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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Theile und Platten so fest in einander gefügt sind, daß sie noch heute, trotz einer Dauer von mehr als anderthalbhundert Jahren und trotz der unglaublichen Benutzung, die sie erfährt, doch so fest geschlossen und gegliedert dasteht, als sei sie erst von gestern. Die Schönheit ihrer reichen Gliederung mit ihren breiten Absätzen, mit ihren Vorsprüngen und Balustraden wird indessen erst in größerer Entfernung sichtbar, etwa vom Corso aus durch die Via Condotti gesehen, oder noch besser von dem fern gelegenen Platze vor dem Palazzo Borghese.

Und bei aller Vornehmheit und Schönheit, die der alten Riesentreppe für sich eigen ist, hat sie noch einen besonderen Reiz, der, wie ich oft beobachtet habe, auf viele Fremde noch anziehender wirkt, als der Blick auf die Stadt selbst: sie ist der Aufenthalt der berühmten Costümmodelle, der Männer und Frauen aus dem Albanergebirge, aus dem Neapolitanischen, die sich den Winter über in Rom aufhalten, den Künstlern Modell zu stehen und sich in ihren eigenthümlichen malerischen Trachten, denen man selbst in Rom sonst nirgendwo wieder begegnet, malen zu lassen.

Wenn sie im Herbste kommen und ihre altgewohnten Plätze auf dem Trottoir oder auf den Haustreppen der Via Sistina, auf der Piazza Trinita de’ Monti und auf der Spanischen Treppe einnehmen, hat die Saison begonnen, und nicht eher rüsten sich die buntfarbigen, immer beweglichen Gestalten zur Rückkehr in ihr heimathliches, waldkühles Gebirgsdorf, bis die Sommersonne schon hoch am Himmel steht und unter ihrem heißen Strahle die bleiche Fieberluft aus den Tiefen steigt und sich unheilvoll über die öde und fremdenleere Stadt breitet.

Die Männer und Knaben dieser seltsamen Colonie treiben sich meistens auf der kleinen Piazza Trinita de’ Monti oberhalb der Treppe herum, in schmutzigen Sandalen, brauner Jacke, durchlöchertem blauen Mantel, und auf dem krauslockigen Haare den alten, rothbebänderten Spitzhut. Ein langer Stock, eine Kürbisflasche mit Rothwein, eine mit Ziegenfell überzogene Seitentasche, die Lebensmittel für den ganzen Tag bietet, ist ihre ganze Ausstattung. Hier stehen oder liegen sie in der Sonne herum, rauchend, essend, trinkend, bis ein Maler sie in sein Atelier holt. Sie sind freundlich und grüßen, wie dies auch ihre Frauen und Mädchen thun, Denjenigen gerne, der öfter des Weges kommt und Interesse an ihnen zeigt.

Einer gewissen Berühmtheit unter ihnen erfreuen sich der einbeinige junge Mann, der wegen seines edlen, von schwarzbraunen Locken umwallten Kopfes den nom de guerre des „Nazareners“ führt, der bildschöne jugendliche Bernardino und der kleine possirliche Cecco, dessen Bild die „Gartenlaube“ heute nach einem vortrefflichen Oelgemälde des in Rom lebenden Malers Nathanael Schmitt wiedergiebt. Wer in den letzten Jahren in Rom war, kennt auch den kleinen munteren Burschen mit den großen, kohlschwarzen Augen im Schelmengesichte, der die Bettelei so lustig zu treiben versteht, wie Keiner – denn wenn er lachend uns entgegen gelaufen kommt, sobald er unser nur von der Ferne ansichtig wird, hat er, eben seines drolligen Wesens halber, seinen Soldo schon in der Hand, bevor er uns darum gebeten hat. Wir plaudern mit ihm, und wenn wir weiter gehen, steht der Krauskopf noch lange in seinem schmutzigen Lämmerpelz da, winkt uns dankend mit der Hand und springt dann jubelnd zu seinen Gespielen zurück, ihnen die erhaltene Gabe zu zeigen. Ob er zum Betteln erzogen ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß, als er einstmals wieder auf mich zulaufen wollte, ein etwa sechszehnjähriges Mädchen, vielleicht seine Schwester, ihn zurückhielt und seiner Zudringlichkeit wegen, wie sie es nannte, schalt. Aber er hat den gewohnten Soldo von mir trotzdem erhalten.

Der Maler des kleinen Cecco, Nathanael Schmitt, ist unter den jungen Künstlern in Rom einer der tüchtigsten Portraitmaler, der von seinem Vater, einem Schüler des großen Cornelius, in Heidelberg den ersten Unterricht erhalten, dann seine Ausbildung durch große Reisen in Deutschland, Frankreich, England vollendet hat und nun dauernd in Rom lebt, wo er in der Via Sistina sein Atelier aufgeschlagen hat. Das Originalbild befindet sich im Besitze des Dr. Gräfe in Halle.

Auf der Spanischen Treppe selbst kauern in einzelnen Gruppen, die der Treppe eine außerordentlich malerische Staffage geben, die Frauen, Mädchen und kleinen Kinder – gleichfalls schwatzend, lachend, vom Einen zum Andern laufend, Orangen essend, vielleicht Veilchen verkaufend und im besten Falle strickend. Wirklich schön sind unter ihnen seltsamer Weise nur Wenige, und der ganze Reiz ihrer Erscheinung ruht häufig genug nur in den buntfarbigen, geschmackvollen Costümen, die sie tragen. Doch ist z. B. Philomene ein wegen seiner großen Anmuth von den Malern oft gesuchtes Modell, desgleichen Giovannina, die wegen ihres feinen Gesichtsschnittes bei den Künstlern ebenso großer Beliebtheit sich erfreut, wie ihr alter Vater, der auf hunderten von Bildern als Campagnahirte figurirt. Und nicht weit von ihr pflegt mit andern Genossinnen Marianina auf den Treppenstufen zu kauern, der ihr reiches blauschwarzes Haar eine Berühmtheit besonderer Art verschafft hat.

Während des Carnevals vergnügten sich die Modelle jeden Nachmittag auf dem ersten großen Absatz der Spanischen Treppe beim rauschenden Klang des Tambourins und von Zuschauern dicht umdrängt, am bacchantischen Saltarello, der immer nur von einem Paare getanzt wird und dessen leidenschaftliche und doch rhythmische Bewegung die schönen Formen des Körpers auf’s Anmuthigste zu Tage treten läßt.

Am poetischsten ist dieses Modellvölkchen aber immerhin aus der Ferne anzusehen, wenn es im klaren Helldunkel eines Kirchenportals herumlungert oder auch von glänzender Sonne beschienen seine Siesta hält. In der allernächsten Nähe oder gar im Lichte des Ateliers verschwindet doch Vieles von dem Zauber, der die Leute für den flüchtigeren Beobachter umgiebt; von geistiger Angeregtheit ist wenig oder Nichts an ihnen zu spüren, und Manche bringen es fertig, einem Maler den ganzen Tag lang als Modell zu sitzen, ohne zu fragen oder zu sehen, wozu sie benutzt werden. Andererseits haben sie ganz gut gelernt, daß diese Jacke oder jener Mantel noch zerfetzt und verwettert großen Werth habe, und sie vergessen es niemals, wenn dieser oder jener Maler „venticinque Lire“ (25 Lire) dafür geboten hat. Auch verstehen sie sich vortrefflich darauf, einem neuen Stück Kleid auf künstliche Weise ein getragenes Ansehen zu geben.[WS 1]

Als ich einmal mit einem befreundeten Maler durch die Via Babuino schlenderte, begegneten wir einem alten Kerl in Lumpen, den mein Freund fragte, ob er Modell sei. Er antwortete damit, daß er seinen Mantel mit großer Gewandtheit und gewiß mit viel Grazie mit der linken Hand über die Brust faßte und mit der rechten eine große Bewegung machte, die für einen Propheten wohl passend gewesen wäre.

Wirkliche Naturwüchsigkeit findet man nur mehr im Gebirge, in den Abruzzen. Anagni, Veroli und besonders Alatri, das berüchtigte Räubernest, sind reich an den herrlichsten Gestalten, ernsten, scheuen Naturen. Auch findet man dort das Costüm viel einfacher und schöner im Tone, während es in Rom dem erfahrenern Auge mitunter doch etwas zu viel Absicht verräth, was indessen nicht hindern soll, daß die Modelle der Spanischen Treppe namentlich den Touristen als heitere römische Staffage immerdar in angenehmer Erinnerung bleiben.

Das Beliebteste unter den weiblichen Costüm-Modellen ist neben der Albaneserin und der allerdings sehr selten sichtbaren Donna di Nettuno das sogenannte Ciocciaren-Costüm, wie es unser zweites Bild nach einer photographischen Originalaufnahme bietet. Es ist so genannt nach der Fußbekleidung (cioccia), einer starken, länglichen Ledersandale, deren Ecken mit Schnüren, die um das Bein bis zur Wade hinauf laufen, über den Fuß befestigt werden. Den anmuthigen Kopf schmückt ein weißer, durchbrochener und befranster Schleier; ein weißes Hemd, gleich den weiten Aermeln von zierlicher durchbrochener Arbeit, verhüllt mit dem meist dunkelfarbigen schleifengeschmückten Mieder den Oberkörper, während auf dem blauen oder rothen Rocke eine grüne oder blaue Schürze liegt, die oben und unten eine breite, bunte, arabeskenartige Stickerei zeigt. Das Ohr schmücken große goldene Ringe.

Eines der schönsten Modelle, die Schwester einer gewissen Beatrice – ich vermag mich im Augenblicke nicht auf ihren Namen zu besinnen –, ist seit vorigem Winter von der Spanischen Treppe verschwunden. Ein preußischer Baron, sagt man, hat sie in die enge Haft eines Instituts gebracht, wo sie sich damit abquält, ihren Geist zu bilden, und das sie nach erreichtem Ziele nur verlassen soll, eben besagten Baron zu heirathen. Ganz gelegentlich fragte ich Beatrice, wie denn eigentlich jener Baron, ihr künftiger Schwager, heiße? Beatrice aber lachte und sagte achselzuckend nichts als „Chi lo sa?“ – wer weiß es?“

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_035.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)