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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

unverzüglich bückte er sich, um das Geld aufzulesen. In diesem Moment warf sich ein schwerer, massiger Körper von rückwärts über ihn her, und harte, grobe Finger würgten ihn am Halse.

„Hallunke, Spitzbube! Ich bin noch nicht todt,“ zischte der Schloßmüller mit seltsam erloschener Stimme. Ein momentanes Ringen erfolgte; der schlanke junge Mann mußte alle seine Kraft und Elasticität aufbieten, um den Alten abzuschütteln, der wie ein Panther auf ihm hockte, ihm die Kehle so furchtbar zusammenschnürend, daß ein feuriger Funkenregen vor seinen Augen aufstiebte – ein angstvoller Griff seiner eigenen beiden Hände, dann ein gewaltsamer Ruck und Stoß, und er stand befreit auf seinen Füßen, während der Schloßmüller an die Wand taumelte.

„Sind Sie toll, Papa?“ keuchte er empört und athemlos. „Welche bodenlose Gemeinheit“ – er verstummte entsetzt; der Verband unter dem erbleichenden Gesicht des Kranken erschien plötzlich scharlachroth, und diese entsetzliche Farbe kroch sickernd, mit unglaublicher Schnelligkeit auch als breites Band über die weiße Bettjacke – da war die Blutung, die um jeden Preis verhindert werden sollte.

Der Commerzienrath fühlte seine Zähne wie im Fieber zusammenschlagen. War er schuld an diesem Unglück? „Nein, nein,“ sagte er sich erleichtert und umschlang den Kranken, um ihn für’s Erste nach dem Bett zu schaffen, aber der Alte stieß erbittert nach ihm und zeigte schweigend auf die verstreuten Goldstücke; sie mußten Stück um Stück aufgelesen und an Ort und Stelle zurückgelegt werden; die furchtbare Gefahr, in der er schwebte, ahnte er entweder nicht oder er vergaß sie über der Angst um sein Gold. Erst, nachdem der Commerzienrath vor seinen Augen den Schrank verschlossen und den Schlüssel in seine Hand gedrückt hatte, wankte er in die Stube zurück und sank taumelnd auf sein Lager, und als endlich zwei Müllerburschen und Jungfer Suse auf das wiederholte Hülferufen des Commerzienrathes herbeistürzten, da lag der Schloßmüller bereits lang hingestreckt und stierte mit gläsernen Augen wie entgeistert auf seine Brust, die der unaufhaltsam entfließende Lebensstrom immer breiter mit Purpur bedeckte.

Die Burschen eilten nach der Stadt, um Doctor Bruck zu suchen, während die Haushälterin Wasser und Leinen herbeischleppte – vergebliche Mühe! Es half nichts, daß der Commerzienrath angstvoll Tuch um Tuch auf die Wunde preßte, um den Quell zu verstopfen; der ließ sich nicht wieder zurückleiten. Es blieb kein Zweifel: die Schlagader war zerrissen. Wie war das gekommen? Trug die wahnsinnige innere und äußere Aufregung des alten Mannes allein die Schuld, oder – der Herzschlag stockte ihm – hatte er bei seiner verzweifelten Abwehr die Schnittwunde am Halse des Wüthenden gepackt und tödtlich erweitert? Für einen solchen Moment gab es kein Erinnern; wie kann Einer wissen, ob er die Schulter oder den Hals eines heimtückischen Angreifers faßt, wenn ihm der Erstickungstod droht und das gewaltsam nach dem Gehirne gedrängte Blut Feuerräder vor seinen Augen kreisen läßt! Aber wozu auch eine so gräßliche Möglichkeit aufstellen? Hatten nicht der Sprung aus dem Bette, die innere kochende Wuth vollkommen genügt, das Unglück herbeizuführen, das ja der Arzt selbst schon von einer einzigen allzu heftigen Bewegung abhängig gemacht? Nein, nein, sein Gewissen war rein und unbelastet; er konnte sich nicht den geringsten Vorwurf machen, auch was die Grundursache dieses grauenhaften Vorfalles betraf. Er war an den Schrank getreten, einzig und allein aus Besorgniß für das Eigenthum des alten Mannes; nicht einmal der Wunsch, diese Schätze zu besitzen, war ihm in jenem flüchtigen Momente gekommen – das wußte er genau. Was konnte er für die gemeinen Gesinnungen des erbärmlichen Kornwucherers, der bei Jedem, auch dem anerkannt respectabelsten Manne, räuberische Gelüste voraussetzte? An die Stelle der Angst und des Entsetzens trat jetzt der Ingrimm. Das hatte er von seiner Liebenswürdigkeit, von jener Höflichkeit des Herzens, die seine Bekannten an ihm rühmten; sie hatte ihn wie schon so oft, hingerissen, Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die ihn in Unannehmlichkeiten verwickelten. Wäre er doch zu Hause geblieben, zu Hause in seinem köstlich behaglichen Salon, am Whisttisch in unverkümmerter Gemüthsruhe seine Cigarre rauchend! Sein böser Dämon mußte ihm zugeflüstert haben, die Rolle des aufopfernden Pflegers zu spielen; nun stand er inmitten der haarsträubendsten Situation, und seine vor Ekel und Grauen immer wieder zurückschreckenden Hände netzten sich mit dem Blute des Elenden, der ihn eben um ein Haar erwürgt hätte.

Wie bleiern träge Minute um Minute hinschlich! Jetzt war sich der Schloßmüller augenscheinlich bewußt, in welche Gefahr er sich gebracht hatte; er rührte sich nicht, und nur seine Augen richteten sich in angstvoller Spannung auf die Thür, wenn draußen auf dem Vorsaale Schritte erklangen; er hoffte auf Rettung durch den Arzt, während der Commerzienrath schaudernd die Veränderung in seinem Gesichte verfolgte. So aschfarben malt nur die Hand des Todes.

Jungfer Suse hatte die Lampe hereingebracht; sie war wiederholt vor das Thor gelaufen, um nach Doctor Bruck auszuschauen, und nun stand sie zu Häupten des Bettes und schüttelte sich stumm vor Entsetzen bei dem Anblicke, den das weiße Lampenlicht schreckhaft hervortreten ließ. Wenige Minuten darauf sanken die Augen des Schloßmüllers zu, und der Schlüssel, den er bis dahin krampfhaft festgehalten, fiel auf die Bettdecke; eine Ohnmacht trat ein. Unwillkürlich griff der Commerzienrath nach dem Schlüssel, um ihn wegzulegen, aber in den Moment, wo er das verhängnißvolle Stückchen Eisen mit den Fingern berührte, kam ihm ein Gedanke, der ihn traf, wie ein unvermutheter Schlag: welche Physiognomie erhielt wohl der unglückselige Vorfall in den Augen der Welt? Er kannte es nur zu gut, das zischelnde, flüsternde Weib, die Lästersucht; sie schlich ja auch durch seine Salons, und das starke Geschlecht am Spieltische amüsirte sich genau mit demselben Behagen bei ihren versteckten, boshaften Fingerzeigen, ihrem zweideutigen Lächeln, wie die theetrinkenden Damen. Und wenn nur ein Einziger achselzuckend mit bedenklichem Augenzwinkern sagte: „Ei, was hatte denn auch der Commerzienrath Römer im Geldschranke des Schloßmüllers zu suchen?“ so genügte das, um sein Blut sieden zu machen. Es blieb aber nicht bei diesem Einzigen; er hatte Feinde und Widersacher genug, wie Alle, die das Glück bevorzugt; er wußte, daß man sich morgen in der Stadt erzählen werde, die Operation sei gelungen gewesen, aber die Aufregung darüber, daß der Pfleger heimlich über seinen Geldschrank gegangen, habe eine Verblutung des Patienten herbeigeführt. Und da war ein schmutziges Mal auf dem Namen des beneideten Römer, das selbst keine gerichtliche Untersuchung wegwaschen konnte; wo waren denn die entlastenden Zeugen? Etwa seine bisher anerkannte Ehrenhaftigkeit? Er lachte bitter in sich hinein, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Niemand wußte besser als er, daß sich die Mitwelt in nichts rascher findet, als eine anerkannte Ehrenhaftigkeit für Schein zu halten, sobald der Schein gegen sie auftritt. Er bückte sich über den Ohnmächtigen, dem Jungfer Susanne die Schläfe mit Essenzen wusch, und beobachtete ihn plötzlich mit verändertem Blicke; wenn dieser Mann da nicht selbst so viel Kraft wieder erlangte, um den Vorgang zu erzählen, dann wurde das Ereigniß mit ihm begraben – über die Lippen des Anderen kam kein Wort.

Endlich schlugen draußen die Hofhunde an, und rasche Schritte kamen über das Steinpflaster und die Treppe herauf. Doctor Bruck blieb einen Moment wie versteinert in der Stubenthüre stehen, dann legte er schweigend seinen Hut auf den Tisch und trat an das Bett. Welche athemlose Stille bei einem solchen Erscheinen! Sie breitet gleichsam die Schwingen aus, um feierlich den Ausspruch über Leben und Tod zu empfangen.

„Wenn er doch nur erst wieder zu sich käme, Herr Doctor!“ flüsterte endlich die Haushälterin beklommen.

„Das wird er schwerlich,“ versetzte Doctor Bruck von seiner Untersuchung aufblickend – jede Spur von Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. „Mäßigen Sie sich!“ gebot er ernst, als Jungfer Suse in ein Klagelied ausbrechen wollte.„Sagen Sie mir lieber, weshalb der Kranke das Bett verlassen hat!“ Er hatte die Lampe vom Tisch genommen und beleuchtete den Fußboden – die Dielen vor dem Bette waren mit Blut bespritzt.

„Das rührt von den vollgesogenen Tüchern her,“ erklärte der Commerzienrath mit blassem Gesicht, aber großer Bestimmtheit, während die Haushälterin heilig und theuer versicherte, daß der Schloßmüller bei ihrem Wiedereintreten noch genau so im Bett gelegen, wie es der Herr Doctor angeordnet habe.

Doctor Bruck schüttelte den Kopf. „Die Blutung ist nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_003.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2018)