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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ausstattung, wie sie mit Königsschlössern in Verbindung gebracht zu werden pflegt und wie sie namentlich in Versailles und dem St. Cloud des zweiten Kaiserreichs blühte, war hier von vornherein ausgeschlossen. Franz Joseph ist kein Freund von reichem Appartementsschmuck, von üppig goldenen Sälen und damastenen Brocaten. Einfach und überaus mäßig in seiner Lebensweise, duldet er auch nur Comfort und nichts als Comfort um sich. Der orientalische Pomp der magyarischen Granden, so weit er noch auf einigen alten Schlössern existirt, zählt den König nicht zu seinen Freunden, wie ihn aller Pomp ja kalt läßt und aller nicht gerade mit der Würde streng verknüpfte Aufwand ihm widerwärtig ist.

Einfache Eleganz war also bei der Wiederherstellung von Schloß Gödöllö geboten, und die Schenker haben es sich nicht zweimal sagen lassen und Alles vermieden, was an Großartigkeit der Ausstattung auch nur erinnern könnte. Ein schöner, weiter Park, hübsche Rasenplätze (wenn auch nicht im englischen Sinne hübsch), lauschige Plätzchen, wohlgepflegte Alleen ziehen sich hinter dem Hause hin. Von den Fenstern der Zimmer der Kaiserin und Königin, die zunächst den Zimmern der kleinen Prinzessin Valerie liegen, kann der Blick über die endlos gedehnte Ebene des Rakosch hinschweifen. Es ist ein Blick, der echt Lenau’sche Stimmungen erregen muß, Stimmungen, die ja viel Verwandtes mit dieser Rakoschlandschaft haben. Vor solchen Stimmungen rettet wohl die Königin ein Griff nach der geliebten Cither oder die Flucht auf den Sattel eines der schönen Thiere, die in prächtigen Stallungen untergebracht sind, oder endlich die Vorlesungen des Fräuleins Ferenzy, welche die Dichter des Landes so schön recitiren soll; denn die Poesie der Steppe – und das ist doch die ungarische – ist auch manchmal ausersehen, die Wunden zu heilen, welche die Langweiligkeit des Rakosch der Königin zu schlagen pflegt. Reiten, Citherschlagen und Lectüre haben auf diesem Königsschlosse, wie man sieht, einen großen Beruf. Die kleine, zierliche Prinzessin Valerie thut dann das Uebrige, um den Aufenthalt auf Gödöllö zu versüßen. Das reizende Wesen ist der Liebling der ganzen Umgebung, und auch sie schon versteht es, auf ihren Wanderungen mit ihrem Erzieher, einem ungarischen Bischofe, dem Rakosch Reize abzugewinnen. Wenn nicht ein großes Diner oder ein Empfang, den Mitgliedern der beiden Häuser des Pester Parlaments abwechselnd vom Könige gegeben, die Räume von Gödöllö lärmend belebt, liegt den Spätherbst und Frühling über ein tiefer, bürgerlicher Friede über dem Schlosse gebreitet, und man merkt kaum das Walten einer Hofhaltung.

Wie anders war es doch etwa fünfzig Jahre früher auf Gödöllö! Welch lärmender Geist beherrschte dazumal diese heute so ruhig hingebreitete Rakoschebene! Aus den Zimmern des Schlosses, die im üppigen Glanze strahlten, ertönte mit jedem neuen Tage das weinlaunige Treiben der vielen Gäste, die sich’s an dem reichbesetzten Tische des Fürsten von Grassalkowitsch wohl sein und Gott Gott und Metternich Metternich sein ließen. Da führte Fürst Anton der Zweite, der letzte der Grassalkowitsch, ein flottes, königliches Leben. Den Namen seines Hauses umrankte von jeher die üppigste Romantik. Unter der Regierung Maria Theresia’s hatte es seine glänzenden Tage begonnen; der erste Grassalkowitsch hatte Gödöllö groß und berühmt gemacht im ganzen Reiche, so wie Maria Theresia ihn zu Reichthum und Größe erhoben hatte. Soll sich doch dieser erste der Grassalkowitsch vom Bettelstudenten zum Fürsten emporgearbeitet haben. Die Gunst einer Kaiserin war dazumal noch mehr werth, als heute, und Maria Theresia hatte an dem schönen Studenten ihr Gefallen gefunden. Als ich vor zehn Jahren zum ersten Male in Gödöllö war, zeigten sie noch in dem schon damals in andere Hände gerathenen Schlosse das altmodische Doppelgefäß mit den schweren Holzhenkeln, mit dem in der Hand, um Speise und Trank bettelnd, der arme slovakische Student sich durch’s Land „fechtend“ fortgeschleppt haben soll. Aber er muß wohl genial gebettelt haben, dieser Grassalkowitsch, denn er bettelte sich in die besten, einträglichsten Staats- und Kronämter, in die Liebe der Königin und nach und nach in den Fürstenstand hinein. Er ward königlich von seiner Königin, für die er wohl mehr als jeder andere Ungar zu sterben bereit gewesen sein mochte, belohnt, und sein fürstlicher Leib ward immer fetter und fetter vom Fette Anderer, deren Güter eingezogen worden waren. Als er Gödöllö auf jenem nicht ungewöhnlichen Wege „erbettelt“, weihte er es mit einem großen pompösen Feste, zu dem der ganze Adel des Landes freundlichst geladen war, ein. Auch die Mönche eines damals in der Nähe befindlichen Klosters kamen zu Gast. Diese mochten nun von der Art und Weise, wie Gödöllö und andere weit größere Gütercomplexe in die Hände des Fürsten gekommen waren, nicht sehr moralisch erbaut sein, und so zeichnete einer dieser Mönche, bevor er Gödöllö verließ, auf eine seiner Mauern sein lateinisches Prophetenwort hin, das da nichts Anderes auf deutsch besagt, als ungefähr das Folgende:

„Ebenso wie die Güter des Fürsten Grassalkowitsch durch Annectirung (der Mönch wird wohl einen kräftigeren lateinischen Ausdruck für unser zahmes modernes „Annectirung“ gebraucht haben?) anderer, fremder Besitzthümer rasch groß geworden, ebenso werden sie in der dritten Generation schon an unterschiedliche Herren und Herrchen alle versprengt werden.“

Diese lateinische Mönchsprophezeiung – man zeigt die Stelle noch, wo sie geschrieben stand – sie ist wahr geworden. In der dritten Generation ist das gesammte ungeheure Hab und Gut der mächtigen Grassalkowitsch in der That in wildfremde Hände gerathen, und auch der Name Grassalkowitsch ist in alle Winde verweht. Die Nachkommen des ersten gefürsteten Grassalkowitsch freilich haben sich die Prophezeiung des Mönches nicht sehr zu Herzen genommen. Der kalte Sturm, der die merkwürdigen Mauern von Gödöllö draußen auf dem weiten todesdüstern Rakosch heute umweht, weiß interessante Geschichten von schöneren Zeiten und üppig lebenden Menschen, die da drin gehaust, zu erzählen, Geschichten, die sogar lehrreich sind für Alle, die hören wollen. Seine lärmend bewegteste Periode hatte Gödöllö unter dem letzten Fürsten Anton dem Zweiten. Der lebte da in aufsehenmachender Weise flott und wußte sich sein Dasein so verschwenderisch glänzend zu gestalten, daß selbst die in der materialistischen Deutung des Wortes: „Man lebt nur einmal“ so sehr bewanderte altungarische Aristokratie von damals nicht genug staunen konnte. Die schönen Tage von Gödöllö leben noch heute in dem Angedenken Mancher, die sie mitgemacht.

Von dem Treiben auf den Schlössern des zweiten Fürsten Anton erzählt man wunderbare Dinge. Er war der letzte seines Stammes – was war ihm also die Hinterlassenschaft? Nichts; er wollte nichts hinterlassen. Da es keinen und keine Grassalkowitsch mehr geben sollte in dieser Welt, so sollte es auch keine Grassalkowitscher Reichthümer, kein Grassalkowitscher Besitzthum mehr geben.

„Der Fiscus soll nichts von mir haben,“ sagte Fürst Anton Jedem, der ihn betreffs seiner Verschwendungen zu Rede stellte. Es lag ein charakteristischer Trotz gegen das Schicksal, das ihm den Erben versagt, in seinem ausschweifenden Gebahren. Aber es ward ihm nicht so leicht, seine Reichthümer los zu werden. Der Fürst mußte die außerordentlichsten Anstrengungen machen, um das viele Geld zum Teufel zu schicken. Der Luxus auf seinen Schlössern, und auf Gödöllö zumeist, soll fabelhaft gewesen und die barockste Decorationsphantasie da ihr theueres Spiel getrieben haben. Der Fürst hatte oft die extravagantesten Ansichten über Prunk; er imitirte mit Vorliebe den Pomp altitalienischer Feste. So hatte ihm in Palermo einst der Palast des Fürsten Forca imponirt. Und er ging heim und kleidete die Mauern seiner Palastsäle in kostbare, barocke Mosaiken und ließ in dem reichgeschmückten Fußboden des Festsaales auf Gödöllö ein großes Alabasterbassin anbringen, in das er – Goldfische hineinwarf. Diese sonderbare Placirung eines Teiches für Goldfischchen machte ihm das größte Vergnügen. Was hatte er nur einst noch für eine andere kostbare Idee? Er gab ein pompöses Sommerfest und versammelte die gesammte Aristokratie des Landes um sich. Die Säle präsentirten sich an jenem Tage wie die Gärten der Armida. Die Sinne schwelgten in orientalischen Blumendüften – man befand sich wie inmitten der schönsten Feerie; es war ein Schwelgen in Licht und Blumen. Und Fontainen erhoben sich in allen Sälen des Schlosses, Fontainen, von denen die einen – Mandelmilch (!!), die anderen Limonade ausstrahlten. Welch kostspieliges Raffinement!

Der Fürst fand übrigens auch noch andere Behelfe, sich von seinen vielen Reichthümern zu befreien; er ließ beispielsweise seine Leibwäsche in Paris waschen, aus dem für ihn triftigsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_083.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)