Seite:Die Gartenlaube (1876) 004.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ohne alle äußere Veranlassung eingetreten; es muß eine heftige Erschütterung eingewirkt haben –“

„Daß ich nicht wüßte – ich versichere Dir, nein!“ sagte der Commerzienrath, ziemlich fest dem ausdrucksvollen Blick des Arztes begegnend. „Uebrigens, was soll dieser Inquisitorenblick? Ich sehe nicht ein, weshalb ich es Dir verheimlichen sollte, wenn der Kranke wirklich in einem Fieberanfall aus dem Bette gesprungen wäre.“ Er bliebe unbeirrt auf dem Wege, den er eingeschlagen. Fast wollte es ihm die Kehle zusammenschnüren bei seinen letzten Worten. Um den äußeren Ehrenschein zu retten, gab er die wahre innere Ehre hin – er leugnete mit eherner Stirne, aber er war ja auch in Wirklichkeit ohne alle Schuld; er war der an Leben und Gesundheit Schwerbedrohte gewesen. Nicht ein einziges Motiv lag nahe, welches das Bekennen des wahren Sachverhaltes zur Gewissenspflicht gemacht hätte.

Der Arzt wandte sich schweigend von ihm ab. Unter seinen Bemühungen schlug zwar der Schloßmüller die Augen wieder auf, aber er stierte mit wirrem, erloschenem Blick in’s Leere, und der Versuch, zu sprechen, erstarb in einem schwachen Gurgeln und Lallen.

Mehrere Stunden später verließ der Commerzienrath Römer die Schloßmühle – es war Alles vorüber. Ueber die Thüren des Sterbezimmers und des Alkovens spannten sich bereits breite Papierstreifen. Der Commerzienrath hatte sofort nach dem letzten Athemzuge des Schloßmüllers bei den Gerichten Anzeige gemacht und als vorsichtiger und gewissenhafter Mann vor seinen Augen versiegeln lassen.




2.


Er schritt jetzt durch den Park nach Hause. Die Lichter der Mühle, die noch eine kleine Strecke weit einen schwachen Schein auf seinen Weg herausgeworfen, verschwanden hinter ihm; er wandelte nun allein mit sich selbst in tiefster Finsterniß, und nicht der scharfe Windhauch, der ihn anblies, nicht die vereinzelten Schneeflocken, die wie flatterndes Nachtgevögel eisigkalt an seiner Wange niederstrichen, nein, seine aufgeregten Gedanken und die Erinnerung an den Anblick, den er stundenlang hatte ertragen müssen, sie waren es, die einen Schüttelfrost durch seine Glieder jagten. Auf demselben Wege, dessen Kieselgeröll jetzt mißtönend unter seinen Füßen rasselte, war er heute Nachmittag gekommen, eben aufgestanden vom reichbesetzten Mittagstisch, sorglos, seinen vielberufenen Glücksstern über sich wähnend – und nun, nach wenigen Stunden, wollte es fast scheinen, als trage er Mitschuld am Tode eines Menschen, er, der Commerzienrath Römer, der um seiner empfindlichen Nerven willen nicht einmal ein Thier leiden sehen mochte! Bah, das war der Neid der Götter, der kein ungetrübtes Menschenloos duldet, der dem Glücklichen gern Steine auf die glatte Bahn wirft, und welcher jetzt auch bemüht war, ihm einen Nagel in das Gewissen zu drücken; der heitere Lebensgenuß sollte ihm vergällt werden – mit nichten! Ihn traf nur ein Vorwurf, der des Verschweigens, aber wem schadete er denn damit? Niemand, Niemand auf Gottes weiter Erde! Basta – er war mit sich fertig. Eben bog er in die breite Lindenallee ein, welche direct auf die Villa zulief. Ströme silberweißen Lichtes flossen durch Fenster und Glasthüren des unteren Balkonzimmers. Von dort her griff das üppige Leben voll Genuß mit weißen, schwellenden Armen nach ihm und zog ihn an sich aus Nachtdunkel und innerer Bedrängniß. Er athmete befreit auf; er warf die schlimmen Eindrücke der letzten Stunden weit hinter sich und ließ sie gleichsam verfließen mit dem Rauschen des Mühlwassers, das in der Ferne allmählich erstarb.

In dem Salon dort, am Thee- und Whisttische der verwittweten Frau Präsidentin Urach, hatte sich eine zahlreiche Abendgesellschaft eingefunden. Die sehr tiefgehenden mächtigen Glasscheiben und das klar durchsichtige Bronzegeflecht des niedrigen Balkongeländers gestatteten einen vollkommenen Einblick in den Salon. Seine farbenglänzenden Wandgemälde, die faltenschweren Thürbehänge von veilchenblauem Sammet, der schwebende Kettenleuchter von Goldbronze, den die mit dem Silberlichte des Gases gefüllten Milchglaskugeln wie riesige Perlen umkreisten, ließen ihn feenhaft, aber auch herausfordernd wie eine Schaubühne aus dem intensiven Dunkel des Winterabends treten. … Ein Windstoß pfiff durch die Allee und schüttete ein Gemisch von Schneeflocken und dürren Lindenblättern wie toll über den Balkon her; die vornehme Ruhe hinter den Scheiben ließ sich nicht alteriren durch den groben Gesellen; nicht einmal das luftige Gewebe der Spitzengardinen bewegte sich – höchstens, daß der Feuerkern im Eckkamin unter seinem grimmigen Athem für einen Moment höher aufglühte.

Und der immer rascher daherschreitende Mann draußen überblickte mit einer Art von innerlich zitterndem Wonnegefühl die Gruppen der Versammelten – nicht daß blonde und dunkle Locken, weiche, schlanke Frauen- und Mädchengestalten sein Auge entzückt hätten, die Frühlingsgenieen des Deckengemäldes streckten vielmehr ihre mit Anemonen und Maiblumen gefüllten Händchen über Matronenhäubchen, über gebleichte Scheitel und Glatzköpfe hin – aber welche Namen waren da vertreten! Officiere von hohem Range, pensionirte Hofdamen und Herren vom Ministerium saßen an den Spieltischen, oder umsaßen, ihren steifen Rücken in den blauen Sammet der Lehnstühle gedrückt, plaudernd den wärmenden Kamin. Auch der alte, hochmüthige Medicinalrath von Bär war da. Beim Auswerfen der Karten zuckten Blitze von seinen kostbaren Brillantringen, lauter Geschenken fürstlicher Personen. Und alle diese Leute waren in seinem Hause, im Hause des Commerzienrath Römer; der rubinfunkelnde Wein in den Gläsern war aus seinem Keller, und die frischen, duftenden Erdbeeren, welche die betreßten Diener in großen Krystallschalen eben herumreichten, hatte er bezahlt. Die Frau Präsidentin Urach war die Großmama seiner verstorbenen Frau; sie machte mit unumschränkter Macht über seine Casse die Honneurs im Hause des Wittwers.


(Fortsetzung folgt.)




Louise.


Zur hundertjährigen Geburtstagsfeier der Mutter unseres Kaisers.


Am zehnten März dieses Jahres feiern wir den hundertjährigen Geburtstag von Preußens Königin Louise. Nicht durch männlichen Geist, durch Willenskraft und Herrschertalent, wie eine Elisabeth von England, eine Christine von Schweden und Katharina von Rußland, strahlt ihr Bild in der Geschichte, sondern durch echt weibliche Tugenden, durch Sittenreinheit, selbstlose Liebe und hingebende Treue hat diese echt deutsche Fürstin sich einen unsterblichen Namen erworben, als die edelste der Frauen und Mütter, als der gute Genius ihres hohen Hauses, der Schutzgeist ihres Volkes.

Da wir wohl voraussetzen dürfen, daß unsere Leser mit den bereits vorhandenen Biographien der gefeierten Königin durchweg vertraut sind, so wollen wir auf diesem Gedenkblatte nur einige weniger bekannt gewordene Herzenszüge der hohen Frau zur Vervollständigung des Charakterbildes derselben verzeichnen.

Als sechstes Kind des Herzogs Karl Friedrich von Mecklenburg zu Hannover geboren, verlor sie frühzeitig ihre Mutter, weshalb sie an dem Hofe ihrer würdigen Großmutter von mütterlicher Seite, der Landgräfin von Hessen-Darmstadt, erzogen wurde. In einem Alter von siebenzehn Jahren lernte sie bei einem Besuche in Frankfurt am Main den damaligen Kronprinzen von Preußen, den nachmaligen König Friedrich Wilhelm den Dritten, kennen. Ihre Schönheit, Anmuth und Liebenswürdigkeit machten den tiefsten Eindruck auf den jungen Fürstensohn. Noch im späteren Alter gedachte der um ihren Verlust trauernde Gatte dieser ersten Begegnung mit folgenden charakteristischen Worten: „Habe mal über diese wunderbare, wechselseitige Sympathie, in welcher verwandte Herzen sich gleich beim ersten Anblicke begegnen und finden, etwas sehr Schönes in Schiller’s Schriften gelesen, wo

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_004.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2024)