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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Schluß.)


Am späten Abend fuhr noch die Equipage des aus der Präfecturstadt rückkehrenden Fürsten an Haus Wilstorp vor – doch stiegen die Herrschaften, da sie sehr ermüdet waren, nicht aus, sondern der Fürst ließ Herrn von Mansdorf herausrufen, und er und Prinzessin Elisabeth theilten ihm rasch den Kern alles dessen mit, was nothwendig zu berichten war. Es war das Todesurtheil Fäustelmann’s, was durch diese Mittheilungen besiegelt wurde. Herr von Mansdorf gerieth außer sich vor zorniger Entrüstung und verschwor sich hoch und theuer, daß er den Menschen keinen Tag länger in seinen Diensten halten werde. Was aber Herrn von

Alexander Rost’s Grab auf dem Friedhof in Weimar.

Uffeln anging, so wußte er über ihn nicht das Geringste zu sagen. Herr von Uffeln war, nachdem er gestern Abend bis zu einer späteren Stunde geblieben und alle wünschenswerthe Auskunft über sich gegeben, geschieden und hatte sich heute den ganzen Tag über nicht blicken lassen. So mußte man darauf verzichten, ihn auf der Stelle zu warnen, und die Herrschaften eilten, nach Idar und zu der wohlverdienten Ruhe nach ihrer anstrengenden Fahrt zu kommen.

In Prinzessin Elisabeth war auf’s Neue die Sorge um den wunderlichen Mann erwacht, der nun heute wieder ganz verschollen geblieben. Als sie auf dem Schlosse zu Idar angekommen und wieder in ihrem Zimmer war, warf sie die Warnung, welche sie ihm senden wollte, hastig in einigen Worten auf’s Papier und wollte sie dem Meyer Jochmaring senden, daß er sie ihm zukommen lasse. Dann aber, im Begriff das Billet abzusenden, konnte sie es nicht über sich gewinnen – sandte sie es ihm, so würde er vor Tagesgrauen vielleicht noch die Flucht ergreifen. Sie sah ihn dann nicht wieder, vielleicht niemals – und bei dem Gedanken brach all der Muth zusammen, den sie am Morgen ihrem Vater gezeigt, all der Heroismus des Entsagens, all die Macht der Vernunft, vor der sie sich gebeugt. Auch hatte ja Alles jetzt, wo sich herausgestellt, daß dieser Mann seinen Namen mit Recht trug, eine andere Wendung genommen – er war kein Abenteurer mehr; es lag nicht mehr die weite Kluft zwischen ihm und ihr.

Und so beschloß sie, es kühn zu wagen, noch einmal ihm selbst entgegenzutreten, und wenn dann geschieden sein mußte, doch erst zu scheiden, nachdem sie sich völlige Klarheit über die Motive seines Handelns und Verhaltens verschafft, in dem doch noch so vieles Räthselhafte war. Und darüber sinnend, innerlich auf’s Tiefste erregt, aber auch wieder mit dem festen Selbstvertrauen, daß sie ihm werde die Hand zum Abschiede reichen können, ohne ihm zu verrathen, wie furchtbar sie dabei litt, ging sie am andern Morgen zum Hofe des Meyers; der Meyer sollte ihn aus seinem Aufenthaltsort herbeischaffen und zu ihr holen. Sie wollte diesen Gang rasch machen, noch bevor ihr Vater sichtbar wurde. Niemand sollte etwas davon erfahren. Nach einer kurzen Zwiesprache wollte sie heimkehren.

Sie sollte den, den sie suchte, eher sehen, als sie vermuthet. Wie sie durch den Wald ging, ihre getreue Marianne neben sich – es war ein von einem feinen Nebel verschleierter Morgen; im Walde herrschte Todtenstille, und an den Spitzen der Farrnkräuter hingen kleine Tropfen zusammengerieselter Feuchtigkeit, während aus den Baumwipfeln ein welkes Blatt nach dem andern wie ein großer gelber Falter niederschwirrte – während sie durch diesen heute so herbstlich angethanen Wald ging, vernahm sie Schritte, die ihr entgegenkamen, und sah bei der nächsten Wendung des Fußpfades Uffeln sich entgegenschreiten.

An dem Drehkreuze, an dem sie ihn zuerst gesehen, begegneten sie sich.

„Ich danke Ihnen, meine Fürstin,“ sagte er, „daß Sie mir auf meinem Wege entgegenkommen; ich bedarf auf diesem Wege ein wenig Ihres Entgegenkommens.“

„Ich verstehe Sie nicht,“ versetzte sie, ihn überrascht anschauend, „wer in aller Welt sagt Ihnen, daß ich Ihnen entgegen zu gehen beabsichtigte?“

„Daß Sie es beabsichtigt, behauptete ich nicht. Aber Sie kommen doch mir zu sagen, daß Sie gestern meinetwegen die lange Fahrt in die Präfecturstadt gemacht haben, Sie und Ihr Herr Vater?“

„Das wissen Sie?“

„Ich habe vom Meyer erfahren, daß Sie in großer Hast dahin gereist, und ich war anmaßend genug, zu glauben, es geschehe nicht um meines Doppelgängers willen, den man verhaftet hat; ich weiß nicht weshalb, denn ein Emissär ist dieser arme Teufel so wenig wie ich, aber Sie reisten in der Sorge, ich könne der Verhaftete sein …“

„Ich sehe, Sie wissen Alles,“ fiel die Prinzessin ein; „nun wohl denn, ich leugne es nicht, ich sprach mit meinem Vater, und dieser entschloß sich im Interesse einer patriotischen Sache zu der Fahrt, um Sie durch seinen Einfluß bei dem Präfecten zu retten. Wir waren sehr überrascht, in dem Verhafteten nicht Sie zu erkennen, aber wir erfuhren auch, daß Sie auf’s Schleunigste sich retten müssen, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden.“

„Mich retten? Aber ich bin ja kein Emissär, was Sie so gütig waren immer vorauszusetzen; auch wird meine Flucht nicht so dringend sein, daß Sie mir nicht erlauben dürften, Sie zu Ihrem Schlosse heimzubegleiten.“

„Nein, nein, das dürfen Sie nicht,“ fiel die Prinzessin lebhaft ein, „mein Vater würde es unpassend finden; ich wollte ja nur mit einem Worte Ihnen rasch sagen, welche Gefahr über Ihnen schwebt.“

„So lassen Sie wenigstens bis zur Margarethenlinde mich an Ihrer Seite bleiben – wenn Sie für Ihren weiteren Weg, zum Schlosse – wie durch’s Leben, es mir nicht gestatten wollen!“

„Ich will Ihnen nichts gestatten,“ antwortete sie, lebhaft bei diesen Worten erröthend, „als mich aufzuklären, weshalb Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_073.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)