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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

außen den Charakter der Ruine zu belassen, selbst das Fensterkreuz vermieden und ungebrochene Spiegelscheiben in die dicken Mauern eingesetzt – daher das wunderliche Glitzern tief drinnen. … Der Bau war ein sogenannter Bergfriet, in Zeit der höchsten Gefahr ein Zufluchtsort für die Burgbewohner gewesen. Als solcher hatte er damals in seinen oberen Gemächern jedenfalls nur die allerprimitivste Einrichtung enthalten, jetzt aber durfte er sich an Prachtentfaltung getrost mit den ehemaligen, nun längst von der Erde verschwundenen Banketsälen im Haupthause messen.

Als die beiden Schwestern in das erste Zimmer des oberen Stockwerkes traten, da lehnte Flora bereits, eine glimmende Cigarette in der Rechten, graziös nachlässig zwischen den purpurfarbenen Kissen eines Ruhebettes und sah zu, wie der Commerzienrath in der silbernen Maschine den Nachmittagskaffee braute. Er hatte die drei Schwägerinnen dazu eingeladen.

„Nun, Käthe?“ rief er dem jungen Mädchen entgegen und deutete mit dem ausgestreckten Arme bezeichnend rundum über das Neugeschaffene.

Sie stand auf der Schwelle, einen schwarzen Schleier lose über die goldbraunen Flechten geworfen, hellen, lachenden Auges und so hoch und kraftvoll, als entstamme sie selbst dem alten Reckengeschlechte Derer von Baumgarten.

„Hochromantisch, Moritz! Die Täuschung ist vollkommen,“ antwortete sie heiter. „Der da unten“ – sie zeigte durch das nächste Fenster hinab auf den flimmernden Wassergürtel – „könnte Einen durch seine ernsthafte Vertheidigungsmiene erschrecken, wüßte man nicht, daß ein Commerzienrath des neunzehnten Jahrhunderts dahinter sitzt.

Er zog die feinen Augenbrauen finster zusammen, und sein Blick streifte unsicher ihr Gesicht – sie bemerkte es nicht. „Hübsch und löblich ist es ganz gewiß nicht gewesen, daß sich Kohl und Rüben früher auf seinem Grunde breit machen durften,“ fuhr sie fort; „das weiß ich nun, wenn mich auch das kleine Thal in der Erinnerung anheimelt. Aber ist es nicht ein interessantes, wunderliches Spiel des Wechsels, daß der Kaufmann die Schranken erneut, die das alte Rittergeschlecht zuletzt selbst mißachtet und als überflüssig entfernt hat?“

„Vergiß nicht, meine liebe Käthe, daß ich nunmehr der Ritterschaft selbst angehöre!“ versetzte er gereizt und in sehr pikirtem Ton. „Traurig genug, daß sich die alten Geschlechter dem Zeitgeist anbequemt und ehrwürdige Institutionen achtlos aufgegeben – nicht ein Iota durften sie fallen lassen. Es ist ein unverantwortlicher Raub an uns, die wir die Nachfolgenden sind.“

„Schwachkopf! Er ist katholischer als der Papst,“ murmelte Henriette ergrimmt; sie schritt tiefer in’s Zimmer, während Käthe mechanisch die Thür hinter sich fester zuzog, ohne den halb erschrockenen, halb nachdenklichen Blick von dem sichtlich erregten Manne am Credenztisch wegzuwenden. Sie hatte ihn als Kind gern gehabt, wie alle Menschen, die mit ihm verkehrten. Früh verwaist, aus einer braven Handwerkerfamilie stammend, von bestechend schönem Aeußern und einschmeichelndem Wesen, war er in das Geschäft des Banquier Mangold als Lehrling gekommen und schließlich dessen Schwiegersohn geworden. Käthe wußte, daß er ihre Schwester Clotilde bis zu deren frühem Tod auf den Händen getragen; sie hatte ihn immer nur fügsam bis zur Unterwürfigkeit ihrem Vater gegenüber gesehen, auch war er stets gleichmäßig freundlich und hülfreich selbst gegen die untersten Dienstleute des Hauses gewesen – und jetzt schwebte um den schön geschwungenen Männermund dort ein scharf ausgeprägter Zug von widerwärtigem Hochmuth. Der Seilersohn stieß verächtlich die Leiter um, auf der er emporgeklommen; sein Glücksrausch blendete ihn dergestalt, daß er in den Jargon der eingefleischtesten Krautjunker verfiel.

Henriette hatte sich auf einen niedrigen, polsterbelegten Schemel gekauert, und die Arme um die Kniee legend, sagte sie beißend: „Liebster Moritz, ich bitte Dich, thue nicht so entsetzlich herausfordernd! Es könnte irgend eine alte Ahnfrau d’rüber aufwachen und sehen, wie der tapfere Nachfolger und Burgherr Kaffee kocht, und das züchtige Burgfräulein bequem dort liegt und Cigaretten raucht – na, die würde Augen machen!“

Flora veränderte ihre Stellung nicht um eine Linie; sie nahm nur langsam die Cigarre aus dem spöttisch lächelnden Munde. „Genirt es Dich, Schätzchen?“ fragte sie in verstellt phlegmatischem Ton und stäubte mit dem Ringfinger die Asche ab.

„Mich?“ – Henriette lachte hart auf. „Du weißt, daß ich mich durch Dein genialisches Thun und Treiben nicht geniren lasse – die Welt ist weit, Flora; man kann sich aus dem Wege gehen und –“

„Pst, nicht so bissig, Kleine! Ich fragte aus purem Mitleid, weil Du brustkrank bist.“

Ein fliegendes Roth erschien und verschwand in jähem Wechsel auf den schmalen Wangen der Kranken, und in ihren Augen funkelten Thränen – sie bezwang sich mühsam. „Danke schön, aber sorge Du zuerst für Dich selber, Flora! Ich weiß, es zuckt Dir in allen Fingern, das qualmende Ding da zum Fenster hinauszuwerfen, denn es beräuchert Deine Perlenzähne wie Meerschaum und jagt Dir einen Schauder des Abscheues nach dem anderen über die Haut – trotzalledem diese heroische Selbstüberwindung! Aus Emancipationssucht? Bah, Du hast zu viel guten Geschmack, Flora, um zu den allerordinärsten Requisiten des Blaustrumpfes zu greifen; auch bringst Du dieser Neigung, die ja schließlich doch nur auf öffentliche Verherrlichung ausgeht, kein Opfer, das verhäßlicht –“

„Schau, was sie für eine hohe Meinung von mir hat, die liebe Seele!“ sagte Flora, unter ironischem Auflachen den Kopf schüttelnd, zu dem Commerzienrath.

„Du übst Dich im Rauchen und wirst das vielleicht drei bis vier Wochen consequent durchführen,“ fuhr Henriette unbeirrt, aber mit sichtlicher Erbitterung fort; „weil es Leute giebt, die den Tabaksrauch im Frauenmunde verabscheuen wie Pesthauch. Du suchst Händel, willst erzürnen, es ist der letzte Hebel, den Du ansetzest –“

Flora richtete sich aus ihrer halbliegenden Stellung auf. „Nun, und wenn, mein Fräulein?“ fragte sie stolz zurückweisend. „Ist es nicht meine Sache, ob ich gefallen oder abstoßen will?“

„Weit entfernt! In Deinem Falle bleibt Dir nur noch die Aufgabe, zu beglücken,“ brauste Henriette empört auf.

„Lächerlich! Trage ich hier vielleicht den Ehering?“ – Sie zeigte auf den elfenbeinweißen Goldfinger der Rechten. „Gott sei Dank, nein! … Uebrigens hast Du am allerwenigsten Ursache, Dich zu echauffiren und eine Lanze einzulegen – Du bist krank, armes Ding, und mehr als je auf Deinen Arzt angewiesen, aber er zieht es vor, eine Vergnügungsreise zu machen und auf die unmotivirteste Weise wochenlang fortzubleiben.“

Jetzt mischte sich auch der Commerzienrath in den Wortwechsel der erbitterten Schwestern. „Unmotivirt, Flora, weil er Dir den Grund seiner Reise nicht des Langen und Breiten mitgetheilt hat?“ rief er ärgerlich. „Bruck spricht nie über seinen Beruf und die damit verknüpften Vorkommnisse, das weißt Du. Er ist ohne Zweifel an ein Krankenbett gerufen worden –“

„Nach L.....g, wo man berühmte Universitätsprofessoren haben kann? Ha, ha, ha! Eine kostbare Idee! Mache Dich doch nicht lächerlich mit dergleichen Illusionen, Moritz! Uebrigens ist das ein Punkt, über den ich grundsätzlich nicht mehr mit Euch streite – basta!“ Sie streckte ihre Rechte nach der Kaffeetasse aus und schlürfte den köstlich duftenden Trank. Henriette aber schob grollend die gebotene Labung zurück; sie stand auf und trat an die Glasthür, die auf die anstoßende Ruine hinausführte. Das Mauerstück war der Rest einer Colonnade, die einst von dem ersten Stockwerk des Haupthauses in den Thurm geführt hatte; die zwei schön gewölbten, auf schlanken Säulchen ruhenden Bögen bildeten jetzt eine Art Söller mit prachtvoller Fernsicht.


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)