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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Freiheit und Recht. „Und wenn die Zeit käme,“ sprach er zu der Geliebten, „wo ich zu wählen hätte zwischen Dir und dem Kampfe, vielleicht dem Tode für meine Ueberzeugung, würdest Du mich ziehen lassen?“

Da war es, als griffe ihr künftiges Schicksal ihr schneidend in’s Herz; sie sah auf den Geliebten, der in Glück, Gesundheit und Thatenmuth dastand, sollte sie dem kaum erblühten Glücke das Todesurtheil sprechen? Aber sie war nicht umsonst unbewußt die Schülerin des freiheitsbegeisterten Mannes gewesen, und so sprach sie fest: „Du müßtest gehen, und ich dürfte Dich nicht halten.“

Am 29. April 1840 ward in der Dorfkirche zu Thekla bei Leipzig ihre Vermählung geschlossen. Eugeniens Bruder, Georg Günther, wurde in derselben Stunde, vor demselben Altar getraut. In der äußersten Vorstadt Leipzigs, im kleinsten Hause der sogenannten „großen Funkenburg“ vor dem Ranstädter Steinweg wohnte Robert Blum während der ersten Jahre seiner Ehe. Das Häuschen war drei Fenster breit und hatte über dem Erdgeschosse nur ein Stockwerk; hinten schloß sich ein schöner, obstreicher Garten an. Damals zahlte man für Beides, Wohnung und Garten, zusammen jährlich fünfzig Thaler Miethe. – Jetzt sind dem Häuschen noch auf jeder Seite zwei Fenster angesetzt; trotzdem nimmt es sich noch gar unscheinbar unter seinen stattlichen Nachbarn aus.

Der Weg unter den Pappeln, dem Kuhthurme und dem Dorfe Lindenau entgegen war Abends der Lieblingsspaziergang des jungen Paares. In ihren letzten Lebensjahren wohnte die Wittwe in derselben Stadtgegend, und wieder war es die Lindenauer Chaussee, die sie, jetzt auf ihrer Kinder Arm gestützt, mit Vorliebe entlang wanderte, so lange die müden Glieder sie noch tragen mochten. „Hier ist mir immer, als lebte ich jetzt nur in einem Traume, und jede alte Pappel hat für mich eine Geschichte.“

Die politische Bedeutung Robert Blum’s wuchs. Das kleine Haus der Vorstadt beherbergte oft Männer mit vielgenanntem Namen; im Herbste 1842 sammelten sich bei Robert Blum freisinnige Männer aus allen Gauen Deutschlands zur Berathung, der alte Itzstein, Herwegh, Trützschler, die Grafen Reichenbach und Andere saßen da an Frau Eugeniens Tisch. Auch die literarischen Größen des Tages verkehrten häufig in der Familie. Mit Herloßsohn arbeitete Robert Blum am Theaterlexikon; auch mit Marggraff stand er durch gemeinsame Arbeit in Verbindung; der muntere Lortzing sprach nachbarlich bei ihnen vor, und bis in ihre letzten Tage erzählte Frau Blum noch mit Behagen, wie Karl Gutzkow sie einmal die Treppe kehrend angetroffen, sie für das Dienstmädchen gehalten, und wie sie als solches die Auskunft gegeben: Der Herr Secretär sei zwar jetzt nicht, dafür aber Nachmittags sicher zu Hause anzutreffen. Nachmittags empfing die Frau des Hauses den werthen Gast; er soll sie aber manchmal zweifelnd von der Seite angesehen haben. Die Frage, ob er seinen Irrthum vom Morgen inne geworden, ist ihr bis zuletzt ungelöst geblieben.

Das enge Haus konnte die Familie nicht länger fassen; drei Knaben wuchsen zur Freude der Eltern heran; da wollten die drei Stuben, von denen zwei nur Kammern waren, bald nicht mehr ausreichen.

Robert Blum kaufte sich ein Haus mit Garten in der Eisenbahnstraße, ebenfalls in äußerster Vorstadt. Im Frühling 1845 bezogen sie das neue Grundstück, aber nach wenigen Wochen schon trug man ihnen den Sarg des jüngsten Kindes hinaus. Der Vater und besonders die Mutter litten schwer unter diesem Todesfalle; es existirt noch ein Brief von Robert Blum, der den Schmerz des Mannes, der sich mit so großen, idealen Plänen trug, dessen Name schon unter den Besten genannt wurde, um das fünfvierteljährige Kind in ergreifender Weise ausspricht. Die Mutter aber konnte, obgleich ihr später noch eine Tochter und ein Sohn geschenkt wurden, den Verlust des hoffnungsvollen Knaben nie vergessen.

Zu derselben Zeit ging die Befreiung der deutsch-katholischen Kirche von der römisch-katholischen als Vorspiel zur spätern politischen Revolution durch Deutschland. Wie Robert Blum, der jedes Streben nach Freiheit auf jedem Gebiete als sein großes Ziel erfaßte, sich auch in diese Bewegung warf, ist bekannt. Er, der Katholik, trat zuerst in die Reihe der Deutsch-Katholiken, aber er billigte es durchaus, daß seine protestantische Gattin sich von diesem Uebertritte ausschloß. „Meine Kirche erlaubt mir die Geistesfreiheit, die ich bedarf, und wenn Jedes nach seinen religiösen Ansichten sich eine Confession bilden sollte, so gäbe es ebenso viel Confessionen wie denkende Menschen,“ so etwa beantwortete sie alle Fragen, die damals und auch später deshalb an sie gerichtet wurden.

Immer bewegter wurde die Zeit. Die wachsende Gährung im Volke rief die traurigen August-Ereignisse jenes Jahres hervor. Eugenie Blum verlebte den ersten dieser Schreckenstage allein zu Hause; ihr Mann war verreist und wurde erst Abends zurückerwartet. Sie sah von ihrem Hause aus, wie dem Eisenbahnzuge Reihe um Reihe von Soldaten entstieg, die heimlich herbeigerufen worden waren, die aufgeregte Stadt in Schach zu halten. Da eilte sie dem ankommenden Gatten am Bahnhof entgegen, setzte ihn von den Ereignissen des Tages, dem Eintreffen der Soldaten in Kenntniß, und so konnte er, unterrichtet von Allem, was er wissen mußte, unter die Versammelten im Schützenhause treten. Den andern Morgen führte er die ganze Menschenmenge vom Schützenhause auf den Marktplatz und sprach dann jene versöhnenden Worte vom Balcon des Rathhauses herab, nach denen die Menge ruhig und vertrauend auseinander ging. Die Dankadresse, die Robert Blum alsdann, von Tausenden von Unterschriften bedeckt, für sein Eintreten überreicht erhielt, hat seine Frau, seine Wittwe, wie ein Heiligthum aufbewahrt.

Sie war stolz; sie war ehrgeizig; sie war begeistert, aber nur für ihn und sein Ziel. Sie hemmte nicht durch kleinliches Zagen seinen hohen Flug; sie war die ebenbürtige Gefährtin seines Strebens, und wenn er nach Hause kam aus der Last des Berufes, den Sorgen um die neugegründete Buchhandlung, dem Widerstreite der Parteien, dann hatte sie gesorgt, daß er ein friedvolles Daheim fand, daß er ganz das sein konnte, was er so gerne war, Hausherr und Vater.

Dann pflanzte er in seinem Garten, stieg die Leiter empor zum Taubenschlag, ließ die Knaben die Glieder üben an den aufgestellten Turngeräthen, oder setzte sein kleines Mädchen zwischen die beiden Käfige der beiden Kanarienvögel, während er den gelben Thierchen frisches Wasser gab. Schon ging der älteste Sohn zur Schule, durfte mit dem Vater die Schwimmanstalt besuchen, und wenn sie dann Beide in der Mittagsgluth zusammen dem fernen Heim zuwanderten und der lebhafte Knabe schon von fern auf jeden noch so geringen Schatten aufmerksam machte, dann dämpfte der Vater mit dem Humor des Rheinländers die Schattenbegeisterung des Kleinen:

„I, das ist ja nur ein Mauseschatten.“

„Aber der dort, Vater!“

„Das ist allerhöchstens ein Katzenschatten.“

Wohl war es ein volles, reines, ungetrübtes Glück, das über dem Hause und seinem flachen Dache lag; nach außen sah die Hausfrau den Gatten Ruhm und Ehre ernten und besonders in dem Stande, aus dem er hervorgegangen, eine an Vergötterung grenzende Liebe gewinnen, im Innern nur stilles klares Familienglück, das beste, herzlichste Einvernehmen der Eltern, gesunde, gutgeartete Kinder.

Aber die Zeit kam schnell – da stellte das Schicksal sie vor jene Alternative, vor der die Braut vorahnend gebebt; er mußte sich selbst einsetzen für das, was er gewollt; sein Verhängniß trieb ihn nach Wien, und die Frau, die Mutter mußte doch sprechen: „Ich darf Dich nicht halten.“

Schritt für Schritt kam es heran, das Unglück, das seinen Schatten vorauswirft. Zu Weihnachten 1847 – der jüngste Knabe war erst zwei Tage alt – brach der Vater beim Taubenfüttern den Arm; noch gefährlicher als der Knochenbruch erschien anfangs die Erschütterung des mächtigen Brustkastens; es waren schwere, angstvolle Festtage. Dann entführten die Märzerrungenschaften der Familie den Vater nach Frankfurt, und wunderbar klingen in seine Berichte über jenen herrlichen Frühling des erwachten Deutschlands, über die enthusiastische Aufnahme, die er als Träger seiner Idee in Süddeutschland findet, die leise Sehnsucht nach dem Familienkreise, die Sorge: was wird unterdessen aus Frau und Kindern, denen im eigentlichsten Sinne der Erhalter fehlte.

Zweimal war den Gatten noch ein kurzes Wiedersehn beschieden; im August kam er zu mehrtägigem Aufenthalte nach Leipzig, sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_728.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)