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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Ich wünsche es – ich verlasse mich darauf.“

„Ich verspreche es Ihnen.“

Man schüttelte sich die Hände. Der Präfect begleitete seinen fürstlichen Besuch hinaus bis auf den ersten Treppenabsatz, und nach einigen Augenblicken trabte das Viergespann wieder über den Platz vor dem Schlosse dahin.

„Hörtest Du das,“ war des Fürsten erstes Wort an seine Tochter, als sie wieder in ihrem Wagen saßen, „hörtest Du das, wie er von den Kosaken Nachricht haben wollte? Das sagt uns besser, wie die Dinge stehen, als hundert ihrer Zeitungen. Die Kosaken, sie fürchten sie schon diesseits der Weser auftauchen zu sehn. Bei Gott, wenn ich noch Souverän wäre, ich ließe bei der Rückkunft in Idar jetzt mit allen Glocken läuten und ein Tedeum singen. Die Kosaken diesseits der Weser! Aber wahrhaftig, die Estafette soll er haben, wenn sie beihelfen kann, ihn rascher einpacken zu machen.“

Der Fürst war so voll patriotischer Freude über dieses erste ihm kund gewordene Symptom jener Kosakenfurcht, die sich bald nachher unter den Franzosen unserer Gegend wie eine Art panischen Schreckens verbreitete und in oft lächerlichen Ausbrüchen verrathen sollte, daß Elisabeth ihn erst nach einer Weile auf das Nächstliegende zurückbrachte. Sie theilte ihm die ganze merkwürdige Enthüllung mit, welche sie eben erhalten hatte, und da sich jetzt herausgestellt hatte, daß der Mann, um dessen willen Beide die ganze Fahrt gemacht hatten, der rechte und wahre Erbe von Wilstorp sei, so fand der Fürst nichts einzuwenden, als seine Tochter nun voll Eifer und Erregung darauf drängte, daß man nach der Heimkehr zuerst und vor Allem diesem die Lage der Dinge kund thun und ihn vor einer falschen Sicherheit warnen müsse, die nur so lange dauerte, als Falstner’s Bekenntnisse sich gleich blieben. –




11.


Unterdeß hatte Herr Fäustelmann einen sehr üblen Tag verlebt. Am gestrigen Abend spät war er von Idar, von seiner geheimen Zwiesprache mit dem Gensdarmerie-Brigadier zurückgekommen und hatte eifrig sich nach seinem Schützling umgesehen, um sich zu vergewissern, daß dieser fest in seiner Rolle geblieben und seinem Gegner die Stirn geboten. Fäustelmann zweifelte nicht daran; es war ja eine so leichte Aufgabe, einen solchen Menschen, der selbst gestanden, daß er ohne eine Spur eines Beweises für seine Behauptungen sei, zu beschämen und abzuweisen. Aber wie Fäustelmann auch suchte und sich erkundigte, er fand seinen Schützling nicht; dagegen vernahm er, daß, nachdem die anderen Herren sich entfernt, der neu aufgetauchte Uffeln sich mit der Herrschaft noch lange unterhalten und dann ebenfalls gegangen sei.

Am heutigen Morgen war es dann förmlich wie Schlag auf Schlag über ihn gekommen. Herr von Mansdorf hatte ihn schon in der Frühe zu sich holen lassen.

„Aber nun bitte ich Sie, Fäustelmann,“ hatte er ihm entgegen gerufen, „was sagen Sie zu dieser Geschichte? Wie konnten wir uns so täuschen lassen!“

„Täuschen? Sind wir denn getäuscht? Ich glaube das nicht. Ich halte den Menschen, der gestern mit einer so frechen Stirn vor uns trat, für einen Schwindler.“

„Für einen Schwindler? Ihn? Wenn Sie ihn hätten länger reden hören, so würden Sie das nicht thun, und ich bitte Sie, wenn er das wäre, weshalb brauchte dann der Andere vor ihm Reißaus zu nehmen; weshalb brauchte er wie ein begossener Hund sich fortzustehlen?“

„Ah – ich hoffe nicht …“

„Gewiß – er hatte, das Weite gesucht, ist auf und davon, ist verschwunden, ohne nur an Einen von uns ein Wort der Vertheidigung oder Erklärung zu richten. Spricht das nicht deutlich genug? Und wenn Sie den Andern hätten reden hören – aber wo waren Sie denn? Sie waren ja auch verschwunden und fort wie in den Erdboden gesunken.“

Herr Fäustelmann fand nicht für gut, hierüber eine Auskunft zu geben; er blickte nur in höchster Betroffenheit seinen Herrn an und wiederholte:

„Also er ist fort? Uffeln ist fort?“

„Ihr Uffeln, ja. Glauben Sie es nicht? Gehen Sie in sein Zimmer hinauf! Von den Leuten hat ihn heute Morgen da keiner mehr gesehen – vielleicht daß Sie mit Ihren Geisteraugen glücklicher sind.“

„Dann,“ versetzte Fäustelmann, indem er tief aufathmete, „dann allerdings muß er sich schuldbewußt fühlen und uns getäuscht haben.“

„Das ganz gewiß,“ entgegnete Herr von Mansdorf, „und ich habe nach Plümer gesendet, um mit ihm zu überlegen, ob man ihn verfolgen soll; Plümer wird, hoffe ich, bald hier sein, mit dem Doctor Günther, nach welchem meine Frau gesendet hat, weil Adelheid von allem dem so erschüttert und angegriffen ist, daß sie, wie ich fürchte, im Fieber liegt.“

Herr Fäustelmann strich sich mehrmals mit der Hand über sein aschfahles Stirnhaar und sagte sich, daß er jetzt mit seiner Denunciation einen recht dummen Streich gemacht – wie furchtbar war er compromittirt, wenn die Welt sie erfuhr! Und sein so schön aufgebauter Plan, Herr von Wilstorp zu werden, lag nun auch am Boden. Der war nun zerstört durch dieses Auftauchen eines todtgeschossenen Menschen, welcher jetzt als Lebender frisch und gesund umherging – wie das zu erklären, wie das möglich, das ging über Fäustelmann’s praktische Kunde vom Geisterreich hinaus. Sein Uffeln mußte ihn abscheulich belogen haben. Plümer, der Justitiar, kam sehr bald. Sein ganzes schlaues Gesicht glühte vor Aufregung; seine Blicke stachen ordentlich in Fäustelmann’s betroffene Mienen hinein.

„Nun, das wird immer besser,“ rief er aus, als er eben eingetreten war, „immer besser. Wissen Sie die neuesten Neuigkeiten aus Idar, Herr von Mansdorf?“

„Aus Idar? Ich weiß nichts.“

„Man hat ein Waffendepôt in der Kropp aufgehoben. Runkelstein’s Kindersärge. Schöne Särge! Kisten mit Musketen. Und dazu hat man sich einen Emissär eingefangen – und wissen Sie, wen? Eben unseren falschen Uffeln, unseren charmanten Lehensvetter, der obendrein beinahe noch Ihr Schwiegersohn geworden wäre.“

„Ihn,“ rief Fäustelmann aus, „ihn hat man eingefangen – verhaftet?“

„Ihn – ich habe ihn mit eigenen Augen über den Markt führen sehen.“

Das war der zweite Schlag für Herrn Fäustelmann. – War dieser Mensch verhaftet, so gestand er ohne allen Zweifel die Rolle, die er in Wilstorp gespielt, nicht ohne Beschuldigungen Fäustelmann’s als seines Verführers, ein.

„Ihn!“ wiederholte er deshalb ganz tonlos und verwünschte dabei innerlich die Dummheit der französischen Schergen, denen er doch deutlich gesagt hatte, wer der Emissär sei, dessen Persönlichkeit er ihnen doch auf’s Genaueste beschrieben zu haben glaubte. Lange über diese für ihn schreckliche Verwechselung zu grübeln, dazu ließ Plümer jedoch dem Rentmeister keine Zeit, denn er fuhr fort:

„Und nun muß Alles aufgeboten werden, herauszubringen, wem diese abscheuliche Verrätherei, diese Denunciation an die Franzosen zu danken ist – der Bösewicht muß exemplarisch bestraft werden. Widmer, der patriotische Apotheker, sagt, er kenne schon Leute, die bereit sein würden, im Stillen ein Volksgericht über ihn zu halten, und auch solche, die sich nichts daraus machten, ihn nach altem gutem Väterbrauch an eine Eiche zu knüpfen. Widmer ist außer sich und wird den Schuldigen herausbringen, ehe vierundzwanzig Stunden vergehen. Verrathen die Gensd’armen nichts, so wallfahrtet Widmer darum nach M., wo einer seiner Vettern Schreiber auf der Präfectur ist und ihm im Stillen einen Einblick in die Acten nicht verwehren wird.“

Das war nun der dritte Schlag für Herrn Fäustelmann, der nach so viel Aufregung das lebhafte Bedürfniß empfand, ein wenig freie Luft zu schöpfen und über die Unsicherheit menschlicher Berechnungen nachzudenken. Er sagte, daß ihn Leute auf seinem Bureau erwarteten, und daß er gehen müßte, um sie abzufertigen. –

Unterdeß war der Doctor Günther bei der erkrankten Adelheid angekommen. War bei diesem Wiedersehen auch Frau von Mansdorf zugegen gewesen, so hatte dies die beiden jungen Leute doch nicht hindern können, sich durch ihre strahlenden Blicke das Glück dieses Wiedersehens auszudrücken, und dies Glück schmolz denn auch in Adolf so sehr alles Gefühl von Zorn und Bitterkeit gegen Frau von Mansdorf, daß er es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_052.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)