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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ihre Geistesgegenwart zu behalten. Dann war nur die eine Hoffnung noch, daß er sein Geständniß sofort zurücknehmen werde, sobald ihm die leiseste Kunde davon gegeben werden könne, wie man ihn retten wolle, und so rief sie heftig aus:

„Aber, mein Gott, das ist ja ganz unsinnig – so ist dieses Geständniß nur gemacht in der Verzweiflung, um der Folter des Verhörs zu entgehen, oder weil er sterben will.“

Der Präfect zuckte die Achseln. Dann stand er auf, zog eine Klingel, und als der Diener erschien, sagte er:

„Man soll den Gefangenen, der in meinem Geschäftszimmer wartet, hereinführen, aber unter Bedeckung.“

„Sie werden,“ fuhr er dann zum Fürsten gewendet fort, „aus seinem eigenen Munde hören, daß er seine agitatorischen Umtriebe ganz offen gesteht. Was mir nur nicht klar geworden aus seinen Antworten, das ist: heißt der Mensch Falstner oder heißt er von Uffeln? Wäre das letztere der Fall, so lägen gegen ihn noch aus seiner spanischen Dienstzeit Thatsachen vor – ich lasse darüber eben in den Polizeibüchern nachschlagen – es wird sich dann das Genauere herausstellen. Aber da ist er, und nun fragen Sie ihn selbst!“

Die Thür, durch die der Präfect vorhin eingetreten, öffnete sich, und von einem Gensd’armen begleitet, erschien auf der Schwelle eine Gestalt, bei deren Anblick Prinzessin Elisabeth in einer gar nicht zu beschreibenden Ueberraschung hoch auffuhr.

„Mein Gott,“ rief sie stürmisch aus, „hört denn diese Doppelgängerei gar nicht auf?“

Der Eingetretene war Niemand anderes, als Ulrich Gerhard von Uffeln, der Mann mit der gelähmten Hand, der Verlobte von Fräulein Adelheid von Mansdorf.

„Das ist ein anderer Mann, als von dem die Rede,“ rief auch der Fürst überrascht aus, „das ist ja der …“

Der Fürst verschluckte den Namen Uffeln, den er aussprechen wollte, um den Verhafteten nicht dadurch zu compromittiren.

„Was überrascht Sie so?“ fiel der Präfect ein, „Sie erwarteten Jemand anders zu sehen?“

„In der That,“ sagte der Fürst und Elisabeth setzte rasch hinzu: einen ganz anderen – von diesem Manne kenn’ und weiß ich nichts.“

Der Verhaftete trat mit einem bescheidenen ruhigen Anstande auf sie zu und sagte:

„Sie kennen und wissen nichts von mir, Durchlaucht, aber es läge mir unendlich viel daran, daß Sie mich kennten und daß Sie von mir zu Fräulein Adelheid von Mansdorf sprächen. Ich habe eine große Schuld gegen Fräulein Adelheid von Mansdorf begangen, eine Schuld, die sich nicht rechtfertigen läßt, aber die ich milder von ihr beurtheilt sehen möchte, und wenn Sie mich anhörten und dann aus Ihrem gütigen Herzen heraus mit ihr redeten, so würde sie mich milder beurtheilen. Wollen Sie mich anhören?“

Prinzessin Elisabeth, noch immer nicht von ihrer Ueberraschung zurückgekommen, aber mit dem Gefühl einer unendlichen Erleichterung aufathmend, versetzte:

„O, gewiß will ich, gewiß. Reden Sie nur!“

„Wollen Sie mir eine Unterredung mit der Prinzessin verstatten?“ wandte sich der junge Mann bittend an den Präfecten.

Dieser runzelte die Brauen, dann, als die Prinzessin ihn ebenfalls bittend ansah, entgegnete er:

„Eine geheime Unterredung? Ich kann Ihnen nur in meiner Gegenwart Mittheilungen verstatten. Die will ich Ihnen erlauben. Tragen Sie der Durchlaucht also vor, was Sie ihr zu sagen haben! Sie mögen dort in die Fensterbrüstung treten, und seien Sie kurz!“

Elisabeth begab sich in die mit schweren Draperien verhangene Nische des letzten Fensters in dem großen Raume. Der Fürst und der Präfect schritten unterdeß in diesem letzteren neben einander auf und ab, während der Gensd’arm sich regungslos an der Thür hielt.

„Wen haben Sie denn eigentlich hier zu sehen erwartet, Durchlaucht?“ fragte der Präfect den Fürsten.

„Um es Ihnen offen zu gestehen,“ versetzte der Fürst, „ich weiß es selbst nicht. Meine Tochter, als sie durch mich von der Verhaftung eines Emissärs der Alliirten vernahm, wurde von Schrecken ergriffen, weil sie annahm, daß man aus Mißverständniß, aus falschem Verdacht sich eines Mannes bemächtigt haben könne, den sie liebt und,“ setzte der Fürst zögernd hinzu, „der sich aus Furcht vor meinem Unwillen verbirgt …“

„Dessen Entdeckung und Unschädlichmachung wir dann also auch ganz allein Ihnen überlassen können, Durchlaucht,“ entgegnete der Präfect mit einem trüben Lächeln. „Ich bin gar nicht von dem Eifer erfüllt, die Zahl der Opfer unserer heutigen politischen Lage zu vermehren, die uns freilich zwingt, unerbittlich zu sein, wo ein Feind in unsere Hände fallt. Wir haben der Feinde zu viele.“

„Und jener junge Mann dort, was wird mit ihm geschehen?“ fragte der Fürst.

„Ich werde ihn nach der Festung W. senden, wo das Kriegsgericht über ihn zu befinden hat. Da er bekennt und falls sich noch außerdem herausstellt, daß er in Spanien als französischer Officier diente, so wird man ihn höchst wahrscheinlich erschießen.“




10.


„Ich habe nur eine kurz gemessene Zeit, Durchlaucht, Ihnen Mittheilungen zu machen, von denen ich aus tiefster Seele wünsche, daß Adelheid von Mansdorf sie erfahre, damit sie milder von mir denke, als ich es von allen Uebrigen erwarten kann,“ so hatte unterdeß der Mann, der mit Elisabeth in die Fensternische getreten, zu der Prinzessin zu sprechen begonnen. „Ich muß also,“ fuhr er fort, „in wenig Worte zusammendrängen, was, wie ich zu Gott hoffe, mir ein versöhnteres Angedenken bei ihr gewinnen wird, wenn Ihre Herzensgüte sich zum Dolmetscher meiner Erklärungen macht.

Zuerst, um damit meine rückhaltlose Beichte zu beginnen: was ich in Wilstorp über mein Leben und meine Herkunft angegeben, ist in allem richtig, nur heiße ich nicht Uffeln, sondern Falstner und bin der Sohn eines bürgerlichen Mannes. Den Herrn von Uffeln, dessen Namen ich mir angemaßt, habe ich früher nur ein einziges Mal gesehen, und das war in Spanien, in einem Kaffeehause in Saragossa. Ich saß mit einigen Cameraden meines Regiments an einem der Tische. Am benachbarten Tische hatte eine Gruppe von Officieren eines anderen Regiments, das zu unserer Division gehörte, Platz genommen; mir im Rücken zunächst saß einer, den ich von seinen Cameraden Uffeln nennen hörte; ich wurde dadurch aufmerksam, weil ich aus dem Namen schloß, daß er ein Deutscher sei. So kam es, daß ich auf die am Nachbartisch geführten Gespräche horchte und vernahm, wie mein deutscher Landsmann seinen Freunden erzählte, er habe einen Brief aus seiner Heimath erhalten, man schreibe ihm, daß er dort in den Zeitungen gesucht werde, um eine Erbschaft in Empfang zu nehmen. Man beglückwünschte ihn dazu, er wies aber in einer skeptisch humoristischen Weise diese Glückwünsche zurück, indem er versicherte, es handle sich um ein verfallenes Eulennest, das er nicht einmal ganz, sondern in Gemeinschaft mit einem alten Krautjunker erben solle, den er weit entfernt sei in seiner ländlichen Ruhe zu stören, bevor nicht der Krieg zu Ende. Bis dahin könne der gnädige Herr den Pflugsterz selber halten und sehen, wer ihm dabei die Ochsen treibe. Mir prägten sich diese Worte ein, weil ich in mir gerade das Gegentheil, die größte Sehnsucht nach solch einer ruhigen friedfertigen Existenz empfand und kein höheres Glück gekannt hätte, als solch ein Asyl irgendwo in der Welt mir geöffnet zu wissen. Mit einem gewissen Neid hafteten deshalb auch meine Augen auf dem glücklichen, den Capitainsrang bekleidenden Officier, der bald darauf mit seinen Freunden das Café verließ.“

„Ich habe ihn seitdem in Spanien nicht wieder gesehen“, fuhr der Erzählende nach einer Pause fort, „aber ich dachte oft, wenn mir meine Lage, mein Beruf dort unerträglich wurden, an ihn. Und so erschrak ich, als ich eines Tages plötzlich in sehr überraschender Weise an ihn erinnert wurde. Da ich ein schlechter Soldat war und eine schöne Handschrift hatte, wurde ich oft zum Bureaudienst commandirt. So kam es, daß ich vor jetzt etwa drei bis vier Monaten im Bureau meiner Division arbeitete, als eine Acte einlief, die nichts weniger als eine kriegsrechtliche Verhandlung wider den Capitain Ulrich Gerhard von Uffeln enthielt, der einen ihm vorgesetzten Officier erschossen hatte; die Acte endete mit einem über ihn ausgesprochenen Todesurtheil und war eingesandt worden, damit der Divisionsgeneral, der den verwundeten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_039.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)