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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Neben Kahle sind es Döring und die Frieb-Blumauer, welche in hervorragendem Grade die Gunst der Studentenloge genießen. Doch bei ihnen haben die Studenten mit keiner Opposition zu kämpfen, wie dies bei Kahle der Fall ist. Dieses Veteranenpaar der Hofbühne besitzt die ungetheilte Neigung des gesammten Berliner Publicums, das sich von den aristokratischen Logen bis zum höchsten Gipfel des Olymps beeifert, seinen innigsten Beifall zu zeigen. Hauptsächlich glänzen beide Künstler in den harmlosen Lustspielen von Benedix; doch wem sind nicht außerdem die Musterdarstellungen der Frieb als Amme in „Romeo und Julie“, als Daja im „Nathan“, als Martha im „Faust“, wem nicht Döring’s Nathan, Mephisto und vorzüglich sein Malvolio in „Was ihr wollt“ bekannt?

Ein anderes, in der Studentenloge vielleicht noch geschätzteres Künstlerpaar sind Louise Erhartt und Berndal. Wie die Frieb und Döring die Hauptstützen des heitern Genres sind, so halten die Erhartt und Berndal durchaus das classische Drama aufrecht. Und weil sie gerade die Repräsentanten unserer erhabensten Dichtungen sind, die ohne sie sicher mehr und mehr aus dem einfachschönen Hause am Schillerplatze verdrängt würden, erfreuen sie sich auch des ungetheiltesten Beifalls der Studentenschaft. Einer von diesen beiden in der Geschichte des Berliner Hoftheaters so strahlenden Namen auf dem Theaterzettel genügt schon, um ein oben geschildertes Gedränge zu bewirken; sind Beide in irgend einem classischen Stücke beschäftigt, so ereignet es sich wohl, daß, wie jüngst bei einer Vorstellung des Don Carlos (30. October), vierzig Studenten, ohne ein Billet erhalten zu haben, davon ziehen müssen. Ein classisches Drama, ausgenommen die des großen Briten, die wiederum ungewöhnlich oft vorgeführt werden, ist eben nachgerade eine Seltenheit im Vergleich zu der ungemein häufigen Aufführung von Stücken, die für die Literatur nichts als kurzlebende Eintagsfliegen sind. Don Carlos hat bisher immer noch seinen Platz im Repertoire zu behaupten gewußt, und es ist immerhin dankend anzuerkennen, daß die Generalintendanz des Hoftheaters nicht dem herrschenden Geschmacke derart Rechnung trägt, daß sie das classische Genre gänzlich verabschiedet. Diese trostlose Oede bei classischen Dramen ist unbeschreiblich; während „Mamsell Angot“, „Die Fledermaus“, „Mein Leopold“ und die „Sieben Raben“ das Publicum zu Schaaren in die Räume der Friedrich-Wilhelmstädtischen, Wallner- und Victoriabühne ziehen, zeigt die Clavigofeier ein kaum zur Hälfte besetztes Parquet, der aristokratischen Logen und des ersten Ranges gar nicht zu gedenken. Als decorative Verzierung sind die drei bis vier von Cadetten besetzten Parquetbänke zu erwähnen, deren Insassen sehnsüchtig zum ersten Rang hinaufblicken und sich die holden Stunden im Geiste ausmalen mögen, da sie nicht mehr auf das plebejische Parquet commandirt, sondern ihnen artige Freibillets zum ersten Rang zugeschickt werden.

Bedauernswerthe, schnürbrust-verzierte Söhne des Mars, während euch die behaglich gepolsterten Parquetplätze, auf denen ihr so erbaulich die euch ewig fremden Räume des Schillertempels anschauen könnt, für eure hohe militärische Würde ungeziemend erscheinen, sitzen hinter euch, weit hinter euch, im entlegensten Eckchen, siebenundvierzig Jünger des Apoll, eines weit edlern Gottes, als euer menschenvertilgender Ares es ist, und schwitzen in dem engen Raum wie die Bratäpfel; während ihr gelangweilt – denn die schöne Helena und Ritter Blaubart sind euch capabler – die heiligen Klagen Tasso’s oder Iphigeniens anhören müßt, pochen hinter euch die Herzen der hellenisch gebildeten Jünglinge und in Manches Brust befestigt sich der Entschluß: Du mußt Aehnliches zu vollbringen versuchen.

Erhebend ist es, daß bei der immer mehr und mehr durchgreifenden Apathie der Berliner gegen das classische Drama die Studentenloge fort und fort das regste Interesse dafür zeigt. Freilich ist in den letzten Jahren manches edle Meisterwerk unserer Dichterheroen vom Repertoire geschwunden, und die Reihen der Darsteller classischer Rollen sind sehr empfindlich gelichtet worden. So Frau Jachmann-Wagner und Robert! Welchem altern Studenten – die der jüngern Semester kennen diese Namen wohl nur vom Hörensagen – treten nicht jene Abende vor die Seele, da Fr. Jachmann-Wagner die Iphigenie, die Mutter der feindlichen Brüder, die jungfräuliche Königin und die Antigone, Robert den Max, Mortimer, Romeo oder Don Carlos darstellte! Beide verließen fast zu gleicher Zeit die Berliner Hofbühne, Johanna Wagner gewiß schmerzlich bewegt von einem Publicum scheidend, von dem sie sich so geschätzt wußte, Emerich Robert aus unbekannten, vielleicht unmotivirten Gründen grollend, um unter Laube’s Aegide ein neues Feld für seine seltene Begabung zu gewinnen. Beide werden in Berlin wohl niemals ersetzt werden, und die Parterreloge war sich wohl bewußt, welchem Verlust die Hofbühne entgegen ging, denn die Abende, an denen die Jachmann und Robert zum letzten Male vor das Publicum traten, gehören zu den stürmischsten, die der Verfasser dieser Zeilen erlebt.

Die kleine Parterreloge im äußersten Winkel des Schauspielhauses hat übrigens auch ihre Stammgäste, und die Inhaber der hintersten Parquetplätze wissen manche Geschichte davon zu erzählen. Augenblicklich sind mir und wohl Jedem, der das Hoftheater häufiger besucht, drei Studenten bekannt, welche kaum etwas Anderes als das Theater studiren. Sie lesen jede bedeutende Zeitung Berlins und Wiens, das heißt sie haschen nach den Theaternachrichten, die darin enthalten sind. Wenn irgend ein neues Stück gegeben, oder in irgend einem Repertoirestück eine Veränderung in der Besetzung vorgenommen wird, trifft man sie sicher im Theater. Da sitzen denn die drei theaterstudirenden Söhne der Universität womöglich auf den drei ersten Sitzplätzen des Parterreraumes, die sie sich des Morgens nach langem Harren und mit vielen Rippenstößen sauer erkauft haben, und entwickeln in der Unterhaltung eine Kenntniß der gesammten Theaterverhältnisse, die überraschend ist. Ganz genau kennen sie natürlich jeden Stammgast des Schauspielhauses und wissen auf das Genaueste und Bestimmteste anzugeben, wo Frenzel, Remy, Schmidt-Cabanis, Glaßbrenner, Fontane, Gumbinner, Lindau und all die anderen kritischen Größen Spree-Athens ihren Platz haben. Besonders ereignißvoll ist für sie natürlich ein Novitätenabend. Der Dichter des Stückes kann nicht gespannter sein als die drei Insassen der Loge.

Und wie streng kritisch verfahren sie; ihr Beifall ist durchdringend, denn sie klatschen im Tempo, ihr abweisendes Zischen verhängnißvoll. Rosen’s „Schwere Zeiten“ wurden im jüngsten Frühjahre wohl nicht zum Mindesten von ihnen und ihrem Anhange, denn sie scheinen in der Parterreloge die Hegemonie zu besitzen, mit Donnergepolter zu Grabe getragen und die Iphigenie der Erhartt jeder Kritik zum Trotz mit unzähligen Hervorrufen belohnt. Nicht selten finden sie jedoch in der eigenen Loge – der fortwährenden Meinungsverschiedenheiten mit dem übrigen Publicum gar nicht zu gedenken – energischen Widerstand. Dann glühen die begeisterten Gesichter der Söhne der Berliner Hochschulen, „Hie Welf, hie Waiblingen!“ schallt es in dem engen Raume, und jede Partei sucht auf die durchdringendste Weise ihre Ansicht geltend zu machen. Ein solcher Kampf fand jüngst bei der ersten Aufführung von Brachvogel’s „Alte Schweden“ statt.

Welche Rolle die Studentenloge bei Aufführung des neuesten Lindau’schen Stückes spielte, und welche Conflicte dadurch zwischen der Intendantur und der Universität hervorgerufen wurden, dürfte den Lesern der Gartenlaube aus den Tagesblättern genügend bekannt sein.




Wilhelm Bauer, der arme Kreuzträger in München, hat zu seinem körperlichen noch das tiefste Seelen-Leid erfahren: sein einziges blühend herangewachsenes Töchterchen Constanze, die dem auf der ganzen rechten Seite seit Jahren völlig gelähmten Vater als Briefschreiberin und dadurch als traute Vermittlerin desselben mit der Außenwelt diente, ist nach wenigen Schmerzenstagen gestorben. Das ist das einzige Merkzeichen, welches im Jahre seines fünfundzwanzigjährigen Erfinder-Jubiläums noch zum Schluß sein hartes Schicksal ihm vergönnte. Wir schicken heute, aus Mangel an Raum, nur diese Notiz einem längeren Artikel voraus, welcher seinen letzten Lebenswunsch, daß seine 1849 begonnenen Erfindungen in ihren Modellen, Zeichnungen und Beschreibungen zum Besten seiner Familie öffentlich angekauft und aufbewahrt werden möchten, eingehender aussprechen soll.




Nicht zu übersehen.


Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal und der zweiundzwanzigste Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen, und machen ihnen zugleich die erfreuliche Mittheilung, daß im neuen Jahrgang folgende Erzählungen veröffentlicht werden:

„Das Capital“ von Levin Schücking,
„Eine namenlose Geschichte“ von E. Marlitt,
„Ein kleines Bild“, Erzählung von Ernst Wichert (Verfasser von „Schuster Lange“) und eine Novelle von Karl Frenzel.


Von den demnächst erscheinenden belehrenden und unterhaltenden Artikeln heben wir vorläufig hervor:

Am Grabe eines Märtyrers. Mit Abbildung. – Eine Künstler-Laufbahn. Mit Abbildung. – Der Wüstenfuchs und das nächtliche Thierleben in der Oase. Von dem Afrikareisenden G. Schweinfurth. Mit Abbildung. – Ein Pionier deutscher Kunst. Von W. Hamm. Mit Abbildung. – Räuber und Wegelagerer im Pflanzenreiche. Von Carus Sterne. Mit Abbildung. – Am Sterbebette eines Kaisers in der Wiener Hofburg. Mit großer Illustration. – Das Urbild der Isolde. Mit Abbildung. – Das deutsche Gaunerthum und seine Gegenspieler. Von Fr. Helbig. – Die Ernährung der Kinder. Von H. v. Liebig (Sohn des Justus v. Liebig). – Theater-Erinnerungen eines Siebzigjährigen. Von Fr. Tietz. – Ein Gang durch die Berliner Stadtvogtei. Von Adolf Rutenberg. etc. etc.




Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Neujahr aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennige erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennige anstatt 1 Mark 60 Pfennige). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_848.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)