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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

fragliche Zeit wendete der König nun seine ganze Aufmerksamkeit zu. Eine Uebersetzung von einem Theaterstücke ließ er eigens unter seiner Oberleitung verfertigen, andere wurden aus den Bibliotheken zusammengesucht, und so erscheint, mit aller Liebe behandelt, nun jene Zeit vor Allem auf den „Brettern“; auch große Galatafeln im Costüme von Louis-Quatorze und schon, jedoch ebenfalls nur vom König allein, abgehalten worden.

Wie man nun auch über diese Verwirklichungen von Phantasieen, welche bei anderen gleichbegabten Menschen stumme Wünsche oder wachende Träume bleiben, denken möge: Jeder, der dem König Ludwig dem Zweiten um seiner vielen trefflichen Eigenschaften und um seiner ungewöhnlichen Begabung willen von Herzen zugethan ist, kann für ihn nur den einen Wunsch hegen, daß Gott ihm recht bald das höchste Glück auf Erden, ein braves Weib und einen redlichen Freund schenke und dadurch ihn aus seiner auf die Länge gewiß unerträglichen Vereinsamung erlöse – zum Heil nicht bloß Ihm, sondern auch Baiern und Deutschland.

Ist es nicht etwa geboten, wegen des Hervorziehens eines solchen Gegenstandes an die Oeffentlichkeit uns zu entschuldigen? Müssen wir einem Manne, der auf den höchsten, dem Menschen in unserem Staatsleben erreichbaren Höhen weilt, nicht das Recht einräumen, als Mensch sein Haus und sein Leben sich frei nach eigener Weise einzurichten? Und wenn Beides von der gewohnten und gewöhnlichen Art der Zeitgenossen abweicht, darf es deshalb schon der öffentliches Besprechung verfallen?

Darüber mögen die Meinungen so verschieden sein, wie die Stellung der Einzelnen auf den Rangstufen der Gesellschaft von der Ebene des Bürgerlebens bis zu den Thronen hinauf. Unsere Meinung darüber ist diese: die Gegenwart hat mit vielen Vorrechten und Vorurtheilen der Vergangenheit gebrochen und namentlich den ehemaligen Abstand zwischen Kronenträger und Unterthan ausgefüllt mit neuen, der Erhabenheit der Stellung entsprechenden Pflichten des ersteren. Geblieben ist aber das höchste Recht der Krone, daß ihr Träger im Leben wie in der Geschichte sein Volk repräsentirt. Tausende von Männern, als Menschen von gleichem und oft von weit höherem Werthe, als der Fürst, verschlingt die Zeit, ihre Spur geht dahin, wenn sie nicht durch eigene Kraft ihren Namen für die Nachwelt retten: der Fürst allein steht von selbst ewig im Lichte der Geschichte. Dieses ungeheure Vorrecht wird nur durch die Pflicht des Fürsten ausgeglichen, daß sein Leben nicht ihm, sondern seinem Volke gehört. Er steht auf der höchsten Höhe, um von Allen gesehen zu werden, und darum hat er nicht die Freiheit des Privatmanns, sich und sein Leben beliebig von seinem Volke abzusondern und vor ihm zu verhüllen. Dieses unbestreitbare Volksrecht auf das Fürstenleben erachten wir als entschuldigend genug für unser Unterfangen, über Dinge zu reden, von denen man seit Jahren nur flüstert und die bisher wohl das Heraustreten an die Oeffentlichkeit nur scheuten, weil sie längst öffentliches Geheimniß sind.

M. v. M.




Sturm


Von Dr. Hermann J. Klein.


Wer erinnerte sich nicht von seiner Jugendzeit her mit Vergnügen jener Seeromane, in welchen neben ritterlichen Piraten und kühnen Strandräubern, die meistens ehedem bessere Tage gesehen hatten, ein tüchtiger Seesturm niemals fehlte? Berghoch schwollen die Wogen an und rissen das Schifflein, welches den Helden der Erzählung trug, bald hoch in die Lüfte empor, bald schleuderten sie es in den Abgrund des Meeres hinab. Dabei rabenschwarze Nacht, die nur von Zeit zu Zeit durch das grelle Licht zuckender Blitze erhellt wird, prasselnder Regen und dumpfes Geheul des Windes. Wahrlich, es ist nicht zu verwundern, daß solche Bilder – und sie entsprechen innerhalb gewisser Grenzen durchaus der Wirklichkeit – auf das jugendliche Gemüth einen unauslöschlichen Eindruck hervorbringen und eine nicht selten schwärmerische Begeisterung für jene Seefahrer erzeugen, die mitten im Gewühl der entfesselten Naturgewalten, kühl bis an’s Herz hinan, ihre Barken weiter steuerten. Dieser persönliche Muth und eine gewisse, im Verlaufe jahrelangen Herumstreifens auf den „fröhlichen Wassern“ erlangte individuelle Erfahrung waren die hauptsächlichsten Requisite eines Seefahrers von ehedem, als noch das Licht der Wissenschaft die Dunkelheit der Sturmnächte nicht durchleuchtet hatte und die Gesetze noch nicht aufgefunden waren, denen die Orkane gehorchen. Heute ist das Alles anders. Neben der persönlichen Erfahrung berücksichtigt der Seefahrer vor allen Dingen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, ja er nimmt für weite Reisen ganz bestimmte Segelanweisungen mit, welche ihm genau vorschreiben, wie er zu steuern hat, um am schnellsten und gefahrlosesten sein Ziel zu erreichen.

Daneben ist die Wissenschaft bemüht, den aus dem Hafen auslaufenden Schiffer vor etwa im Anzuge befindlichem Unwetter zu warnen und die draußen befindlichen Fischerboote zur Heimkehr zu mahnen. Alles dies ist lediglich eine Folge unserer heutigen Kenntnisse vom Wesen und Verlauf der Stürme und der Art und Weise, wie diese sich ankündigen. Die Sturmwarnungen bedürfen dazu noch der Mitwirkung des elektrischen Telegraphen, der, schneller als der Wind, die bedrohten Punkte von dem noch in weiter Entfernung befindlichen Unwetter unterrichtet. – Daß der Wind nichts als ein Strömen oder Fließen, überhaupt eine Bewegung der Luft ist, weiß heute Jedermann; weniger allgemein bekannt dürfte dagegen die Thatsache sein, daß die Heftigkeit des Windes allein von der Geschwindigkeit abhängt, mit welcher sich die Luft bewegt. Beträgt die Luftströmung blos ein oder zwei Fuß in der Secunde, so ist sie dem Gefühle kaum merklich und man spricht von angenehm säuselndem Winde; ist ihre Geschwindigkeit fünfzehn bis sechszehn Fuß in der Secunde, so nennt der Schiffer diesen Wind eine frische Brise; bei dreißig Fuß hat er einen guten Segelwind; bei fünfzig Fuß ist der Wind schon stark; bei siebenzig bis achtzig Fuß hat man bereits Sturm, und bei einer Schnelligkeit von hundertzwanzig bis hundertfünfzig Fuß in der Secunde tobt der wüthendste Orkan. Diese Geschwindigkeiten mögen Manchem gering vorkommen, es würde aber sehr schlimm um unsere Bauwerke aussehen, wenn Luftströmungen von hundertfünfzig Fuß Geschwindigkeit in der Secunde bei uns häufig vorkämen. Ein Orkan von dieser Schnelligkeit drückt nämlich auf die Fläche eines mäßigen Hauses mit einer Kraft von etwa eintausendfünfhundert Centnern, und wenn man bedenkt, daß dieser Druck nicht gleichförmig und andauernd, sondern ungleichmäßig und stoßweise wirkt, so wird man begreifen, daß die stärksten Mauern ihm nicht Stand halten. Dem entspricht die Erfahrung in jenen Gegenden, welche bisweilen von Orkanen heimgesucht werden, vollständig.

Die in Westindien tobenden Stürme, welche die Engländer Hurricanes, die Spanier Tornados nennen, verwüsten bisweilen ganze Ortschaften. Der Orkan vom 10. October 1780 zerstörte im Vereine mit den Wogen des rasendes Meeres die ganze Stadt Saint Pierre auf der Insel Martinique, stürzte in Port Royal die Kathedrale, sieben Kirchen und vierzehnhundert Häuser um und begrub sechszehnhundert Kranke unter den Ruinen des Hospitals. Auf der benachbarten Insel Sanct Lucia zerstörte er die stärksten Gebäude bis auf ihre Fundamente und riß Menschen und Thiere vom Erdboden empor. Die Stadt Kingstown auf Sanct Vincent wurde ganz zerstört. Auf des Leeward-Inseln zog sich, als der Sturm heftiger wurde, die Familie des Gouverneurs in die Mitte des Hauses zurück, welches wegen seiner drei Fuß dicken Mauern hinlänglich Schutz versprach; dennoch brach der Wind durch; man floh in den Keller, aber hier stieg das Wasser vier Fuß hoch; man rettete sich nach der Batterie und suchte unter den Kanonen Schutz, aber einige Zwölfpfünder wurden vierhundertzwanzig Fuß weit fortgetrieben. Als der Tag anbrach, glich die Gegend einer Winterlandschaft – kein Blatt, kein Ast war an den Bäumen zu sehen. So furchtbar aber auch der Sturm auf diesen Inseln gewüthet haben mochte, so waren die Verheerungen, welche er auf offner See an den dort befindlichen Schiffen anrichtete, womöglich noch schrecklicher. Eine französische Flotte von zwei Fregatten und fünfzig Transportschiffen mit fünftausend Mann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_844.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)