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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Trupps seine Reiter auf, im Mittelflügel sein Fußvolk, mit Ausnahme von zwanzig auserlesenen Leuten, die er unter seiner unmittelbaren Führung behielt. Sämmtliche Mannschaften hatten den Befehl, gefechtsbereit zu sein, und ihre Officiere erhielten die letzten Losungen von dem General.

Der höchste Einsatz war gemacht, und die Schicksalswürfel rollten in der Urne, das heißt der Conquistador stand auf dem Sprunge, alles zu wagen, um alles zu gewinnen. Von seinem Rechte dazu war der Mann vollständig überzeugt. Diese Spanier des 16. Jahrhunderts nahmen den berühmten Satz, welchen nachmals der größte Denker des 17. Jahrhunderts theoretisch aufstellte, den Satz: „Jeder hat gerade soviel Recht, wie er Macht hat“ – überall praktisch vorweg.

Die Eroberer von Peru haben später, um ihr schnödes Spiel zu rechtfertigen, die Behauptung ausgehen lassen, sie hätten nur das Prävenire gespielt, indem sie dem Inka anthaten, was er ihnen anzuthun beabsichtigt hätte. Diesen Vorwand zu widerlegen lohnt sich nicht der Mühe. Es ist ja nicht ein Schatten von Beweis dafür beigebracht worden. Thatsache dagegen ist, daß Atahuallpa arglos und vertrauensvoll in die ihm gestellte Falle ging. Er hatte offenbar gar keine Ahnung von dem wirklichen Charakter der blaßgesichtigen Fremdlinge. Er war gänzlich unvermögend, den Verrath sich vorzustellen, welchen seine Gäste gegen ihn im Schilde führten. Dies beweist zweierlei: die Superiorität der Spanier an Intelligenz und Thatkraft und die Superiorität der Peruaner an Moral. Seume’s Hurone hätte hier mit vollem Rechte sagen können: „Seht, wir Wilden sind doch bess’re Menschen!“ Aber das hatte hier, wie überall, wenig oder nichts zu bedeuten. Die arme Moral, in der physischen Welt eine unbekannte Größe, ist auch in der sogenannten „moralischen“ nur das immer gesuchte, aber nie gefundene X. Die wahre und wirkliche Moral der Weltgeschichte ist bekanntlich der Erfolg, vor welchem ja die Menschen in ihrer unergründlichen Niedertracht allzeit die Kniee gebeugt haben. Aber – im Sinne Spinoza’s zu sprechen – der Erfolg ist das Recht gerade so lange, bis ein anderer Erfolg noch rechtmäßiger, das heißt erfolgreicher über ihn kommt, ihn wegwischt und sich auf seinen Platz stellt. Das ist allerdings sehr „unmoralisch“, aber es ist eine historische Wahrheit, ebenso evident und unwiderleglich wie irgendeine mathematische Wahrheit. …

Der Inka hatte morgens die Botschaft gesandt, daß er den gestern angekündigten Besuch im Quartiere der Spanier in Wehr und Waffen an der Spitze seiner Krieger abstatten werde. Quer das! Aber es ließ sich nicht wohl etwas dagegen machen oder auch nur sagen. Wirklich meldeten die spanischen Vedetten bald, daß sich das peruanische Heer gesammelt und gegen die Stadt in Bewegung gesetzt habe. Aber – zu Pizarro’s nicht kleiner Erleichterung – machte der Inka mit seiner Armee auf der großen Prairie vor der Stadt Halt und sandte die Meldung herein, er werde nur mit einem nicht gar großen und unbewaffneten Gefolge kommen.

Und so kam er nachmittags. Als die Procession – denn eine solche war es, nicht ein kriegerischer Zug – die Stadt betreten hatte und zu dem Quartiere der Spanier sich heranbewegte, erstaunten die Schildwachen über die bunte Pracht des etliche Tausende zählenden kaiserlichen Hofstaates, dessen einzelne Abtheilungen in ganz weißen oder in weiß und roth gewürfelten Festkleidern einhergingen. Die Schar der Leibtrabanten war himmelblau gekleidet, trug reichen Goldschmuck und führte silberne Keulen. Sonst sah man keine Waffen. Die Mitglieder des Inka-Adels waren an ihren prächtigen, bis auf die Schultern herabreichenden Ohrgehängen erkennbar. Inmitten des Gefolges schwebte über den Köpfen desselben die von Edelleuten getragene Sänfte des Inka’s. Das Gestell war mit Goldplatten belegt und mit den glänzenden Federn tropischer Vögel verziert. Darauf ruhte der Thronsitz Atahuallpa’s aus gediegenem Golde. Der Anzug des Herrschers blitzte von Gold und Edelsteinen. Er hatte eine Halskette von herrlichen Smaragden angethan, in seinen Haaren waren kostbare Steine befestigt und die Fransen der rothen Borla fielen über seine Stirne herab. Seine Haltung war würdevoll, sein Blick ruhig. Die schon über ihm hängende Verhängnißwolke warf nicht den leisesten Schatten auf seine Züge

Wie die Augen der in den Säulenhallen lauernden spanischen Christen vor Begier gefunkelt haben mögen, als sie beim Hereinschwenken des Zuges auf den großen Hofraum alle diese heidnische Pracht erblickten!

Spanischer Aussage zufolge ordnete sich die Menge des kaiserlichen Geleites mit bewunderungswerther Raschheit und Genauigkeit auf dem freien Platze, auf welchem zunächst nicht ein Spanier zu sehen war. In der Mitte des Hofes angelangt, machte Atahuallpa Halt, blickte suchend umher und fragte: „Wo sind denn die Fremden?“

Als hätte er ein Stichwort gesagt, begann jetzt sofort das Verrathspiel, in welchem charakteristischer Weise ein Priester mit der „Exposition“ beauftragt war. Als Dank und Lohn hat er nachmals den Bischofsstab vom Kuzko erhalten.

Der Padre Vicente de Valverde, ein Dominikaner und Pizarro’s Feldprediger, trat in seiner weißen Kutte vor, das Krucifix in der Rechten, das Brevier in der Linken, näherte sich dem Thronsessel des Inka und erklärte ihm unter Vermittelung Felipillo’s, die Spanier seien nach Peru gekommen, um dieses Land zum wahren Glauben zu bekehren. Und rüstig ging der eifrige Mönch sofort daran, das Bekehrungswerk an dem Inka selber vorzunehmen, und er hub an die schwierige Lehre von der christlichen Dreieinigkeit, weiterhin die ebenfalls nicht so ganz leicht begreiflichen Dogmen vom Sündenfalle des Menschen und von der Erlösung durch Jesus Christus auseinanderzusetzen. Hierauf sprach er von des Heilands Kreuzigung, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt und wie der Apostel Petrus zum Statthalter Christi auf Erden bestellt worden und wie die Nachfolger Petri, die Päpste, die Obergewalt über den ganzen Erdkreis besäßen. Dies alles war die solide Basis für des Mönches Schlußapostrophe, nämlich: „Der Papst hat dem Kaiser Karl dem Fünften den Auftrag ertheilt, die Bewohner der Neuen Welt zu unterwerfen und zu bekehren. Zu diesem Zwecke sind wir da. Demnach kann der Inka von Peru nichts Besseres thun, als sich schleunigst zu dem ihm soeben vorgetragenen Christenthum zu bekehren und sich nebenbei als treugehorsamer Vasall seinem Oberherrn, besagtem Kaiser Karl, zu unterwerfen.“


(Schluß folgt.)




Ein Grab im Unterland.


„Zu Cleversulzbach im Unterland“ beginnt zwar ein Mörike’sches Gedicht, aber trotzdem wissen wohl Wenige im Schwabenlande, daß diesen Namen wirklich ein einsames, kleines Pfarrdorf jenseits Heilbronn trägt, noch weniger aber mag man es außerhalb der Grenzen des würtembergischen Landes ahnen, daß dieses Dörflein eine geweihte Stätte birgt, welche von der ganzen deutschen Nation heilig gehalten zu werden verdiente.

Cleversulzbach liegt fern vom lauten Weltgetriebe, verschollen und verborgen am Fuße eines waldigen Hügels. Kein Schnauben, Pfeifen und Rasseln des Dampfrosses klingt in die Stille. Selten geschieht’s, daß ein Wandersmann den Weg nach dem Dorfe einschlägt, noch seltener, daß ein Wagen dahin rollt. Die Verbindung mit dem nächsten Städtchen unterhält allein der Postbote – ein seltsam Ziel also zu einer Pilgerfahrt und dennoch ein würdiges.

Wie schön ist die Fahrt an dem sonnigen Herbstmorgen durch die gesegneten Auen des Schwabenlandes, zwischen den grünen, traubenbehangenen Weinbergen dahin! Von den Höhen und aus den Thälern grünen altersgraue Oerter, Wartthürme, verfallene Schlösser; der „silberblinkende“ Neckar windet sich anmuthig an dem malerischen Lauffen vorüber, wo Hölderlin, sein Sänger, geboren wurde. Heilbronns uralte Thürme tauchen auf und schwinden wieder, und – Neckarsulm ist erreicht, die letzte Eisenbahnstation.

Cleversulzbach, das stille Dorf, liegt indessen noch mehr als zwei Stunden von Neckarsulm, diesem aus dem Bauernkriege

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_807.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)