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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mauritius-Orkanen; sie schreiten innerhalb der heißen Zone von Nordost nach Südwest fort, biegen aber beim Uebergange in die südliche gemäßigte Zone um und bewegen sich dann in der Richtung gegen Südost.

Die Kenntniß dieses gesetzmäßigen Verhaltens der Wirbelstürme ist für den Seefahrer, der von einem solchen Orkane überrascht wird, von größter Wichtigkeit. Denken wir uns, ein Schiff würde auf der nördlichen Halbkugel in der heißen Zone von einem Wirbelorkane überfallen. Hier schreitet das Centrum des Sturmes von Südost nach Nordwest fort und die Luft wirbelt gleichzeitig von Süd durch Ost und Nord nach West. Das Schiff muß nun suchen aus der Bahn des Orkans zu kommen und jedenfalls vom Centrum desselben möglichst entfernt zu bleiben. Die Richtung, in welcher dieses letztere zu suchen ist, bestimmt sich leicht aus der Regel, daß, wenn man dem Winde den Rücken zukehrt, das Sturmcentrum sich auf der nördlichen Erdhälfte links, auf der südlichen aber rechts befindet. Wenn in unserem Beispiele der Sturm als Nordost einsetzt und sich durch Ost nach Südost dreht, so befindet sich das Schiff auf der Nordostseite des Wirbels und muß nordostwärts steuern, um aus der Bahn des Orkans zu kommen. Wäre der Wind anfangs nordwestlich und drehte er sich dann durch West nach Südwest, so würde sich das Schiff auf der südwestlichen Seite des Sturmfeldes befinden und müßte nach Südwest steuern, um dem Bereiche der wirbelnden Luft zu entgehen.

Daß ein Schiff, welches der Gewalt eines Kreiselorkans überlassen ist, von diesem in gewaltigen Bogen im Kreise herumgeführt wird, hat unter Anderen die Brigg „Charles Heddle“ erfahren. Sie wurde am 22. Februar 1845 etwa zweihundertzehn Seemeilen nördlich von Mauritius im Indischen Oceane von einem Cyklon erfaßt und nach Verlust ihrer Segel von dem Orkane bis zum 27. Februar fünf Mal um das Sturmcentrum herumgeführt, ähnlich wie eine Motte das Licht umkreist. Sieht man sich auf einer Karte den Weg, welchen das Schiff beschrieb, genauer an, so erkennt man, daß die Kreise, welche dasselbe um das Sturmcentrum beschrieb, immer kleiner wurden, daß also die wirbelnde Luft eigentlich eine spiralförmige Bewegung besitzt. Von außen strömt ununterbrochen Luft gegen das luftdünne Centrum und steigt hier empor. Professor Reye hat berechnet, daß in dem großen Cuba-Orkane vom 5. bis 7. October 1844 in jeder Secunde mindestens vierhundertzwanzig Millionen Kubikmeter Luft einströmten und in der Nähe des Centrums aufstiegen. Wenn diese feuchten und warmen Luftmassen die höheren, kalten Schichten der Atmosphäre erreichen[WS 1], so verdichtet sich dort ihr unsichtbarer Wasserdampf zu ausgedehntem schwarzem Gewölke, aus dem jene ungeheuren Regenmassen herabstürzen, welche die Wirbelstürme begleiten. Die gewaltige Wolkenmasse zeigt sich schon aus weiter Ferne als schwarzes Wölkchen, von den Seefahrern „Ochsenauge“ genannt, das der Unerfahrene kaum beachtet, das aber das Herz des erfahrenen Schiffers mit Besorgniß erfüllt, denn er weiß, daß dieses Wölkchen, aus sich selbst heraus sich ausdehnend, bald den ganzen Himmel überdecken und den Sturm mitbringen wird.

Werfen wir zum Schlusse noch einen raschen Blick auf die Entstehung der Stürme. Die Wissenschaft hat in dieser Beziehung ihr letztes Wort noch nicht gesprochen, jedoch ist es, wie besonders die Untersuchungen von Professor Reye in Straßburg gezeigt haben, außerordentlich wahrscheinlich, daß die ersten Keime zu den gewaltigen Kreiselorkanen der tropischen Meere in dem Emporsteigen von warmen, feuchten, unteren Luftschichten in größerem Maßstabe zu suchen sind. In einzelnen Fällen mag zuerst die rasche Bildung ausgedehnter Gewitterwolken einen starken aufsteigenden Luftstrom hervorgerufen haben. Daß ein kräftig emporsteigender warmer Luftstrom häufig die Ursache heftiger Wirbelwinde wird, ist längst bewiesen. Bei der Ausrodung der Urwälder in Nordamerika durch Feuer hat man häufig das Entstehen furchtbarer Wirbelstürme beobachtet. Im Sommer 1824 ließ Dr. Cowles an einem absichtlich zur Verhütung weiterer Verbreitung des Feuers gewählten heitern und windstillen Tage eine aufgehäufte Masse trockenen Holzes verbrennen. Flammen und Rauch stiegen in Gestalt eines mächtigen Kegels empor, und bald erhob sich ein gewaltiger Wirbelwind, der große Reisigbündel hoch in die Luft führte und an entfernten Stellen wieder niederfallen ließ. Bei einem ähnlichen Feuer zu Stockbridge im April 1783 erhob sich die Flamme zweihundert Fuß hoch, und gleichzeitig entstand ein Wirbelwind, der umgehauene Bäume von sechs bis acht Zoll Durchmesser vom Boden fortriß und zu vierzig bis fünfzig Fuß emporhob. Olmsted berichtet, daß beim Brande eines von Bäumen besetzten Rohrgebüschs am Ufer des Black-Warrior-Flusses bei Tuscaloosa sich Wirbelwinde von großer Mannigfaltigkeit bildeten, bald trichterartig, mit dem Fuße auf Haufen brennenden Rohres ruhend, bald cylinderförmig mit schraubenförmiger Bewegung, wodurch der schwarze Rauch in Windungen gegen den Gipfel der sichtbaren Säule getrieben wurde.

Diese Beispiele ließen sich leicht noch vermehren, doch genügen sie, um in populärer Form die oben genannte Theorie der Entstehung der Wirbelstürme zu illustriren. Natürlich sind bei dieses Orkanen alle Verhältnisse weitaus großartiger. Es ist bekannt, daß der Wind durch die ihm innewohnende Kraft Arbeit verrichten, z. B. die Flügel einer Windmühle drehen kann. Wenn man diese Arbeit mit derjenigen vergleicht, welche durchschnittlich ein Pferd zu leisten im Stande ist, so erhält man die Arbeitsleistung des Windes oder der strömenden Luft in Pferdekräften, und es ist ohne Weiteres klar, daß umgekehrt genau ebenso viel Pferdekraft erforderlich wäre, um die betreffende Luftmenge in strömende Bewegung zu versetzen.

Nach dieser Vorausschickung wird es Jedem verständlich sein, wenn ich hervorhebe, daß nach der Berechnung von Professor Reye der Cuba-Orkan vom 5. bis 7. October 1844 allein zur Bewegung der einströmendes Luft mindestens eine Arbeit von vierhundertdreiundsiebenzig Millionen Pferdekraft während dreier voller Tage aufwendete. Dieser Aufwand von mechanischer Arbeit ist weit größer, als der aller Windmühlen, Wasserräder, Dampfmaschinen, Menschen- und Thierkräfte der ganzen Erde in der gleichen Zeit.




Blätter und Blüthen.


Heidelbergiana. Wer weiß heute noch in der Neckarstadt von dem Nadler Diehl, von Studenten- und Unsinnsgnaden Hof- und Staatsrath? Wie es ein paar lustige Vögel von Studenten in Heidelberg angefangen haben, den harmlosen Nadler Diehl, der sich mit Anfertigen von kleinen Draht- und Messingwaaren redlich und kümmerlich ernährte, um sein bischen Verstand zu bringen, wird wohl niemals ganz aufgeklärt werden und ich am wenigsten will das etwas rüde Gebahren der Studenten entschuldigen. Einige kurze Lichtblicke in das kurze Glanzleben dieses Märtyrers des akademischen Ulks sollen ihn vor dem gänzlichen Vergessen bewahren.

Zum allgemeinen Jubel der tollen Jugend stolzirte der bisher ärmlich gekleidete Diehl, seines Zeichens Nadler und Junggeselle, plötzlich im flottesten Studentenwichse, in Kanonenstiefeln und rother Mütze, umringt von einigen Haupthähnen des Corps der Schwaben, einher. Bald war er bei einer Spritztour nach Mannheim, bald bei einem Ausritte nach Neckargemünd zu sehen; bald saß er im Café Wachter vor einem Schreibtische und versudelte eine Masse Papier mit dem blühendsten Unsinn, den er Gedichte und Staatsschriften nannte – sogar in einem fingirten Duelle mußte er in der Rose in Neuenheim fechten, das ich, damals Gymnasiast, durch besondere Vergünstigung mit ansehen durfte. In einigen Wochen war der maskirte Student soweit, daß er mit der größten Ernsthaftigkeit ein burleskes Doctor- und Staatsexamen machen konnte, nach welchem ihm ein großes illustrirtes, mit sieben Siegeln versehenes Patent behändigt wurde, als „Hof- und Staatsrath in hessen-darmstädtischen Diensten.“ Sein lithographirtes Bild war in allen Wirthschaften zu sehen und wurde auf Pfeifenköpfen gemalt getragen. – Es war damals, Anfangs der zwanziger Jahre, die schönste Zeit der Reaction und Demagogenriecherei, wo die Mainzer Commission wie eine Spinne auf die kleinste Fliege lauerte, um ihr den Lebenssaft auszusaugen.

Der Minister X. in Darmstadt galt als einer der schärfsten Schnüffler auf der Fährte der Verfolgten. Vor der Wohnung dieses Würdenträgers hielt eines schönen Sommerabends eine dreispännige Equipage; neben dem Kutscher saß ein auffällig galonnirter Diener, etwa siebenzehn Jahre alt, mit impertinentem Blicke und gleicher Haarfarbe; es war der später allgemein bekannte rothe Fischer, der hier in seinem ersten Probespiele auftrat.

Der Diener öffnete den Wagenschlag und half einem etwas ungelenken Herrn heraus, dessen untere Gliedmaßen mit hohen Kniestiefeln und Sporen, dessen Leib mit einem viel zu weiten Schnürrock bekleidet, und auf dessen Haupt ein großer Federhut gestülpt war. Wir erkennen unseren Hof- und Staatsrath, der sein Patent in einer großen Kapsel wie einen Marschallsstab in Händen trug.

Mit größter Ruhe und Kaltblütigkeit fragte er das staunende Gesinde nach dem Minister und trat in das ihm bezeichnete Zimmer, natürlich ganz studentenmäßig, ohne anzuklopfen, den Hut auf dem Kopfe.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_846.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)