Obertribunalsrath Waldeck, der stille Mann mit der gewaltigen Autorität, der in seiner Unangefochtenheit gleichsam noch als ein lebendiger Protest umherwandelte, als eine weithin leuchtende Bekräftigung der Grundsätze, die man von oben her mit Gewalt und List aus der Welt schaffen zu können glaubte. Konnte es der unter dem Zeichen des Kreuzes arbeitenden Partei kriegerischer Betbrüder gelingen, die Kraft dieses Mannes zu brechen, ihn von seiner hohen Stellung zu stürzen brod- und ehrlos zu machen, so war um einer solchen Thal der Demokratismus tief in’s Herz getroffen, ja es war noch mehr damit erreicht, es war zwischen König und Volk durch die offene Mißhandlung des verehrten Volksvertreters eine Kluft gerissen, wie sie eben die Vorrechtskasten zu ungestörtem Entfalten ihrer Herrschaftspläne erzeugen wollten.

Der Wunsch war jedenfalls schon im Winter 1849 im Stillen sehr lebhaft vorhanden, und Bedenken des Gewissens waren es sicher nicht, die seine Ausführung verzögern ließen. Es war eben nicht leicht, einem Waldeck beizukommen, der schon eine unberechtigte Aufforderung zu freiwilligem Rücktritt aus dem Obertribunal mit Erfolg zurückgewiesen hatte und nun ruhig seines Weges ging, getreu seinen Amtspflichten genügte und nach keiner Seite hin auch nur den leisesten Anlaß zu einem disciplinarischen oder richterlichen Angriffe wider ihn bieten wollte. Je mehr man auf der Lauer lag, je mehr die schnüffelnde Pharisäerrotte sammt ihren Spionen und Liebedienern sich anstrengte, etwas gegen ihn zu finden, um so mehr erkannte sie, daß sie einer unangreifbaren Makellosigkeit gegenüberstand. Hier reichten die gewöhnlichen Mittel gegen Andersgesinnte nicht aus, es mußte, da die Ungeduld sich nicht zähmen ließ, zum Verderben des Opfers ein falsches Spiel gespielt und jener Weg der Lüge und Fälschung betreten werden, den der berühmt gewordene Proceß Waldeck enthüllt hat.

Wo die Fäden dieses Verfolgungsplanes eigentlich gesponnen wurden, das ist unklar geblieben und bis jetzt nicht aufgedeckt. Daß aber sehr einflußreiche Personen dabei im Spiele waren, zeigten die großen, nur durch solchen Einfluß zu bewirkenden Maßregeln, mit denen die Ausführung eingeleitet wurde. Seit November 1848 war über Berlin der Belagerungszustand verhängt, aber er mußte in Ermangelung jedes activen Widerstandes milde gehandhabt werden, und es waren namentlich die ordentlichen Gerichte in Thätigkeit geblieben. Nicht wenig erstaunte man daher, als am 15. Mai 1849 ohne jede sichtliche Veranlassung dieser Belagerungszustand mit einem Male verschärft und schleunigst sogar ein Kriegsgericht in’s Leben gerufen wurde. Schon am nächsten Tage jedoch wurde dieses Räthsel in den Augen aller Klarblickenden gelöst, denn am 16. Mai vernahm die ohnedies grollende und durch polizeiliche Uebergriffe gereizte Hauptstadt die Schreckenskunde, es sei der Abgeordnete Waldeck inmitten seiner Familie verhaftet und dem Gefängnisse überliefert worden. Die Verschärfung des Ausnahmezustandes erschien als die Vorbedingung dieses aufsehenerregenden Schrittes, denn es war dadurch der mächtigste Vertreter der Volksfreiheit in der Kammer seinem ordentlichen Richter entzogen und dem nicht an strenge Schutzformen gebundenen Verfahren eines Kriegsgerichts unterworfen. In den weitesten Kreisen zweifelte man nicht an diesem Zusammenhang der beiden Maßregeln, und Niemand auch glaubte an eine Schuld Waldeck’s, ja auch nur an eine Unvorsichtigkeit, durch welche er seinen Widersachern eine Handhabe zur Antastung seiner Person gegeben hätte. Was konnte denn dieser hochgesinnte, reine und edle Mann verbrochen haben, daß man es wagen durfte, ihn so rücksichtslos zu überfallen, so rauh und grausam den ruhevollen Frieden seines musterhaften Familienlebens zu stören? So fragte bestürzt, aber im äußersten Grade entrüstet, die öffentliche Meinung.

Wie aber erst später sich herausstellte, hätten damals die Veranstalter des frechen Handstreichs in Bezug auf diese Frage ebenso wenig eine Auskunft geben können, als irgend Jemand im Volke. Sie hatten nicht die Spur eines Anhaltspunktes, sondern unternahmen ihr Wagniß wie ein frivoles Hazardspiel. Erst bei der in Folge der Verhaftung möglich gewordenen Hausdurchsuchung hofften sie in den Papieren Waldeck’s etwas zu finden, wodurch der Schritt sich rechtfertigen, worauf eine schwere Anklage sich begründen ließe. Aber schon eine Verhaftung und Hausdurchsuchung durfte ja ohne einen ausreichenden gesetzlichen Grund nicht vorgenommen werden. Hier hatte zunächst die Schwierigkeit gelegen, und um sie zu beseitigen, waren die feigen Verderber vor dem schandbarsten aller Mittel nicht zurückgeschreckt. Da kein wirklicher Grund zum Angriffe vorhanden war, erfolgte die Denunciation und das Einschreiten auf Grund eines erlogenen Schriftstückes, eines absichtlich für diesen Zweck gefälschten Briefes, der „zufällig“ in der Schlafrocktasche eines zum Schein verhafteten Polizeispions gefunden wurde und den ein revolutionärer Flüchtling an Waldeck geschrieben haben sollte. Im Hause Waldeck’s aber fand sich nichts, garnichts von Allem, was man so gierig suchte, und damit war ganz im Stillen und ehe man es im Publicum noch ahnte, die Niederlage der nichtswürdigen Planmacher schon entschieden. Gewiß hätte man den angeblichen Hochverräther nunmehr sofort wieder freigeben müssen, aber um das zu wagen, hatte die Sache bereits in der ganzen Welt ein zu großes Aufsehen erregt. Es blieb nichts übrig, als ihn den ordentlichen Gerichten zu überweisen und auf Grund

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_090.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)