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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Da liegt es ja im Abendscheine,
Das stille kleine Gotteshaus,
Und rings herum viel Leichensteine,
An manchem Kreuz ein Blumenstrauß.
Wie muß es sich doch unter’m Hügel
So heimlich lauschen und so sacht,
Wenn traumhaft senkt den weichen Flügel
Und lautlos horcht die Sommernacht
     Den Glockenklängen auf der Haide!

Der Tod so süß, so hart das Leben –
Träum’ fort, träum’ fort, mein Brüderlein!
In Winterfrost, in Sturmesweben
Wer thut uns auf, wer läßt uns ein?
Wie schön, dem Glück in’s Auge sehen,
In’s Auge warm und strahlenhell –
Uns winkt’s nur im Vorübergehen
Und kommt und flieht, wie Träume schnell,
     Wie Glockenklänge auf der Haide.

Träum’ fort, träum’ fort – und doch! wie heute
So wundersam sich hebt mein Muth,
Als grüßt’ uns Gott aus dem Geläute:
„Getrost! Es wird noch Alles gut“,
Als ging’ er mit des Tages Scheiden
Die Haid’ entlang von Ort zu Ort
Und spräch’ zu Allen, die da leiden,
Ein freundlich Wort, ein Vaterwort
     Aus Glockenklängen auf der Haide.

 Ernst Ziel.




Louise.


Zur hundertjährigen Geburtstagsfeier der Mutter unseres Kaisers.


(Fortsetzung.)


Die Reise des Königs und seiner Gemahlin zur Huldigung nach Königsberg glich einem Triumphzuge und gab Beiden vielfach Gelegenheit, durch ihre Güte, Freundlichkeit und Menschlichkeit das Herz des Volkes zu gewinnen. Auf ihrem Wege nach dort wurde Louise in einer kleinen Stadt Pommerns von neunzehn Mädchen in weißen Kleidern begrüßt, welche vor ihrem Wagen Blumen spendeten. Als die Königin in ihrer herzlichen Weise mit den Kindern sprach, erzählten ihr dieselben im Vertrauen, daß sie ursprünglich zwanzig gewesen, aber die Eine nach Hause geschickt worden wäre, weil sie gar zu häßlich ausgesehen habe. „Ach, das arme Kind,“ rief die mitleidige Königin, „hat sich gewiß auf meine Ankunft gefreut, und nun muß es zu Hause sitzen und wird bittere Thränen weinen!“ Zugleich gab sie Befehl, die betrübte Kleine zu holen. Louise beschenkte sie reich vor den anderen Kindern, um sie wegen der erlittenen Zurücksetzung zu entschädigen.

In ähnlich humaner Weise benahm sie sich gegen eine Frau, welche bei einem glänzenden Militair-Kirchenfeste zu spät kam und, da sie in der überfüllten Kirche keinen Platz fand, zufällig in die königliche Loge gerieth, wo sie auf die freundliche Einladung[WS 1] einer Hofdame sich niederließ. Nach beendigtem Gottesdienst[WS 1] wurde die unschuldige Frau von dem Ober-Ceremonienmeister so hart angefahren, als ob sie eine schwere Majestätsbeleidigung begangen hätte. In ihrer Herzensangst wandte sie sich weinend und tief betrübt an den Bischof Eylert, weil es scheinen könnte, als habe sie die der geliebten Königin schuldige Ehrfurcht verletzt. Unterdeß hatte diese den Vorfall bereits erfahren und sogleich den Bischof rufen lassen. „Aber ich bitte Sie um Himmelswillen,“ empfing sie ihn, „was ist in Ihrer Kirche geschehen? Soeben habe ich mit Unwillen gehört, wie eine würdige Frau Ihrer Gemeinde gekränkt worden ist. Warum? Sollte man es glauben – darum weil sie in meiner Loge während des Gottesdienstes Platz genommen hat. Man weiß, wie der König und ich über das Hof-Ceremoniell denken. Ganz läßt es sich nicht beseitigen, aber man sollte doch einen Unterschied machen. Und das nun vollends in der Kirche! Ich bin trostlos darüber, wiewohl nicht schuld daran – bitte, machen Sie es wieder gut! Essen Sie diesen Mittag bei mir und bringen Sie mir die Versicherung, daß die würdige Frau wieder zufrieden gestellt ist! Morgen aber kommen Sie mit ihr selber! Ich werde mich freuen, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.“

Wo die Königin erschien, in Preußen, Schlesien und Westphalen, wurde sie mit Begeisterung empfangen, mit Liebe begrüßt und fast wie eine Heilige verehrt. Aber die glänzenden Feste des Adels, die Huldigungen der Stände und die rauschenden Vergnügungen der vornehmen Welt erfreuten und befriedigten sie weniger als die schlichte Liebe ihres Volkes, die Thränen in den Augen der Armen, welche sie als ihre Wohlthäterin priesen. Nach all den Zerstreuungen, Bällen und Aufzügen fühlte sie sich wieder am glücklichsten in ihrer Häuslichkeit, bei ihren Kindern im kronprinzlichen Palais unter den Linden, das auch Friedrich Wilhelm der Dritte bis zu seinem Tode bewohnte. Hier lebte sie ausschließlich ihrem Gatten und ihrer Familie als eine echte deutsche Hausfrau in treuer Erfüllung aller Pflichten, mit der Erziehung ihrer Kinder und mit ihrer eigenen Bildung beschäftigt. Von frühester Jugend an interessirte sie sich für Kunst, Wissenschaft und Literatur. Die deutschen Dichter Herder, Goethe und Schiller waren ihre Lieblingsschriftsteller, besonders der Letztere, den sie so gern in ihre Nähe gezogen hätte. Außerdem las sie die griechischen Tragiker in Uebersetzungen, die Dramen Shakespeare’s, Gibbon’s römische Geschichte und die besten französischen Memoiren.

Dieses schöne, friedliche Dasein sollte jedoch nur zu bald sein Ende finden. Immer mehr verfinsterte sich der politische Horizont; immer ernster und drohender gestaltete sich die Lage des Staates; immer näher rückte das unvermeidliche Verderben. Napoleon, das Genie des Jahrhunderts, hatte in Frankreich die Revolution bezwungen, durch eine Reihe glücklicher Kämpfe die Gegner der sogenannten Republik besiegt, das alte Staatensystem tief erschüttert, Oesterreich in Italien niedergeworfen, Rußland geschlagen, das verrottete deutsche Reich zertrümmert, sich zum Schiedsrichter Europas aufgeschwungen und die Kaiserkrone auf sein mit Lorbeeren geschmücktes Haupt gesetzt.

In diesem Weltkampfe war Preußen seit dem Baseler Frieden neutral geblieben, da Friedrich Wilhelm der Dritte, von seiner Friedensliebe verführt und von Mißtrauen gegen sich selbst erfüllt, die mit Recht vielfach angegriffene Politik der freien Hand verfolgte. Mehrfach aufgefordert, einer neuen Coalition gegen den ehrgeizigen Eroberer beizutreten, schwankte er unentschlossen hin und her, obgleich die Verhältnisse zu einem entschiedenen Handeln und schnellem Entschlusse drängten und jede Zögerung die Gefahr nur noch steigerte. An seiner eigenen Begabung zweifelnd, überließ er die Entscheidung seinen meist unfähigen und uneinigen Räthen und Ministern. Während der charakterlose Haugwitz sich zu Frankreich hinneigte, Hardenberg sich für England und Rußland erklärte, die Kriegspartei am Hofe, an deren Spitze Prinz Louis Ferdinand stand, mit wildem Ungestüm den Kampf gegen Napoleon forderte, verharrte der König in seiner unglücklichen Neutralität, unfähig, unter solchen Umständen einen kühnen Schritt zu thun.

Erst der Besuch des Kaisers Alexander von Rußland und des Erzherzogs Anton von Oesterreich, die sich nach Berlin begeben hatten, um ihn zur Theilnahme an dem bevorstehenden Kriege zu bewegen, ließ ihn einen Vertrag abschließen, worin er sich erbot, zunächst den Frieden mit Frankreich zu vermitteln und für den Fall, daß Napoleon die Vorschläge Preußens zurückweisen sollte, der Coalition beizutreten und am 15. December den Krieg an Frankreich zu erklären. Zufrieden mit diesem Abkommen, äußerte der Kaiser Alexander am Abend seiner Abreise über Tisch, daß er gern die Gruft Friedrich’s des Großen gesehen hätte, um dem todten Helden seine Ehrfurcht zu bezeugen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b in Vorlage nicht lesbar, von Google-USA* übernommen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_026.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)