Seite:Die Gartenlaube (1874) 822.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

unter sich zu theilen, nicht mehr länger zu bezähmen. Sie schrie laut nach Theilung und der Conquistador mußte sich herbeilassen, der „öffentlichen Meinung“, der „Volksstimme-Gottesstimme“ zu entsprechen. Eine Schar von peruanischen Gold- und Silberschmieden wurden demnach kommandirt, die Werke ihrer Kunst zu zerstören und alles das eingelieferte Geräthe von Edelmetall zu Barren zu schmelzen. Ausgenommen von dieser Einschmelzung wurden nur Gegenstände von hunderttausend Dukaten im Werthe, welche für die Krone Spanien bestimmt waren und welche Pizarro’s Bruder dem Kaiser Karl überbringen sollte. Es waren darunter wirkliche Kunstwerke, besonders schön geformte und zierlichst ciselirte Vasen von reinstem Golde, sowie ein Springbrunnen, der aus silbernem Becken einen funkelnden Goldstrahl in die Höhe trieb und an dessen Rand aus Gold und Silber kunstvoll geformte Vögel spielten. Nach monatelanger, Tag und Nacht währender Schmelzarbeit lag der Schatz, in Barren verwandelt, zur Theilung bereit, an Werth auf 1,326,539 Goldthaler geschätzt, was in Berücksichtigung des weit höheren Goldwerthes von damals nach heutigem Geldwerthe mindestens 4 Millionen Pfund Sterling oder 100 Millionen Franken betragen würde. Da hierzu das Silber noch nicht gerechnet war, so darf wohl behauptet werden, daß eine solche Beute an Barschaft zum zweitenmal nie und nirgends vorgekommen sei. Der Hauptmann der Bande vergaß selbstverständlich bei der Theilung sich keineswegs: er empfing als seinen Antheil 57,222 Pesos de Oro, 2350 Mark Silber und den auf 25,000 Goldthaler geschätzten Goldthron des Inka’s. Die Offiziere erhielten je nach Graden und Dienstleistungen jeder bis zu 30,000 Goldthaler, von den Reitern durchschnittlich jeder 8000 Goldthaler, von den Fußgängern jeder 4000.

Aber sie schrieen nach mehr und verlangten nach Kuzko zu marschiren, weil sie von dem Goldreichthum der Hauptstadt ganz fabelhafte Vorstellungen sich gebildet hatten. Pizarro war um so geneigter, den Marsch auf Kuzko anzutreten, als ihm längst klar geworden, daß nur der Besitz der heiligen Stadt ihm die unbedingte Herrschaft über ganz Peru geben und sichern würde. Aber sollte man den gefangenen Inka mit dorthin schleppen? Was sollte man überhaupt mit dem Entthronten anfangen, der nachgerade ein recht unbequemer Gegenstand geworden war? Zumal Atahuallpa jetzt, nach Leistung seines Lösegeldes, auf die Erfüllung des Vertrages, d. h. auf seine Freilassung drang. Der arme Illusionär! Pizarro hätte nicht sein müssen, der er war, so ihm auch nur im Traume eingefallen wäre, in die Forderung seines Gefangenen zu willigen. Den Inka freilassen? Das hieß ja das ganze Peru-Geschäft wieder in Frage stellen. Nimmermehr! Aber dieser rothhäutige Heide ist doch eine sehr lästige Bürde, die wir nicht länger mit uns herumschleppen können. Zudem, so lange der Inka am Leben, sind tausend Zufälle denkbar, daß er uns entwischte und wir sodann die ganze Eroberungsarbeit wieder von vorn anheben müßten. Summa: Die Todten beißen nicht und kommen nicht wieder.

Nun will aber bekanntlich alles seine Form, seine Farbe und seinen Firniß haben. Das Schlechteste, Böseste, Ruchloseste zumal ist häufig darauf versessen, sich recht anständig herauszuputzen. Kleider machen zwar keine Menschen, aber doch Leute. Laßt uns also, kalkulirten Pizarro und Comp., auf einen anständigen Vorwand sinnen, den Inka in aller Form abzuthun.

„Alles schon dagewesen.“ Wenn die Bonaparte, der vorgebliche Onkel wie der angebliche Neffe, komplottirten, so haben sie, wie jedermann weiß, immer ein erfabeltes, angeblich gegen die Sicherheit des Staates gerichtetes Komplott als eine spanische Wand vor ihr eigenes und wirkliches hingestellt. Diese Kunst praktizirte nun auch schon der Eroberer von Peru. Plötzlich rumorte es demzufolge unter den Spaniern: Wir sind von dem nahen Ausbruche einer großen, von dem gefangenen Inka heimlich angestifteten Verschwörung der Eingeborenen bedroht. Machen wir es kurz mit dem verrätherischen Heiden: zum Tode mit ihm!

Nicht verschwiegen darf werden, daß zur Erregung solchen Argwohns und Hasses gegen Atahuallpa ein Peruaner sehr viel beigetragen hat, das Philippchen, der Dolmetsch, ein boshaftes Kerlchen, welches von seiner Wichtigkeit ungeheuer aufgeblasen war und sich erfrecht hatte, mit einer der Haremsdamen des Inka’s eine Liebschaft anzuspinnen. Als er mit seiner Schönen betroffen und die Sache dem gefangenen Sonnensohne zu Ohren gebracht wurde, empfand es Atahuallpa als einen ungeheuren ihm angethanen Schimpf. Er beschwerte sich bitter bei dem Conquistador und äußerte: „Nach peruanischem Gesetze kann ein solcher Frevel nur durch den Tod des Verbrechers und seiner ganzen Familie gesühnt werden.“ Allein die Spanier sahen dieses Vorkommniß spanisch und nicht peruanisch an. Der Felipillo war ihnen unentbehrlich und außerdem, hm, warum etwas so tragisch nehmen oder gar mit dem Tode bestrafen wollen, was viele unter uns, die wir doch gute Christen sind, ebenfalls gethan haben. … Der ganze Erfolg von Atahuallpa’s Beschwerde war also dieser, daß das unentbehrliche Philippchen aus Rachsucht den Lügenbalg von Verschwörung zu einem Ungeheuer aufblies, welches die Spanier sammt und sonders zu verschlingen drohte.

Wie prächtig sich das machte! Nun konnte man spanischerseits die gekränkte Unschuld, konnte man den Verrathenen, Gefährdeten, Bedrohten spielen, konnte man „von rechtswegen“ gegen den Inka vorgehen, konnte man das schamloseste Possenspiel von Gerichtsprocedur in den anständigsten Formen in Scene gehen lassen.

Und so that man. Die Räuberbande, welche dem Herrn von Peru Thron und Reich gestohlen, sie stahl ihm nun auch noch das Leben. Ein förmlicher Kriminalproceß wurde gegen den unglücklichen Mann angestrengt. Die Anklageakte, ein Meisterstück von Stupidität und Frechheit, brachte zwölf Beschuldigungen vor, unter anderem diese: Der weiland Inka hat ein Harem gehabt, folglich ist er des Ehebruches schuldig; er ist ein notorischer Heide und Götzendiener; er hat auch noch nach der Ankunft der Spanier die Einkünfte des Landes verschwendet. Als Hauptbezichtigungstrumpf wurde schließlich das Verschwörungsphantom ausgespielt. Pizarro und Almagro saßen der Spottgeburt von Tribunal vor, welches den Angeklagten natürlich schuldig fand. Das Urtheil lautete: „Atahuallpa soll auf dem Marktplatze von Kaxamalka lebendig verbrannt werden.“ Ein Priester der „Religion der Liebe“ sagte, damit das i sein Tüpfelchen erhielte, zu diesem grotesken Urtheil Ja und Amen; denn Padre Valverde erklärte ausdrücklich, daß seines Erachtens der Inka „jedenfalls“ den Tod verdient habe. Tröstlich ist es aber, zu hören, daß sich unter allen diesen frommen Barbaren doch etliche Menschen befunden haben; denn einige, freilich nur einige wenige Mitglieder des „Gerichtshofes“ protestirten gegen das Urtheil und verwarfen das ganze Verfahren als unrechtmäßig und gänzlich unzulässig. Natürlich hatte dieser Protest das Schicksal aller Minderheitsproteste. Der einzige wirkliche Gentleman in der Erobererbande, Hernando de Soto, war auf einem Streifzuge abwesend. Er hat nachmals den höchsten Unwillen gegen die Hinmordung Atahuallpa’s geäußert.

Man quälte den verlorenen Mann dann auch noch mit Bekehrungszumuthungen und brachte ihn dazu, sich taufen zu lassen, als er schon auf den Scheiterhaufen geschleppt und an den Todespfahl gebunden war. Man brachte ihn dazu mittels des Versprechens, daß er, so er sich noch im Handumdrehen „bekehrte“, nicht lebendig verbrannt, sondern nur mittels der „Garrote“ erdrosselt und nachmals eingeäschert werden sollte.

Das geschah denn am 29. August von 1533 auf dem Platze von Kaxamalka, und so starb auf Anordnung eines weiland spanischen Schweinehirten der letzte Inka von Peru, der letzte Sonnensohn.

Er ist bei seinem Tode etwa dreißig Jahre alt gewesen, ein Mann von schöner Gestalt, ausdrucksvollen Zügen und gebieterischer Haltung. Die Spanier haben ihn aus begreiflichen Gründen als eine Art Teufel verschrieen. Doch gab es später mehrere, die anerkannten, daß Atahuallpa gescheid, kühn, tapfer, edelherzig und freigebig gewesen sei. Gewiß ist, daß er geliebt worden: nach seiner Ermordung gaben sich mehrere seiner Frauen den Tod, um, wie sie hofften, ihre Seelen mit der ihres geliebten Herrn in der Sonne zu vereinigen.

Am 15. November von 1533 zog der Conquistador in Kuzko ein, und jetzt schien die Eroberung von ganz Peru eine vollendete Thatsache zu sein. In der Hauptstadt machten die Spanier abermals eine ungeheure Beute, so daß bei der Theilung jedem Reiter 6000, jedem Fußgänger 3000 Goldthaler zufielen. Dem Reitersmann Mancio Serra wurde als sein Antheil das große, schön gearbeitete, massiv goldene Bild der Sonne zugetheilt, welches im Korikancha über dem Opferaltar aufgehangen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_822.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)