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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Führer des Corps zu vertreten hatte, dies bestätige. Die Bestätigung erfolgte auch, ich selbst habe dann das verhängnißvolle Papier mit einer beigegebenen Ordre, welche die augenblickliche Ausführung des Urtheils anbefahl und die mir der General selbst dictirt hatte, einer reitenden Ordonnanz übergeben, und als dieser Mann aus dem Hofe unseres Hauptquartiers fort und seiner Straße in den entfernten Ort dahinsprengte, wo von Uffeln’s Abtheilung stand, da mußte ich den letzteren als einen todten Mann betrachten.

Die eingereichte Acte sollte in unserm Büreau aufbewahrt werden. Es herrschte aber sehr wenig Ordnung in unserer militärischen Registratur; bei raschem Aufbrechen und plötzlich ankommenden Marschordren wurde oft der ganze Bestand von Schreibereien bis auf weniges Wichtigste vernichtet oder zurückgelassen; hatte ja doch der ganze Krieg in diesem unglücklichen spanischen Lande einen Charakter wildester Regellosigkeit angenommen; die überlegten und zusammenhängenden strategischen Bewegungen waren durch ganz unberechenbare Dinge unmöglich geworden; die Kämpfe selbst entwickelten die zügellosesten dämonischen Triebe in der Menschennatur, und oft fielen Handlungen von haarsträubender Entsetzlichkeit vor …“

„Ich weiß – ich hörte es,“ fiel Prinzessin Elisabeth hochaufathmend ein, „erzählen Sie weiter!“

„Ich fand der Acte, von der ich sprach, die Papiere Uffeln’s beigelegt, seine Dienstcertificate, seine Officierpatente; ich dachte dabei, daß dies die Legitimationen gewesen sein würden, wenn er sich zu seinem Erbe gemeldet hätte; ich dachte ferner, daß sie dort, wo man seine Meldung um sein Erbe erwarte, von Wichtigkeit sein würden, damit nun statt seiner ein neuer Erbe eintreten könne, und um sie vor dem Untergange zu retten, nahm ich sie an mich und verwahrte sie unter meinen eigenen Papieren; ich verband weiter durchaus keine Absicht mit dieser Handlung und vergaß sie bald darauf in der Aufregung der nächsten Tage, die voll angestrengter Märsche waren, weil wir uns durch ein englisches Corps plötzlich im Rücken bedroht sahen, und es fast täglich zu kleineren oder größeren Zusammenstößen kam. In einem derselben wurde ich verwundet, in einer Weise, die ich als ein Glück betrachtete, denn diese Verwundung brachte mir die Befreiung aus einer Lage, die mir längst unerträglich schien; sie brachte mir den Abschied. Ich erhielt, als ich nothdürftig geheilt war, die Entlassung und eine Marschroute in die Heimath; ich kehrte heim über Paris, wo man mir meine Pension als invalider Officier in einem Betrage festsetzte, daß ein Hund, aber kein Mensch davon leben konnte, und endlich war ich wieder in meinem Geburtsorte, der mir fremd geworden, wo ich nur ganz entfernte, in dürftigen Umständen lebende Verwandte fand, der mich mit der Frage zu empfangen schien: wozu kommst du, was willst du hier? was gehen wir uns an, du armer verlassener Mensch, und ich, der wohlhabende Ort, in dem Jeder im Kreise der Seinen warm gebettet ist? – In dieser Lage erinnerte ich mich jener Papiere, die in meinem Besitze waren. Ich konnte sie überbringen – dort, wo sie jedenfalls von Interesse, vielleicht von großem Werthe waren; waren sie das letztere, so konnte ich für ihre Ueberbringung eine Geldentschädigung in Anspruch nehmen, die mir weiter half. Ein Zeitungsblatt, welches eine Aufforderung an Ulrich Gerhard von Uffeln enthielt, wurde mir nicht schwer mir zu verschaffen; es gab mir Richtung und Ziel des Weges, den ich zu nehmen hatte, an, und so begab ich mich auf die Wanderung, bis ich eines schönen Abends auf Haus Wilstorp anlangte und mich zuerst bei dem Rentmeister meldete.

Dieser empfing mich offenbar sehr erfreut, als ich ihm erklärte, daß ich komme, ihm den Tod Uffeln’s zu melden und dessen Papiere zu überbringen.

‚Ist er todt, dieser unfaßbare Lehensvetter,‘ sagte er, ‚so ist uns Allen geholfen – dann sind wir alleinige Erben hier und alle Schwierigkeiten haben ein Ende. Wo sind die Papiere darüber?‘

Ich gab sie ihm, und er durchflog sie hastig.

‚Aber der Todtenschein?‘ rief er dann aus, ‚wo ist er?‘

‚Einen Todtenschein? Den habe ich nicht,‘ war meine Antwort.

‚Den haben Sie nicht, und nichts anderes, was seinen Tod beurkundet?‘

‚Nichts darüber. Aber ich sagte Ihnen, er ist füsilirt; ich selbst habe die Ordre des Divisionsgenerals in die Hände der Ordonnanz gegeben, die …‘

‚Das sagen Sie –‘ fiel er mir in’s Wort. ‚Aber was hilft uns das, was hilft alles, so lange wir nicht Schwarz auf Weiß darüber besitzen? Können Sie nach Spanien schreiben und irgend etwas Amtliches darüber beschaffen?‘

Ich schüttelte den Kopf.

‚Nein,‘ sagte ich. ‚An wen sollte ich schreiben? An das Divisionscommando? Gott weiß, wo es in diesem Augenblicke ist. Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß der Kaiser die Division aus Spanien zurückgezogen hat, um sie gegen die Alliirten zu verwenden. Sie wird auf dem Marsche sein; vielleicht steht sie schon vor dem Feinde – wie ist es da möglich …‘

Herr Fäustelmann warf sehr geärgert meine Papiere von sich.

‚So sind wir gerade so weit, wie wir früher waren,‘ sagte er. ‚Es ist eine Sache zum Verzweifeln. Nach keiner Seite hin sich frei rühren zu können! Ihre Papiere da, Herr, können Sie zu Fidibus verwenden. Es sind Wische für uns, bloße Wische, weiter gar nichts. Hätten Sie wenigstens noch eine amtliche Abschrift des Todesurtheils! Dann würde Ihr Zeugniß, daß er wirklich executirt ist, daß er vor Ihren Augen erschossen ist, dieser Uffeln …‘

‚Das ist er nun freilich nicht …‘

‚Nicht vor Ihren Augen?‘

‚Nein. Aber die Execution ist befohlen und also auch ausgeführt.‘

‚Auch ausgeführt,‘ sprach der Rentmeister plötzlich sehr gedankenvoll mich fixirend mir nach, nickte dann mit dem Kopfe, und nachdem er eine Weile höchst nachdenklich vor sich hin, wie in’s Leere gestarrt, sagte er:

‚Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Helfen Sie selbst uns! Diese Papiere da genügen dazu. Geben Sie sie für Ihr Eigenthum aus!‘

‚Ich denke, das sind sie – bis jetzt wenigstens‘ – versetzte ich.

‚Sie verstehen mich nicht. Nennen Sie selbst sich Uffeln …‘

‚Ah, ich bitte Sie, wie könnt’ ich das?‘

‚Weshalb nicht? Nennen Sie sich Uffeln – und wir sind über alle Schwierigkeiten hinweg. Sie erben ein hübsches Gut, die Hälfte davon mindestens; Herr von Mansdorf ist froh, nun Herr über seine Hälfte zu werden, und dem armen Teufel, den sie in Spanien erschossen haben, kann’s einerlei sein.‘

Ich war erschrocken; ich zeigte mich empört über den Vorschlag, der Rentmeister aber sprach in mich hinein, so lange, mit einem solchen Tone der Ueberzeugung, daß dies das ganz selbstverständliche Auskunftsmittel sei, daß ich endlich meinen Widerstand gegen den Betrug gebrochen fühlte und nur noch die Angst vor der Entdeckung geltend machte.

‚Die Entdeckung ist ja unmöglich,‘ sagte er, ‚und wenn Sie sie dennoch fürchten, so können wir ja den schlimmen Folgen derselben auf’s Beste vorbeugen. Sie heirathen Fräulein Adelheid von Mansdorf, dann gehören Sie zur Familie, und dann ist es einerlei, ob Sie als Uffeln oder als Mansdorf’s Schwiegersohn auf Wilstorp sitzen.‘“

„Aber welch’ schreckliches Complot!“ rief hier die Prinzessin entrüstet aus.


(Fortsetzung folgt.)



Kleiner Briefkasten.


O. M. in D. Obwohl uns von drei Seiten authentische Portraits des Bremerhavener Verbrechers und sogar eine Handzeichnung zugegangen, welche denselben auf dem Sterbebette darstellt, so glauben wir doch davon keinen Gebrauch machen zu sollen, da wir es nicht für die Aufgabe unseres Blattes halten, die Züge des Mörders zu verewigen. Ein photographisches Portrait des Thomas aus der Zeit seines Aufenthaltes hier in Leipzig können Sie übrigens durch die hiesige photographische Anstalt von Eulenstein leicht beziehen.

Kolin in Halberstadt. Natürlich: zuthulich! Die Wortbildung zuthunlich kommt überhaupt gar nicht vor.

T. Hörmann. Wir bitten um gef. genaue Angabe der Lage Ihres Wohnorts. Es giebt sechs Waidhofen, und wir können Werthsendungen der Post nur übergeben, wenn genau angegeben wird, welches Waidhofen gemeint ist.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_040.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)