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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

blos die Elsässer Dorfgeschichten von Alexander Weill. Man hat mir gesagt, daß er der Erste gewesen, welcher mit derartigen Productionen vor dem deutschen Publicum aufgetreten. Ich habe dieselben sogar mit einem kurzen empfehlenden Vorworte begleitet und in diesem geäußert, daß man mit der Dorfnovellistik viel zu viel Spectakel macht. Auch hätte ich dieses Vorwort gar nicht geschrieben, wäre ich nicht gewissermaßen dazu gezwungen worden. Eines Tages kam nämlich Weill zu mir und zeigte mir nicht nur an, daß er im Begriffe sei, sich zu verheirathen, sondern auch, daß er zu diesem schönen Schritte nothwendig fünfhundert Franken brauche. Als ich schwieg, fügte er hinzu, er würde die genannte Summe von einem Buchhändler leicht erhalten, wenn ich einen Band seiner Sittengemälde aus dem elsässischen Volksleben mit einigen Einführungszeilen versehen wollte. Ich hatte nun die Wahl, entweder fünfhundert Franken zu geben, oder ein paar Seiten zu schreiben, und Sie können sich leicht denken, daß ich nicht lange wählte.“

Es wurde bald seiner neuern Gedichte erwähnt. Heine sagte, daß ihm die Poesie das beste Linderungsmittel in seinen schlaflosen Nächten sei. „Die Poesie ist meine treue Freundin geblieben,“ rief er. „Sie läßt sich von meinem Siechthum nicht abschrecken; sie ist mir bis an den Rand des Grabes gefolgt und macht mich dem Tode streitig.“

Da wir nun einmal von seinen Poesien sprachen, fragte ich ihn, wann sich in ihm der poetische Trieb geäußert.

„Sehr früh, sehr früh,“ antwortete er. „Sie kennen mein Gedicht ‚Belsazar‘,“ fuhr er fort; „nun, ich habe dasselbe geschrieben, bevor ich noch das sechszehnte Jahr zurückgelegt. Und wissen Sie, was mich zu demselben inspirirt hat? Ein paar Worte in der hebräischen Hymne Bachazoz halajla (Um Mitternacht), die man, wie Sie wissen, an den zwei ersten Osterabenden singt.“

Diese erwähnte Hymne gedenkt nämlich einer auf die Geschicke der Juden sich beziehenden historischen Begebenheit, die in der Nacht vorgefallen, und in fünf Worten spricht sie von dem Tode des babylonischen Tyrannen, der in Folge der Entweihung der Tempelgefäße in der Nacht hinweggerafft wurde.

Heine wußte kaum ein paar hebräische Wörter; er kannte aber viele jüdische Sagen, und diese Kenntniß verdankte er ganz besonders dem geistvollen Gelehrten Zunz. Während seines Aufenthaltes in Berlin suchte er den Umgang dieses vortrefflichen Mannes, dem er auch, wie ich sah, eine sehr warme Freundschaft bewahrt hatte. Heine hatte nur wenige Freunde, oder wenn man will, er war nur Wenigen ein Freund; diesen Wenigen aber war er sehr zugethan.

Er streckte mir die dürre, welke Hand entgegen, als ich mich von ihm verabschiedete, und bat mich, ihn während meines Aufenthaltes in Paris recht häufig zu besuchen. Ich war schon an der Thür, als er mich fragte, ob ich nicht seine Gattin sehen wollte, und als ich dies natürlich bejahte, sagte er mir, daß sie sich den Fuß verstaucht und ihr Zimmer hüten müsse. Er ließ mich von seiner Wärterin zu ihr führen. Ich fand Madame Heine in einem Lehnsessel, die Beine auf einem vor ihr stehenden Stuhl ausgestreckt. Sie war damals noch jung, aber schon so abgerundet, daß ihr der Fauteuil fast zu eng war. Nach der langen Unterhaltung mit Heine ließ die kurze Unterhaltung mit ihr keine Eindrücke in mir zurück. –

Ich war von dem ersten Besuche bei Heine so ergriffen, daß ich einige Monate verstreichen ließ, ohne ihn wieder zu sehen. Da ließ er mich eines Tages – es war am 20. Januar 1850 – zu sich rufen. „Warum lassen Sie sich so selten bei mir sehen?“ rief er, als ich meinen Namen nannte. „Sie sollten öfter kommen, da Sie nur zwei Schritte entfernt von mir wohnen.“

Ich äußerte meine Befürchtung, daß sein Zustand keine Besuche vertrage.

„Es ist wahr,“ sagte er, „ich werde oft von den fürchterlichsten Schmerzen heimgesucht, so daß ich mir selbst zur Last bin. Aber ich bitte Sie, lassen Sie sich dadurch nicht abschrecken, mich zu sehen!“

Ich fand ihn sehr leidend, sehr ernst und niedergeschlagen.

„Ich liege hier so einsam und vereinsamt,“ seufzte er. „Ich wäre gern in Deutschland gestorben, und ich hätte mich vielleicht hintragen lassen. Aber was würde meine arme Frau in Deutschland anfangen? Das ist sehr traurig. Hier hab’ ich, in Deutschland hat sie kein Vaterland. Ich weiß, daß ich nicht mehr von diesen Lager mich erhebe. Das Lied ist aus. Ich habe auch gerade das Alter, in welchem ein deutscher Schriftsteller sterben muß. Wie werden sie mich loben, wenn ich einmal todt bin! Sie werden mir statt der faulen Aepfel, mit denen sie mich früher beworfen und noch immer bewerfen, nur Blumensträuße und Lorbeerkränze zuwerfen. Der Campe wird sich auch freuen, wenn er hört, daß sie mich hinausgetragen, daß ich das schmerzvolle Grab in der Rue d’Amsterdam mit dem schmerzlosen auf dem Kirchhofe Montmartre vertauscht habe. Ja, der Campe wird sich freuen; denn mein Tod ist sein bestes Buchhändlergeschäft.“

Nachdem er eine Zeitlang von seinen häuslichen Verhältnissen gesprochen und zu wiederholten Malen und mit sichtbarer Genugthuung bemerkt hatte, daß er die Zukunft seiner Gattin gesichert, kam er auf seinen Glauben zu sprechen. Ich sagte ihm, daß man in den Blättern viel von seiner Bekehrung rede, daß man von vielen Seiten behaupte, er habe sich wieder dem Judenthume zugewendet. „Ja,“ sagte ich, „man spricht fast täglich von Ihrer Rückkehr zu Jehova Zebaoth. Ich habe bei meinem ersten Besuche absichtlich vermieden, mit Ihnen über diesen Punkt zu sprechen.“

„Warum das?“ rief er. „Ich mache kein Hehl aus meinem Judenthume, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin, da ich es niemals verlassen hatte. Ich habe mich nicht taufen lassen aus Haß gegen das Judenthum. Mit meinem Atheismus ist es mir niemals Ernst gewesen. Meine früheren Freunde, die Hegelianer, haben sich als Lumpen erwiesen. Das Elend der Menschen ist zu groß. Man muß glauben.“

Ich fragte ihn, ob er bei den Alten, von denen er doch in seinen Schriften mit so viel Begeisterung dem Nazarenerthume gegenüber spreche, keine Befriedigung fände?

„Ich bin nicht Nazarener geworden,“ erwiderte er; „aber das Griechenthum, so schön und heiter es auch ist, genügt mir nicht mehr, seitdem ich selbst nicht mehr schön und heiter bin. Ich bin in Passy (Stadttheil von Paris) gelegen, als meine böse Krankheit anfing. Während ich mich krampfhaft auf dem Lager wälzte, wurde draußen der entsetzliche Junikampf gekämpft. Der Kanonendonner zerriß mein Ohr. Ich hörte das Geschrei der Sterbenden; ich sah den Tod mit seiner unbarmherzigen Sense die Pariser Jugend hinmähen. In solchen gräßlichen Augenblicken reicht Pantheismus nicht aus; da muß man an eines persönlichen Gott, an eine Fortdauer jenseits des Grabes glauben. Ich bin kein Mucker geworden. Ich habe den Weg zum lieben Gott weder durch die Kirche, noch durch die Synagoge genommen. Es hat mich kein Priester, es hat nach ihm kein Rabbiner vorgestellt. Ich habe mich selbst bei ihm eingeführt, und er hat mich gut aufgenommen. Er hat meine Seele geheilt; möge es ihm gelingen, auch meinen Körper zu heilen! Ich würde ihm wahrlich dafür sehr dankbar sein.“

Ich theilte ihm mit, daß man in den Blättern von seinen Memoiren rede, die er herauszugeben beabsichtige.

„Allerdings beabsichtige ich sie zu veröffentlichen,“ entgegnete er; „allein ich weiß nicht, ob ich damit werde zu Stande kommen können. Ich dictire fast jeden Tag, was mir eine entsetzliche Anstrengung verursacht. Es erschöpft mich fürchterlich. Wenn Sie noch ein wenig weilen, werden Sie den Schlemihl (Pechvogel) sehen, dem ich in die Feder dictire. Doch was sag’ ich?“ rief er berichtigend, „nicht er ist der Schlemihl; ich bin es.“

„Ich habe viele Manuscripte verbrannt,“ sagte er nach einer Pause, „weil ich gefunden, daß dieselben gar Manches enthielten, was mit meiner jetzigen Ueberzeugung nicht mehr übereinstimmt. Ich habe jedoch leider zu viel verbrannt,“ setzte er mit einem Seufzer hinzu. „Dies geschah in einem jener dunklen Augenblicke, wo man geistigen Selbstmordgedanken nicht widerstehen kann. Es waren hübsche Sachen darunter. Friede ihrer Asche!“

Ich bemerkte nichts darauf, da ich an dieses Autodafé nicht glaubte. Heine war nicht der Mann, der seine Productionen so lange liegen ließ, um sie dann grausam dem Feuertode zu überliefern, weil sie nicht mehr der Ausdruck seiner Gesinnung waren. Kein Dichter war für die Kinder seiner Muse mehr eingenommen, als er. Kein einziges derselben hielt er für ungerathen. Er sprach beständig von ihnen; er erzählte gern von ihrer wunderbaren Geburt und wie viel Vaterfreuden sie ihm verursacht hätten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_746.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)