Seite:Die Gartenlaube (1874) 729.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und sein Wirken im Reichstage vor den Wählern zu vertreten. An seiner Seite genoß Blum’s Frau alle die Huldigungen mit, die das Volk in jenen Tagen seinem Lieblinge darbrachte; ihr Herz hat dabei wohl am stolzesten mitgejubelt.

Dann kam jene Nacht im October, in der er auf der Durchreise von Frankfurt nach Wien nur wenige Stunden in seinem Hause zubrachte. „Besorge Zuckerwerk, das ich den Kindern mitbringe,“ schrieb er seiner Frau, als er die Durchreise meldete. Die Kinder hatten gehört, daß der Vater kommen werde; sie sollten frühzeitig zu Bett gehen, damit sie in der Nacht munter wären. Aber die beiden ältesten Knaben waren vor Freude aufgeregt und wollten den Vater wachend erwarten. So fand er, als er sehr spät kam, den Aeltesten auf dem Sopha eingeschlafen, den Zweiten schlaftrunken auf seinem Stuhl am runden Tisch.

Die Eltern saßen auf dem Sopha, das der junge Schläfer mit ihnen theilte; der Vater hielt das inzwischen aufgewachte Töchterchen auf den Knieen; das Dienstmädchen brachte den zehn Monate alten Jüngsten herein – so war die Familie zum letzten Mal beim Kerzenlicht vereint. Unaufhaltsam rückte der Zeiger der Uhr vor und wies auf die Stunde der Trennung – die Gattin mußte ihn ziehen lassen; sie konnte, sie durfte ihn nicht halten.

Die Briefe, die Robert Blum von Wien aus an seine Frau gerichtet, kennen Tausende; Niemand aber kennt das Ringen zwischen Hoffen und Bangen, zwischen der Begeisterung für die große Bewegung und dem Zittern um das Leben des Theuersten, das im gepreßten Herzen auf und abwogte.

Am 9. November, als schon die Kugel seine Brust zerrissen hatte, meldete sein Brief vom 6. seine Gefangennahme, sprach aber die feste Hoffnung auf sofortige Freilassung und Heimkehr aus. Und von da an ging sie jeden trüben Novembermorgen mit den Kindern zum Bahnhof und hoffte, den Gatten aus dem heranbrausenden Zug winken zu sehn, bis jener schwere 13. November kam. Da saß die Familie wieder um den runden Tisch, der sie so oft froh und glücklich um sich versammelt hatte. Die Kinder ahnten nichts von dem Verhängniß, das über sie hereingebrochen, und ließen sich die Frühstücksmilch trefflich munden. Richard, der Zweite, hatte durch eingebrockte Semmeln eine wunderschöne „Torte“ zu Stande gebracht, die auch nicht zusammenfiel, als er sie aus der Ober- auf die Untertasse stülpte. Die kleineren bewunderten das Kunstwerk und sahen auch dann nicht auf, als des Vaters naher Freund mit verstörtem Gesicht eintrat. Sie hörten ihn wenige Worte zur Mutter sprechen und sahen diese starr, wie verständnißlos zu ihm aufblicken, während Hans, der Aelteste, mit dem verzweifelten Aufschrei: „Mein Vater, mein Vater!“ das Gesicht in die Kissen des Sophas drückte.

Was damals in dem weichen Herzen, dem starken Geist der Frau, der Mutter gewühlt, weiß Niemand. Sie selbst hat nie davon gesprochen. Die Fluth von Beileidsbezeigungen, von Tröstungen, ja, von Huldigungen, welch’ letztere man vom gefeierten Volksmanne auf dessen Wittwe übertrug, hat sie wohl in halber Betäubung getroffen.

Dazu kam der Zweifel, ob das Schreckliche wahr, ob der Tod nicht nur erfunden sei, um den gefürchteten Freiheitskämpfer um so sicherer im Kerker halten zu können. Wie diese Ungewißheit, die mit ihr anfangs Viele theilten, benutzt wurde, um der gequälten Frau den klaren Geist zu verwirren und sie dadurch unfähig zu machen zur Erzieherin ihrer Kinder, ihren Besuch bei der Gräfin Kielmannsegge, hat vor mehreren Jahren eine genau unterrichtete Feder in der „Gartenlaube“ erzählt. Aber ihre Kinder, die Nothwendigkeit, ihren Kindern sich zu erhalten, ließen sie auch diesen Sturm bestehen.

„Erziehe unsre, jetzt nur Deine Kinder zu braven Menschen, daß sie ihrem Vater nimmer Schande machen!“ das war des Gatten letzter Wille, und sie fand die Kraft, ihn auszuführen. Sie entrückte die beiden ältesten Knaben der wechselnden Liebe und Feindseligkeit der Parteien, deren Einfluß selbst schon auf die kindlichen Gemüther sie erkannte, und brachte sie in ein Institut bei Bern in der Schweiz.

Die herrliche Natur übte den alten Zauber an ihr aus; beruhigt und geistig gestärkt, kehrte sie in ihr verwaistes Haus zurück. Um sich alles Grübeln fernzuhalten, um den Geist zu beschäftigen und dadurch den nagenden Seelenschmerz zu übertäuben, begann sie das Studium der englischen Sprache. Wie Alles, was sie ergriff, führte sie auch dieses neue Lernen mit so ausdauerndem Eifer durch, daß sie nach einem halben Jahre die fremde Sprache vollkommen in ihrer Macht hatte. Jetzt wollte sie ein Mädchen-Institut gründen; die Vorverhandlungen waren in vollem Gange, Lehrerinnen engagirt, Schülerinnen von fern und nah schon angemeldet, da ergriff eine schwere Krankheit den ohnehin schwächlichen Körper der schwergeprüften Frau und bannte sie dreiviertel Jahr lang an’s Krankenlager.

Unterdessen waren die Vermögensverhältnisse der Familie geordnet. Die opferfreudige Theilnahme des ganzen Volkes hatte der Wittwe, den Waisen seines Märtyrers eine sorgenfreie Zukunft gesichert; so konnte die Mutter mit den zwei jüngsten Kindern in die Schweiz ziehen, um von nun an auch den ältesten Söhnen nahe zu sein.

Dort nun übte sie still und treu hingebend und aufopfernd das letzte Vermächtniß des Gatten, die Kinder zu erziehen zu braven Menschen. Was sie dort gehalten und gewirkt in nimmer ermüdender Arbeit, mit festem Muth und zärtlich wachendem Auge, das sagen Bücher nicht aus. Welche Worte erschöpften auch die Liebe einer Mutter?

Sie spielte, sie lernte, sie lebte mit ihnen; mit den ungelehrigen ward sie ein schwer lernendes Kind, mit den vorwärtsstrebenden ein eifriger Schüler. Sie that ihnen die Augen auf für die Schönheit der Natur, der Kunst; sie lehrte ihnen früh schon Hochachtung vor jeder freien, selbstständigen Ueberzeugung. So durfte sie die Söhne ohne Bangen in’s bunte Leben hinausschicken; die Mutter selbst hatte ihnen die beste Wehr gegen die Verlockungen der Welt gegeben. Und sie kehrten zu ihr zurück, wie der Vater sie gewollt, als brave Menschen.

Im Frühlinge 1864 mußte sie schweren Abschied nehmen von ihrem zweiten Sohne; er ging als Ingenieur nach Amerika. Ein Jahr später kehrte sie in die alte Heimath, nach Leipzig, zurück; der älteste Sohn hatte dort einen eigenen Hausstand gegründet, und in der Stadt, die sie als gebeugte Wittwe verlassen, sah sie das junge Glück ihrer Kinder aufblühen.

Im Jahre 1867 unternahm die siebenundfünfzigjährige Frau die beschwerliche Reise nach Amerika, um dem zweiten Sohne die ihm früh verlobte Braut zuzuführen. Sie blieb beinahe zwei Jahre drüben in der neuen Welt; dort sah sie den geliebten Bruder, die älteste Schwester wieder und lebte sogar mehrere Wochen lang im fernen Urwalde des Westens, wo ein Anhänger ihres Mannes die Colonie Bloomfield gegründet hat.

Körperlich und geistig frisch, glücklich durch das Wiedersehen der theuren Verwandten, angeregt durch all die neuen Eindrücke und Beobachtungen, kehrte sie im Mai 1869 zu ihren Kindern nach Leipzig zurück. Ein Jahr später rief der Krieg ihren jüngsten Sohn in’s Feuer. Sie ließ ihn ruhig und ohne Klage ziehen; sie freute sich stolz jedes Sieges der deutschen Waffen; sie jammerte nicht um das Geschick des Sohnes, den sie in blutigen Schlachten wußte, aber als er gesund, kräftig und unverletzt, mit dem eisernen Kreuze geschmückt, zur Mutter zurückkehrte, da trug sie schon den Todeskeim in der schwerathmenden Brust.

Sie konnte den Verlauf der eignen Krankheit schon im Voraus an dem theuren, einzigen Bruder beobachten, der sie im Herbst 1871 besuchte und von demselben asthmatischen Leiden hart bedrängt war. Er war nach jahrelangem Exile aus Amerika gekommen, in deutscher Erde begraben zu werden; er starb am 30. Januar 1872 im vierundsechszigsten Lebensjahre. Damals glaubte die Schwester nicht, daß sie dasselbe Alter erreichen würde, aber ihre energische, thatkräftige Natur besiegte immer wieder die Schwäche des Alters, der Krankheit. Unermüdlich thätig im Hause, kannte sie für sich weder Schonung noch Rast. Ihre liebste Erholung war Abends ein Spaziergang durch die Wiesen und Wälder auf der Südwestseite der Stadt, und wenn die Kräfte dazu nicht ausreichen wollten, saß sie im Sommer unter den grünen Tannen ihres Gärtchens, versammelte alle Kinder der Nachbarschaft um sich, erzählte und lehrte ihnen.

„Frau Blum ist im Garten,“ hieß für die junge Schaar so viel wie: „Aber jetzt wird’s hübsch.“

Das Leben, das ihr so früh das Höchste geraubt, ihr auf der Mittagshöhe so schwere Stürme gebracht, zeigte ihr jetzt, da es Abend ward, nur sein friedliches, mildes Licht. Sie sah die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_729.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)