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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und gewandtere Zierlichkeit, durch die dunklere Farbe ihrer Augen und ihres Haares, sowie durch ihre weit größere Lebhaftigkeit sich unterschied, die sich sogar bis zur Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit steigerte. Wir Beide hatten beim Schullehrer und Pfarrer Unterricht, auch in der Religion und zwar im protestantischen Glauben, weil weit und breit kein katholischer Geistlicher sich befand. So wuchsen wir allmählich heran in jugendlichem Glücke und fühlten uns durch nichts Fremdes von unseren Nachbarn und Bekannten getrennt, zumal wir Beide unsere Muttersprache wenig übten, da sie selbst in unserm Familienkreise mehr und mehr außer Gebrauch gekommen war.

Als die Franzosen bis in unsere Nähe gelangt und bei Jena die große Schlacht siegreich geschlagen hatten, war Marie bereits eine stattliche Jungfrau geworden, und ihre Angst vor den französischen Soldaten steigerte sich von Tag zu Tag, gleichsam als sei dieselbe eine Erbschaft von ihrer Mutter, wie das Medaillon, das sie nach der Weisung derselben stets am Halse trug. Oftmals bat sie uns sogar um Verzeihung, daß sie uns mit dieser ihrer Furcht quäle, aber welche Mühe sie sich auch gab, ruhig zu sein, wurde sie doch stets von unerklärlicher Angst ergriffen, wenn sie nur von Franzosen sprechen hörte.

Eines Tages, als sie auch so gegen mich sich aussprach und zwar als wir Beide allein hier im Zimmer waren, antwortete ich:

‚Fürchte Dich nicht, liebe Marie! Ich bin ja bei Dir und ich schütze Dich, sollte es mir auch mein Leben kosten.‘

Sie schmiegte sich nach diesen Worten an mich, als suche sie an meiner Brust den Schutz, den ich ihr verheißen hatte. Was in diesem Augenblicke in mir vorging, weiß ich nicht. Ich hatte Marie immer sehr lieb gehabt, lieb wie eine Schwester, jetzt auf einmal sah ich nicht die ‚Schwester‘ in ihr, sondern nur das schöne Mädchen, und entdeckte plötzlich in meinem Herzen ein Gefühl, das andere, leidenschaftlichere Liebe war. Unwillkürlich umfaßte ich sie, die sich vertrauensvoll an mich gelehnt hatte; ich mußte ihr sagen, daß ich sie liebe und nichts mehr wünsche, als sie mein Weib nennen zu können, und ich fragte sie, ob sie die Meine werden wolle.

‚Ewig die Deine!‘ antwortete sie. ‚Ich habe Dich immer geliebt und es oftmals in stiller Nacht der Mutter im Himmel gestanden, während ich ihr Medaillon küßte, auch meinen Wunsch gegen sie im Gebete ausgesprochen, immer bei Dir zu bleiben.‘

Das war unsere selige Verlobungsstunde.

Als der Vater dann zu uns kam, theilten wir ihm mit, was wir einander gestanden und gelobt hatten.

‚Ich gebe gern meinen Segen dazu.‘ antwortete er, ‚und ich weiß, daß ich Dir, Marie, auch den Segen Deiner Mutter geben kann. Als ich ihr geschworen habe, getreulich alles Das zu thun, was sie mir über Dich aufgetragen, setzte sie leiser, gegen mich gewandt, die Worte hinzu, die ich Euch jetzt wiederholen darf. Sie sagte: ‚Wenn die Kinder herangewachsen sind, und in ihren Herzen entwickelt sich eine Neigung zu einander, so daß sie als Gatten mit einander durch das Leben gehen möchten, so tritt ihrem Wunsche nicht entgegen! Ich habe die feste Ueberzeugung, daß meine Tochter an der Seite Deines Sohnes glücklicher sein wird, als ich es in anderen Verhältnissen gewesen bin. Nur laß sie nie nach Frankreich zurückkehren, wie Du mir feierlich geschworen hast!“

‚Von dem, was Deine Mutter sonst besaß, Marie,‘ fuhr mein Vater fort, ‚ist nichts mehr übrig geblieben als ein Perlenhalsband, das ich nie verkaufen mochte, obgleich sie mir die Erlaubniß dazu gegeben hatte, weil ich wußte, daß es ihr liebster Schmuck gewesen war, ein Andenken an ihre Mutter.‘

Er suchte das Perlenhalsband hervor und übergab es Marie, die bald dieses neue Andenken an die theure Mutter, bald das Medaillon unter Freudenthränen küßte. Wir saßen an dem Tage noch lange traulich bei einander, denn der Vater, der ungewöhnlich heiter geworden war, erzählte vielerlei aus Frankreich und von vergangenen Zeiten. Seine Heiterkeit wurde nur ein wenig gestört, als Marie ihn bat, ihr auch von ihrem Vater etwas mitzutheilen. Es schien ihm schwer zu werden, eine rechte Antwort darauf zu finden. Endlich sagte er:

‚Ich habe ihn nicht gekannt, und Deine Mutter sprach nie von ihm.‘

Der Bund unserer Herzen empfing die priesterliche Weihe, doch verging, ehe das geschehen konnte, eine ziemlich lange Zeit, denn der Geistliche verlangte Papiere über unsere Herkunft, die theils nicht zu beschaffen waren, theils der Vater zu erlangen nicht einmal versuchen wollte. Endlich erfolgte unsere Trauung, ohne daß die geforderten Papiere vorgelegt worden wären, weil man der Versicherung des Vaters glaubte, daß sie im Sturme der Revolution verloren gegangen. Wir waren nun insgesammt über alle Beschreibung glücklich, da mir die Zusicherung gegeben war, des Vaters Nachfolger zu werden, namentlich aber da auch der Krieg eine Zeitlang geschwiegen oder sich in ferne Länder gezogen hatte. Leider sollte die Zeit des Friedens nicht lange währen. Im Frühlinge des Jahres 1813 zeigten sich wieder gewaltige Truppenmassen auch in unserer Gegend, und es hieß sogar, daß es in unserer Nähe zur Schlacht kommen werde. An einem der ersten Maitage jenes Jahres, als ich im Dunkel des Abends von einem Gange zurückkam, sah ich drüben auf der Anhöhe hinter dem Dorfe, in der Richtung nach Lützen hin mehrmals Leuchtkugeln aufsteigen, und ein Bekannter, der mir begegnete, wollte am Tage fernen Kanonendonner gehört haben.

Am andern Tage – ein Sonntag war es, wenn ich nicht ganz irre, – schon ziemlich früh erschienen bei uns Flüchtlinge aus dem nächsten Städtchen, die mit Entsetzen meldeten, es würden zahlreiche Verwundete von dem Schlachtfelde bei Lützen dahin gebracht und ein Theil des siegreichen französischen Heeres ziehe heran. Es sei möglich, daß es auch zu uns kommen werde. Indeß verging uns der Tag ruhig, wenn auch in großer Angst und Aufregung. Gegen Abend etwa kamen in der That endlose Massen französischer Infanterie aus dem Walde auf dem Wege unterhalb des Dorfes heraus und wendeten sich diesem zu. Ich sehe sie mit den langen Gamaschen und den hohen schwarzen Bärenmützen noch deutlich vor mir. Sie sangen. Voll Besorgniß fragten wir uns Alle, wohin die Schaaren sich wenden würden, da es bereits zu dunkeln anfing. Marie zitterte vor Angst und schloß die Thür des Hauses. Ich wich nicht von ihrer Seite, denn sie war, was wir lange vergeblich ersehnt hatten, zum ersten Male guter Hoffnung; der Vater dagegen ging bis an das Dorf, um zu sehen, wohin die Truppen zögen, und es uns dann zu berichten. Sie marschirten, wie er uns heimkehrend berichtete, in dichtgeschlossenen Reihen durch die Gassen des Dorfes, noch immer singend, bis auf die Felderfläche vor demselben. Dort machten sie Halt. Sie schienen, wie der Vater meinte, die Nacht hier verbringen und ein Lager aufschlagen zu wollen.

Unterdeß war es völlig Abend geworden. Es herrschte eine Todtenstille im Dorfe, weil sich in banger Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, Niemand regte. Plötzlich vernahm man eigenthümliche Trommelschläge, die bis zu uns drangen und einen schauerlichen, unheimlichen Eindruck in der stillen Nacht machten.“


(Schluß folgt.)




Der Maler der „Wild-, Wald- und Waidmannsbilder“.
Ein Stück Selbstbiographie.


Von den Meinigen jederzeit auf’s Herzlichste geliebt, wie ebenfalls von Spiel- und Schulgenossen wohlgelitten, wurde ich in meiner Jugend nur von meinem grämlichen Rector als eine unverbesserlich nichtsnutzige Range verschrieen. Freilich war ich kein Stubenhocker und stillsitzender, fleißiger Schüler, ließ vielmehr oft genug Aufgaben Aufgaben sein, und eilte dafür hinaus in die bis unmittelbar an meine Vaterstadt heranreichende, von mir schon damals so heiß geliebte Dresdener Haide, dort in stiller Waldeinsamkeit das rege Thierleben, von der Ameise und der gaukelnden, tiefblauschillernden Libelle an bis zu der rastlos muntern Vogelwelt und dem scheuen Wilde aller Art, mit innigster Herzenswonne zu belauschen. Dabei regte sich aber doch bereits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_770.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)