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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

elegantem und galantem Manne ausgebildet, daß er selbst einem vornehmen jungen Franzosen durchaus nicht nachstehe.“

Soweit hatte der Sohn des alten Försters gelesen oder vielmehr mit großer Mühe und Anstrengung die verblaßten dünnen kleinen Buchstaben auf dem vergilbten Papier entziffert. Da sprang er fast ärgerlich auf und sagte zu seinem Vater:

„Wer ist denn die Person, die das schrieb, was ich gelesen, und wie steht sie in Verbindung mit der Geschichte der Auswanderung unsrer Familie aus Frankreich?“

„Das Alles wirst Du erfahren,“ antwortete der Vater, „wenn Du geduldig weiter lesen willst. Diese Mühe kann ich Dir nicht ersparen, denn ich vermag nicht alles so genau zu erzählen, wie es da geschrieben steht. Wenn Du aber nicht Alles ganz genau kennst, wirst Du das Nachfolgende nicht verstehen und begreifen.“

„So sage mir wenigstens, wer die Schreiberin ist!“ bat der Sohn.

„Du wirst es von ihr selbst erfahren,“ antwortete der Alte ruhig.

Der Andere fragte nicht weiter. Er nahm die Blätter vielmehr von Neuem zur Hand und las weiter:

„Das war im Frühjahre. Als der Sommer vergangen war und der Herbst kam, erschien in der That die Mutter der Freundin, um dieselbe mit sich zu nehmen und dem Bräutigam zuzuführen. Es war eine schmerzensreiche Trennung. Wir hielten einander lange eng umschlossen und weinten Beide bitterlich. Fast mit Gewalt mußte man uns endlich voneinander trennen. Es versteht sich von selbst, daß wir schon lange vorher und oftmals hoch und theuer geschworen hatten, einander häufig zu schreiben. Ich hatte sogar einst im Uebermuthe auf diejenige von uns, welche nicht regelmäßig schreiben oder antworten werde, als Strafe den schrecklichen Fluch herabbeschworen, eine unglückliche Ehe führen zu müssen. Von Allem, was wir als junge Mädchen erbeten, versprochen und geschworen, ist leider nichts in Erfüllung gegangen als jener Fluch, der uns Beide, mich aber sehr schwer, getroffen hat. Als man die Freundin in den Wagen hob, der sie hinwegführen sollte, stand ich verzweifelnd am Fenster und breitete noch einmal sehnsüchtig die Arme nach ihr aus; als sie mir dann weinend den letzten Abschied zuwinkte und der Wagen mit ihr fortrollte, brach ich ohnmächtig zusammen. Man brachte mich in mein Bett, in welchem ich mich bald erholte, aber nur um mich noch einmal recht auszuweinen. Die Superiorin selbst kam zu mir, sprach mir anfänglich einige Trostworte zu, begann dann aber eine lange Strafpredigt darüber, daß ich mich meinen Gefühlen zu sehr hingegeben habe. Dies sei stets mein Fehler gewesen. Seit ich mich in dem Hause der Schwestern befinde, habe sie mir unablässig die wohlgemeinte Lehre wiederholt, mich niemals vom Gefühle beherrschen zu lassen. Das Weib müsse frühzeitig lernen, seine Empfindungen streng in Zügel und Zaum zu halten und in Demuth und Geduld alles Das hinzunehmen, was Gott in seiner Weisheit sende. Alle großen Schmerzen und alles tiefe Leid, die ein Frauenherz heimsuchen könnten, rührten daher, daß es seinen Empfindungen zu leichthin nachgegeben habe, ohne, wie es einer frommen Christin zieme, die Folgen solchen Thuns ernstlich zu bedenken.

Ich hörte diese sicherlich wohlgemeinten Worte der vielerfahrenen Frau mit verstocktem Mädchensinne an, denn noch während sie sprach, nahm ich mir vor, sobald wie möglich an die Tante, die ich während meines Aufenthalts im Kloster nur selten gesehen hatte, die dringendste Bitte zu richten, mir endlich die Freiheit zu geben, denn ich sei nun sechszehn Jahre alt und ertrage es nicht länger, in düsteren Mauern eingeschlossen zu sein, zumal die Freundin, deren Anwesenheit mir den Aufenthalt daselbst erträglich gemacht habe, in die Heimath zurückgekehrt sei, um in ihre Familie und mit derselben in die Welt einzutreten, der wir doch Alle angehörten.

Schon am nächsten Tage schrieb ich in der That und bat inständig um Erlösung. Ich wußte zwar nicht, welches Leben mir bei der alten Tante beschieden sein könnte, aber schon die Freilassung aus meinem Klosterkerker, schon die Entfernung von der strengen Superiorin, deren Zufriedenheit ich so selten zu erlangen vermocht hatte, erschien mir als beneidenswerthes Glück. Wie sehr ich aber auch dieses Glück ersehnt, es sollte mir noch lange vorenthalten werden. Auf meinen Brief an die Tante erhielt ich, und zwar erst nach Wochen, eine keineswegs erfreuliche Antwort; denn sie schrieb mir, daß sie mich erst abholen könne, nachdem ich die nächsten Ostern noch in dem Kloster gehalten. Welch trauriger Winter stand mir also bevor und wie peinlich langsam schlichen die Tage dahin! Bald war ich traurig bis zu verzweifelnder Schwermuth, bald leidenschaftlich erregt und gereizt. Die guten Schwestern im Kloster mögen große Noth mit mir gehabt haben. Meine Verstimmung steigerte sich täglich, namentlich auch durch den Verdruß darüber, daß ich nach der rasch erfolgten brieflichen Anzeige der Freundin, sie sei glücklich im Vaterhause angekommen und solle an einem der nächsten Tage schon den ihr bestimmten Bräutigam sehen, den sie mir getreulich, unserer Verabredung gemäß, beschreiben werde, keine Zeile von ihr erhielt, obgleich ich ihr, sofort nach dem Empfange ihres ersten Briefes, ausführlich geantwortet und in meinem Schreiben all’ meinen Kummer ausgegossen hatte. Ich war freilich überzeugt, daß die Superiorin, durch deren Hände alle unsere abgehenden und ankommenden Briefe gehen mußten, die mir bestimmten Briefe der Freundin vorenthalte. Ich sprach dies auch in einem Klageschreiben an die Entfernte unverhohlen aus. Diesen Brief erhielt ich, wegen der darin ausgesprochenen Beschuldigung, von der Superiorin mit einer neuen Strafpredigt und der Weisung zurück, meinem Schreiben eine andere Fassung zu geben. Sie hatte also meinen Brief gelesen und – ich schrieb nicht wieder, weil es meinem Stolze als eine Erniedrigung erschien, der ich mich nicht unterwerfen dürfe, anders zu schreiben, als ich empfand.

Eine andere, eine neue Freundin unter den Genossinnen meiner Gefangenschaft mochte ich mir nicht suchen; ich war und blieb also allein, ganz allein mit meiner Trauer, die ich mir täglich schmerzlicher durch die Vorstellung machte, welche ich von dem Glücke der sicherlich bereits geschlossenen Ehe der Freundin hatte. In dieser unbeschreiblich trübseligen Stimmung verging langsam der Winter und das Osterfest kam heran. Ich verbrachte es diesmal in wirklicher Andacht und dankbarer neuer Aufheiterung, denn ein Brief der Tante, der mir ihre baldige Ankunft meldete, hatte mir wieder Muth und Hoffnung gegeben. O, wie freudig klopfte ihr mein Herz entgegen! Ich liebte sie jetzt zärtlich, leidenschaftlich – als meine Befreierin. In solcher Stimmung nahm ich Abschied von den Schwestern, mit denen ich so viele Jahre der Kindheit und Jugend verbracht hatte, ließ noch einmal, diesmal aber mit musterhafter Geduld, einen Strom von Ermahnungen und guten Lehren über mich ergehen und fuhr dann vergnügt und hoffnungsreich in die fremde Welt hinein, nach der ich mich so lange und so sehr gesehnt hatte. Ich wähnte ja, das Glück, alles Glück wohne in dieser ‚Welt‘, und mit fröhlicher Zuversicht hoffte ich, es erwarte da auch mich.“


(Fortsetzung folgt.)




Am Klostergarten.

An der alten Klostermauer
Schreit’ ich hin im Frühlingsduft;
Neuen Lebens Wonneschauer
Athmen durch die Morgenluft.
Sonntäglich und still ist’s heute,
Nur ein hallendes Geläute
Festlich zum Gebete ruft.

Durch den schattenreichen Garten
Geht im wallenden Talar,
Ihres heil’gen Amts zu warten,
Feierlich die Nonnenschaar.
Aus der kühlen Waldcapelle
In die schwüle Klosterzelle
Ruft die Glocke hell und klar.

Siehe! in der Schwestern Reihe
Wunderhold und engelmild,
Lieblich in der Unschuld Weihe –
Welch ein bleiches Mädchenbild!
Himmelsruhe in den Mienen
Scheint sie flüchtig nur erschienen
In dem irdischen Gefild.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_738.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)