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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Während eines Curgebrauchs in Stuttgart wurde sie so krank, daß Luise Frankh sie in Betten gehüllt heimholte. So betrat sie am 12. Februar 1802 zum letzten Male die Schwelle des Cleversulzbacher Pfarrhauses, um es nicht eher wieder zu verlassen, als bis man sie hinaustrug, um sie drüben in den stillen Grund zu betten.

Ein einziger Brief ist aus jener Zeit erhalten; er ist an Christophine Reinwald gerichtet und vom 2. April 1802 datirt. Die ruhigste Ergebung in einen höheren Willen spricht sich darin aus und die rührendste Dankbarkeit für die Liebe ihrer Kinder. Einen Monat später – und die zitternde Hand, welche ihn niedergeschrieben, ruhte starr und kalt auf dem Herzen, das so warm und edel geschlagen. Wie

Das Grab von Schiller’s Mutter.

sanft und gottergeben sie aus dem Leben schied, schildern am besten Luisens Worte an den Bruder:

„So wie sie zu sich selbst wieder kam, sprach sie von ihren lieben Kindern und dankte Gott mit innigster Rührung vor diesen Trost im Tode. Ach, von Dir, lieber Bruder, sprach sie oft und segnete Alles mit so vieler Dankbarkeit gegen Dich, was Du je unternehmen würdest. Ich mußte ihr Dein Medaillonportrait zwei Tage vor ihrem Ende holen, das drückte sie an ihr Herz und dankte Gott vor ihren lieben Sohn. Auch mir dankte sie oft für meine Pflege und Vorsorge in ihrer schmerzlichen Krankheit, und ich konnte ihr doch so wenig Linderung verschaffen. – Sie wurde mit aller möglichen Ehre und Ehrerbietung, die je unser Dorf vermochte, zur Erde bestattet und liegt so nahe meinem Garten, daß ich aller Augenblicke ihren Grabhügel sehen kann.“

Der einfache Sarg von den angesehensten Bauern getragen, unter dem Gesange der Schulkinder in die Grube gesenkt, eine warme Grabrede des Schwiegersohns – so mochte die Bestattung sein.

Noch vor des Dichters Tode, zu Anfang des Jahres 1805, war der Pfarrer Frankh nach dem jenseits Neuenstadt liegenden Städtchen Möckmühl versetzt; von dort aus konnte die Tochter wohl nur selten einmal das Grab der Mutter besuchen, um einen frischen Kranz darauf zu legen. Und Jahre kamen und gingen, und der Hügel war eingesunken und die darunter ruhende einfache und natürliche, mit der größten Herzensgüte begabte Mutter unsers volksthümlichsten Dichters, war – scheinbar vergessen.

Scheinbar nur! Der Ruhm, das Grab vor gänzlicher Vergessenheit und Zerstörung bewahrt zu haben, gebührt, wie gesagt, einzig Eduard Mörike. Die duftigen Lieder dieses sangbegnadeten Dichters sind lustig hinaus geflattert in die Welt; er selber legte den Hirtenstab kränklichkeitshalber nieder. Als er zum letzten Male unter die Buche im kleinen Pfarrgarten, die „Dichterbuche“, trat, mochten ihm die Blätter ein wehmüthiges Lebewohl zurauschen, aber auch die Linde auf dem Grabe der Dichtermutter bewegte ihre Zweige grüßend. Wäre sein Name nicht als Dichter genannt und bekannt, er verdiente es der einzig guten That wegen, überall gerühmt zu werden, wo man Schiller’s Andenken feiert, der That wegen, das Grab der „Schillerin“ geschmückt und gepflegt zu haben.

Die Mutter Schiller’s! Noch einen letzten Blick und Abschiedsgruß nach ihrer Schlummerstätte! Was sie dem deutschen Volke gegeben, ist unvergänglich. Wer weiß und ermißt, wie viele der poetischen Anregungen sie dem Kinde mitgab, wie groß ihr unbewußter Antheil an all dem war, was er an unsterblichen Werken schuf?! Verdient das schmucklose Grab nicht ein grünes Blättchen von den zahllosen Lorbeerkränzen, welche man dem Andenken ihres großen Sohnes flicht?

E. V–y.




 Ich ziehe mit!*[1]

Vier Wände sind es nur, ein schlichtes Dach,
Doch fass’ ich’s kaum, soll ich von ihnen scheiden.
O, dieses Haus ruft Tage, Jahre wach,
Die froh uns sah’n und auch in bittern Leiden.
Mein Mann, nach Westen all’ dein Sinnen steht,
Wo eine bess’re Zukunft uns soll tagen –
Ich ziehe mit, doch wie an’s Herz mir geht
Der Abschied, kann kein Wort, kein Blick dir sagen.

Vier Wände nur, vom Sturme bald durchwühlt,
Doch bleiben sie mir ewig lieb und theuer.
Hier hab’ ich ja zuerst die Lust gefühlt
Zu wärmen mich an eig’nen Heerdes Feuer.
Hier saßen nach des Tages Müh’ wir oft
So froh zusammen, still in uns vergnüget, –
Ach! was wir damals all’ geglaubt, gehofft,
Wie anders, anders hat es sich gefüget!

Hier hab’ ich meine Kinder treu gewiegt;
O Gott! wie war ihr Lächeln lieb und sonnig!
Welch’ ein Gefühl, hielt ich sie fest geschmiegt,
Durchdrang mich hier, so unaussprechlich wonnig!
Doch hab’ ich hier mit Augen thränennaß
Auch oft an ihrem Bett gewacht mit Zagen;
Nun wächst ob zweien schon das kühle Gras,
Und, wo sie ruh’n, da soll ich nicht mehr klagen?

Wo sie gestanden, wo sie einst gespielt,
Von all’ den Orten soll ich fort, den lieben!
Hier stand so oft, das braune Haar zerwühlt,
Der ält’ste Bub, das Mädchen sinnend drüben.
Mein Mann, wird drüben über’m Ocean,
Wenn nach der Heimat unsre Blicke schweifen,
Auch Einer wohl uns mitempfindend nahn,
Auch Einer unsern tiefen Schmerz begreifen?

Zu Boden trüb’ und bang’ dein Auge blickt.
Ach, hab’ ich hier zuerst nicht auch empfunden,
Wie schmerzlich, wenn ein Weh’ den Liebsten drückt!
Ich hatt’ kein Kraut zu lindern deine Wunden –
Die theure Zeit, das böse Fieber kam,
Was sorgsam wir erspart in bessern Zeiten:
Zur Neige ging’s – ich sah den bleichen Gram
Mit finstrer Macht auf deiner Stirn sich breiten

Und konnt’ nicht helfen! O, den herben Schmerz!
Ich fühl’ ihn heut’, ich fühl’ ihn stets auf’s Neue,
Doch glaube nicht, es schwanke noch mein Herz;
Sieh, felsenfest bleibt meine Lieb’ und Treue.
Sie soll auch in der Fremde, über’m Meer,
In ungeschwächten Gluthen stets entbrennen.
Ich ziehe mit, doch schwer, o, bitterschwer
Wird’s mir, von dieser Scholle mich zu trennen.

 Reinhard Neuhaus.


  1. * Obiges Gedicht entnehmen wir der soeben bei Hartung und Sohn in Leipzig in zweiter Auflage erschienenen Sammlung lyrischer Poesien von Reinhard Neuhaus. Der Dichter hat sich bereits in den fünfziger Jahren unter dem Pseudonym Gustav Reinhart durch einen Band schwunghafter Gedichte zahlreiche Freunde erworben. Auf die nunmehr erschienene Sammlung haben schon vor einigen Monaten Emil Rittershaus, Ferdinand Freiligrath und andere rheinische Poeten in hervorragender Weise aufmerksam gemacht, indem sie in einem eigenen Circulär das Publicum auf diese werthvolle Musengabe hinwiesen. In der That dürfen sich diese Neuhaus’schen Gedichte, was Lebenswahrheit in den gestaltenden und Gemüthswärme in den rein subjectiv gehaltenen Dichtungen anbetrifft, getrost neben die besseren Erzeugnisse des jüngsten lyrischen Marktes stellen.
    D. Red.




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