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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Spiele wagend, welche jemals gewagt worden sind. Aber gerade die Abenteuerlichkeit, die Tollkühnheit des Wagnisses entsprach so recht dem Charakter der Spanier von damals und vollends der Sinnesweise des „Heldengesindels“ der Conquistadoren. Man läßt dem Francisko Pizarro und seinen Gefährten nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn man anerkennt, daß wohl niemals ein kühnerer Entschluß gefaßt und mit stahlhärterer Thatkraft zur Ausführung gebracht worden sei als der von ihnen gefaßte und ausgeführte. Mit hundertsiebenzig Mann zuerst in die tropische Urwaldwildniß sich hineinwagen, dann den himmelan gethürmten Riesenwall der Kordilleren übersteigen, in das Herz eines großen und wohlgeordneten Reiches eindringen, den unumschränkten, abgöttisch verehrten, sakrosancten Beherrscher desselben in der Mitte seines siegreichen Heeres in seinem eigenen Prätorium aufsuchen mit der Absicht, der Herrlichkeit dieses Halbgottes von Sonnensohn so oder so ein Ende zu bereiten – gewiß konnte nur ein heldischer Mann diesen Gedanken aussinnen und zur That machen. Dabei ist noch in Anschlag zu bringen, daß die Ausrüstung von Pizarro’s Mannschaft mit Feuerwaffen eine nur sehr spärliche war. Nicht mehr als drei Büchsenschützen befanden sich unter der Schaar, und was das „Geschütz“ anging, so bestand dasselbe aus zwei „Feldschlangen“ kleinsten Kalibers.

Vorwärts also trotz alledem! Die ersten Tagmärsche führten durch ein mälig gen Südosten ansteigendes Land, welches von der Ueppigkeit tropischer Urwaldvegetation überwuchert war. Dann, als man sich den Kolossen der Andeskette mehr genähert hatte, ging der Zug durch Thalgelände, welche, wasserreich und äußerst sorgfältig angebaut, die Anmuth ihrer landschaftlichen Scenerie selbst diesen Wanderern, welche sich sonst um dergleichen blutwenig kümmerten, fühlbar machten. Hier war die Bevölkerung eine zahlreiche, aber von Widerstand nirgends eine Spur. Die Fremdlinge, welche kamen, den armen Peruanern statt des hölzernen Joches, welches sie bislang getragen, ein eisernes aufzulegen, wurden allenthalben freundlich aufgenommen und gastlich beherbergt und bewirthet. Mittels seiner Dolmetscher konnte der Conquistador auch die Wahrnehmung machen, daß unter den Unterthanen Atahuallpa’s eine dumpfe Unzufriedenheit gährte. Die Herrschaft des Inka mußte sich demnach schon als eine sehr drückende erwiesen haben.

Derweil die Spanier an einem Orte, welcher Zaran hieß und innerhalb der Vorberge der Kordilleren gelegen war, Rast hielten, ward ihnen ein Beweis, daß ihr Marsch auf Kaxamalka dem Inka zu Ohren gekommen sein mußte. Leider wissen wir nicht, was sich Atahuallpa, welcher, von seinem Heere umgeben, in Kaxamalka, das schon damals seiner warmen Quellen wegen berühmt war, eine Badkur gebrauchte, bei der Kunde von dem Erscheinen der weißgesichtigen, bärtigen Fremden dachte, welche – so hatten ihm seine Späher zweifelsohne bereits gemeldet – Blitz und Donner mit sich führten und auf wunderbaren Geschöpfen, so man im Reiche der vier Himmelsgegenden nie gesehen, auf einer Art von vierfüßigen Schlangen einherritten. Wie zu vermuthen, hatte die Erscheinung der Fremdlinge zunächst nur die Neugier des Sonnensohnes erregt und scheint ihm ein Gedanke an Gefahr gar nicht aufgestiegen zu sein. So erklärt es sich, daß er einen seiner Edelleute als Gesandten an den Häuptling der Fremden abordnete, um dieselben an sein Hoflager einladen zu lassen. Der Gesandte, welcher selbstverständlich zugleich ein Spion war, wie ja das die Gesandten allzeit oder überall mehr oder weniger waren, sind und sein werden, stellte sich mit seinem Gefolge in Zaran dem Conquistador vor, überreichte etliche Geschenke und entledigte sich mit bester Manier seines Auftrages. Pizarro spielte nicht weniger fein den Diplomaten, überschüttete den peruanischen Höfling mit höfischen Redensarten und sandte denselben zu seinem Gebieter zurück mit der Meldung, er, Pizarro, werde, die Einladung Sr. Majestät des Emperadors von Peru dankend annehmend, mit seinen Leuten bald in Kaxamalka eintreffen. Zugleich trug er dem Gesandten noch auf, den Sonnensohn zu benachrichtigen, daß sie, die Spanier, von jenseits des Meeres kämen und zwar als Botschafter eines mächtigen Monarchen. Dieser hätte von der Macht und dem Ruhme des Inka’s so viel vernommen, daß er ihnen den Befehl gegeben, dem Herrscher von Peru ihre Ehrerbietung darzubringen und ihm ihren Beistand gegen alle seine Feinde anzubieten.

Nach also bewerkstelligter Abfertigung des Gesandten verweilte der Eroberer noch mehrere Tage da und dort am Fuße der Sierra, weil er hoffte, daß noch diesseits des Gebirges Verstärkungen von Panama her und über San Miguel zu ihm stoßen würden. Aber er mußte diese Hoffnung endlich aufgeben und so, wie er war, und mit dem, was er hatte, die Ersteigung und Ueberklimmung der Kordilleren unternehmen. Ein furchtbares Mühsal! Aber es ward überwunden. Wohl war manchem von Pizarro’s Gefährten beim Anblicke dieses riesigen Gebirges, dessen Firnschneegipfel in die Wolken sich verloren und das sie überklettern sollten, um drüben in ein Chaos von Gefahr, in das Unbekannte, Nichtzuahnende sich zu stürzen, der Muth gesunken. Aber der Führer verstand es auch jetzt, wie immer, den gesunkenen wieder zu heben. Oviedo, der klassische Geschichtschreiber der Conquista, hat uns die Rede überliefert, welche Pizarro vor dem Aufbruch in’s Hochgebirge an seine Mannschaft hielt. Die „santa fé catolica“ spielte darin eine große Rolle. Ebenso die Berufung auf das Spanierthum. „Schreitet vorwärts, wie es guten Spaniern geziemt, ganz unbekümmert, daß ihr Christen so klein an Zahl. Gott ist unser Beistand; er wird den Stolz der Heiden demüthigen und sie zu unserem heiligen katholischen Glauben herüberführen.“

Es war am 15. November von 1532, als die Spanier, die Gipfel der Anden hinter sich, die letzten Abdachungen der Ostseite des Gebirges hinabstiegen und die Stadt Kaxamalka, hinter welcher thalhinein die warmen Quellen ihre Dampfsäulen in die Luft trieben, zu ihren Füßen liegen sahen.




5.


Nun höre ich da und dort einen klugen Leser und vielleicht auch eine noch klügere Leserin meiner Historie murmeln: „Dieser Sonnensohn von Inka muß doch ein recht dummer Teufel gewesen sein. Wie hätte er sich sonst die Spanier so auf den Hals kommen lassen können?“

Die Frage ist berechtigt und auch schon vor dreihundert Jahren von klugen Leuten aufgeworfen worden. Schade, daß wir nur Vermuthungen zur Antwort geben können.

Wie bereits oben bemerkt worden, scheint Atahuallpa zuvörderst einer, wie leicht begreiflich, sehr lebhaften Regung von Neugier nachgegeben zu haben, als er die Fremdlinge, deren ganze Erscheinung von dem Nimbus und Reiz des Geheimnisses umgeben war, an sein Hoflager lud. Die Erinnerung an die mit den Anfängen des peruanischen Staates verknüpfte Sage, daß weißhäutige Männer in der Urzeit am Titikakasee gelebt hätten, mag auch in dem Inka wach geworden sein und ihm ein freundliches Verhalten gegen die Eindringlinge vorgezeichnet haben. Man hat nachmals, um das Verfahren Pizarro’s zu entschuldigen ober gar zu rechtfertigen, von spanischer Seite die Behauptung aufgestellt, das zuvorkommende Gebahren des Sonnensohnes sei von Anfang an nur Verstellung gewesen. Er habe mittels geheuchelter Freundlichkeit die Spanier in sein Lager locken wollen, um sich ihrer wundersamen Waffen und Reitthiere zu bemächtigen, sie selber aber umzubringen. Dazu ist zu sagen, daß die notorische Verschlagenheit und Grausamkeit Atahuallpa’s dieser Unterstellung allerdings eine scheinbar gute Stütze gibt. Allein diese Stütze hält nicht vor angesichts der Thatsache, daß der Inka die Spanier ohne alle Belästigung bis nach Kaxamalka gelangen ließ und sie nach ihrer Ankunft daselbst so gastlich behandelte, daß sie selber schlechterdings kein Symptom feindseliger Absichten von seiner Seite anzugeben vermochten. Das Entscheidende ist jedoch, daß Atahuallpa, falls er einen Ueberfall der Spanier geplant hätte, klug und kriegserfahren genug gewesen wäre, damit nicht bis zur Ankunft der Fremden an seinem Hoflager zu warten, sondern sie vielmehr während ihres beschwerlichen und gefährlichen Zuges über die Anden zu überrumpeln. So das mit auch nur einiger Geschicklichkeit geschehen wäre, mußten sie unfehlbar verloren sein. Es war aber nicht geschehen, und demnach vollzogen sich die Geschicke des Sonnenlandes mit außerordentlicher Raschheit.

Wir wissen aber aus dem Munde der Conquistadoren selbst, daß sie beim Anblicke der wohlgebauten Stadt zu ihren Füßen, mehr aber noch beim Anblicke des weit über die Bergabhänge rings um die Stadt hingedehnten weißen Zeltlagers von Atahuallpa’s Heer denn doch ein sehr starkes, obzwar vorübergehendes Bangen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_805.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)